• Im Dschungel brennt das Licht

    9–17 may., Brasil ⋅ ☁️ 31 °C

    Man soll sich nicht von Fotos täuschen lassen, weder auf Websites im Netz noch auf einem privaten Blogeintrag.
    Es sollte eine exklusive Tour in den Dschungel werden, mit Flug nach Tefé, Hotelaufenthalt "first class", dann Speedbootfahrt nach Maraã - schon tief im Urwald - und ab dort mit 2 Indigenen und einem deutschsprachigen Übersetzer mit dem Kanu weiter. Jetzt sollte es Aktivitäten geben wie Aufbau eines Urwaldcamps, Nahrungssuche (Wurzeln, Blätter, Früchte), Angeln, Dschungelwanderungen, Baden im Wasserfall, und, und, ..., und natürlich dazu die Erläuterungen der Indigenen, übersetzt ins Deutsche. 9 Tage lang! Zu schön, um wahr zu sein? Richtig! Schon der Flug findet nicht statt, stattdessen fahren wir 27h mit einem Boot nach Maraã. Wir akzeptieren die Touränderung, da Eduardo, der Anbieter von "Amazon deep jungle tours" erklärt, dass Tefé wegen Piraten nicht sicher sei. Spätestens im schmuddeligen Maraã wird jedoch klar: Hier wird betrogen! Der nur rudimentär des Englischen mächtige Führer Raimundo wurde noch nicht bezahlt ... wir zahlen jetzt doppelt - noch heißt es, dass wir das Geld erstattet bekämen und die Rückkehr nach Manaus gebucht sei.
    Die indigenen Führer existieren nicht. Und mit Raimundo geht es mit klapprigem Boot (schon wieder setzt ein Motor aus - diesmal unreparabel - Ersatz schafft ein Bruder) zu einer bitterarmen Dschungelcommuity. Wir kommen im Dunkeln an. Raimundos Onkel verweigert die Übernachtung in seinem Haus, wir werden zum Cousin weitergeschleust. Auch dort sind wir nur mäßig willkommen - wer kann es ihnen verdenken! Zum Abendessen gibt es Reis und gekochte Eier. Wir schlafen in einem der 3 Zimmer in Hängematten. Am nächsten Morgen ziehen wir doch bei Onkel und Tante ein und leben für die nächsten Tage im Hauptraum des 2 Zimmer Hauses. Wir lächeln uns durch, "Obrigada", "Obrigado" und machen alles mit: Die Gemeinschaft stellt Açai her? Wir helfen beim Abstreifen der Beeren. Die Gemeinschaft feiert Muttertag? Wir folgen der Einladung. Wir schälen zu dritt bergeweise Maniok. Ich streife mit den Händen gekochten Maniok durch ein Sieb. Wir schwimmen mit der Dorfjugend im braunen Fluss, damit wenigstens etwas Hygiene an unseren Körper kommt. Wir entschuppen Fische. Wir lächeln, geben uns Mühe, lächeln, auch wenn uns zum Heulen zumute ist. Aus der Community kommt immer die gleiche Frage: Ist es schön hier? Gefällt es Euch? Wir lächeln und nicken. Nach den Anfangsschwierigkeiten sind die Dorfbewohner alle freundlich.
    Unsere Füße sind von beißenden Fliegen malträtiert, ich habe einen tiefen Schnitt im linken Zeh und vom Maniokschälen im Daumen. Mangels Trinkwasser haben Lisa und ich nach 6 Tagen Durchfall. Wir lächeln. Desinfektionsmittel, Jodsalbe und Advantan sind im Dauereinsatz ... auch die Tante nimmt gerne meine Hilfe gegen ihre Entzündungen an. Oft wissen wir jedoch nicht, was wir tun sollen ... Langeweile in der Hängematte.
    Hin und wieder, vor allem, wenn wir darauf bestehen, macht Raimundo mit uns einen Ausflug: Wir übernachten einmal in einem verlassenen Resthaus im Dschungel, von "eigenes Lager aufschlagen" keine Spur. Stattdessen lässt uns Raimundo über Stunden dort allein in der Gesellschaft der beißenden Fliegen. Als er wieder erscheint, hat er starke Kopfschmerzen. Mit Freude nimmt er meine Aspirin und verschwindet in der Hängematte. Nachts paddeln Lisa und ich mit Raimundos Freund durch den Dschungel: Netze auf Fisch kontrollieren.
    Vielleicht genießen wir Nachts den Sternenhimmel? Nein, denn dauernd brennt das Licht, auch tagsüber, auch in den Rudimenten von Häusern. Seit es in Brasilien das Recht auf Elektrizität gibt, werden auch die Dschungelbewohner mit Strom versorgt. Lichtschalter gibt es keine, dafür aber ohrenbetäubenden Technosound von der Dorfjugend ab 3:00 Nachts. Lächeln!
    Vom Dorflehrer werden wir zum Essen eingeladen. Die Kommunikation auf Portugiesisch ist schwierig, aber es ist wenigstens Kommunikation! "Obrigado!"
    Seine Frau mit dem deutlich retardierten Kind gehen uns zu Herzen.
    Als ich Raimundo an einem anderen Tag das Bild einer Victoria regia zeige und ihm verdeutliche, dass ich sie sehen will, muss er sich vom Onkel erklären lassen, wo sie zu finden ist. ... und führt uns hin, immerhin. "Obrigada!"
    Am letzten Abend wird, wie jeden Abend, im Versammlungshaus - einem Wellblechdach auf Pfosten - ein Gottesdienst gefeiert: Lautdröhnend, denn es gibt einen Verstärker. Wir sind dabei, auch wenn wir kein Wort der ekstatischen Veranstaltung verstehen. Lisa bekommt anschließend Kleinkinder und Säuglinge in den Arm, denn sie hat - völlig unverständlich für die Community - in ihrem Alter keine Kinder. Ich soll die Kinder segnen. Ich tu es. Lächeln! Und dann die Frage: Wann kommt ihr wieder? Lächeln!
    Am nächsten Tag machen wir drei allein einen Ausflug im Einbaum in den nahegelegenen See - und freuen uns am Grün, den Spiegelungen, der Stille, sehen Affen und Tukane.
    Die Rückkehr nach Maraã ist für uns Durchfallgeplagte eine Herausforderung, denn Raimundo hat keine Eile: Er macht das klapprige, motorisierte Boot mit uns an Board an einem Ast am Ufer fest und geht im Einbaum für 1½h fischen - "you wait".
    Dass wir die Rückkehr nach Manaus selbst finanzieren müssen, wird in Maraã klar; nichts ist für uns gebucht, weitere 400,- US$ bringen uns nach Manaus.
    Auf der Touristenpolizeistation am Flughafen wird unsere Anzeige aufgenommen: "Eduardo? Nicht schon wieder!" Es ist ein zweifelhafter Trost, dass wir nicht alleine auf den Betrüger hereingefallen sind.
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