• Abenteuer im bolivianischen Dschungel

    Oct 22–23 in Bolivia ⋅ ☀️ 34 °C

    Dass die zwei Nächte im Dschungel kein Sterneaufenthalt werden würden, war mir natürlich klar. Aber wie extrem, anstrengend, primitiv, insektenreich, warm, schlammig und nass es tatsächlich werden würde, hatte ich unterschätzt. Es war eine der heftigsten, aber auch eindrucksvollsten Erfahrungen meines Lebens.
    Vieles konnte ich gar nicht fotografieren – weil alles nass war, ich zu beschäftigt mit mir selbst oder die Momente – vor allem bei Tieren – einfach zu flüchtig waren. Trotzdem denke ich, mit meinen Ausschnitten, hier einen guten Eindruck vermitteln zu können.

    Schon der Start war typisch bolivianisch: etwas chaotisch, unorganisiert und improvisiert. Organisation, Englischkenntnisse oder logisches Mitdenken haben hier einfach keine Priorität – eine Herausforderung für jemanden wie mich, der gerne den Überblick behält. Gelassen zu bleiben und die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Das fällt mir hier manchmal wirklich, wirklich schwer.

    Als ich morgens um neun im Büro von Jaguar Sirius Eco-Tours ankam, wartete dort bereits Sebastian. Er kommt ursprünglich aus Cochabamba, lebt aber seit einigen Jahren in Dublin, wo er als Koch arbeitet. Nun war er zurück in seiner Heimat – auf Familienbesuch und mit dem Plan, endlich auch den Dschungel und die Pampa anzusehen – hier war er nämlich auch noch nie. Eigentlich waren wir gar nicht für dieselbe Tour gebucht, aber weil ein Bus ausgefallen war, wurde kurzerhand umgeplant.

    Unsere Rucksäcke waren nach Anweisung gepackt: Toilettenpapier, Handtuch, Wechselkleidung, Stirnlampe, Plastiktüten, Insektenschutz – das Nötigste eben. Es gab nur noch einen intakten Leinensack, den wir uns teilen mussten. Dazu bekamen wir Isomatte, Decke, Laken und Gummistiefel. Letztere waren zunächst ein Problem: keine passende Größe für mich. Miki, einer der Besitzer – ein witziger, leicht verpeilter Typ – organisierte kurzerhand per Motorrad noch ein Paar in Größe 46. Immer noch zu klein, aber halbwegs tragbar.

    Kurz darauf übergab er uns an Jesús, unseren Guide für die nächsten zwei Nächte. Wir liefen zum Fluss und stiegen in eines dieser typischen Boote – lang, schmal, flach gebaut, mit einem alten Automotor hinten dran, der vier Stunden lang ununterbrochen knatterte, als wir den Fluss aufwärts fuhren. Unterwegs hielten wir an einer kleinen Zuckerrohrplantage, wo wir mit einer über 80 Jahre alten Holzpresse unseren eigenen Zuckerrohrsaft pressen durften. Mit etwas Zitrone verfeinert herrlich erfrischend und ziemlich sättigend. Ich entdeckte mal wieder eine neue Frucht, die ich vom Baum pflücken und probieren durfte – das weiße, sehr weiche Fruchtfleisch war Zuckerwatte nicht unähnlich.

    Weiter ging es über einen Seitenarm des Flusses, der zunehmend flacher wurde. Immer wieder mussten wir aussteigen, um das Boot anzuschieben. Das braune Wasser fand ich überhaupt nicht einladend, ist aber im Flachen recht sicher. Wenn man sich daran gewöhnt, dass man, sobald man den Boden berührt, nochmal mindestens 30 cm im sehr feinen matschigen Schlamm einsinkt, ist es sogar ein ganz angenehmes Gefühl mit nakten Füßen.

    Am Basiscamp – ein paar einfache Hütten mit Dach, Tischen, Regalen und einer kleinen Kochecke – ließen wir überflüssiges Gepäck und ein paar Flaschen Wasser zurück. Von dort ging es in Gummistiefeln und mit Macheten bewaffnet tiefer in den Dschungel. Unser Camp lag etwa anderthalb Stunden Fußmarsch entfernt. Der Pfad war meist gut erkennbar, doch immer wieder versperrten umgestürzte Bäume den Weg, und zwei Flüsse mussten wir ebenfalls durchqueren. Dabei blieb es nicht aus, dass irgendwann das braune Wasser gefolgt vom Schlamm in die Stiefel lief.

    Etwa 30 Meter vor dem Camp zeigte Jesús uns frische Jaguarspuren – beeindruckend und ein bisschen unheimlich. Kleiner Spoiler: Wir sahen leider keinen Jaguar. Das wäre zwar ziemlich cool, aber auch etwas gruselig gewesen. Es gibt sie hier, und manchmal kann man hören, wie sie in der Ferne Geräusche machen, aber Menschen meiden sie normalerweise. Jesús selbst hat in seinem ganzen Leben gerade einmal zehn Tiere gesehen – meist bei Nacht am Flussufer vom Boot aus.

    Unser Camp war extrem simpel: zwei mit Palmzweigen und Planen abgedeckte Dächer und eine Kochstelle, die allerdings nur aus großen Baumstämmen bestand, zwischen denen kleine Äste verbrannt wurden und auf denen Jesús die Töpfe balancierte. Darüber lagen ein paar Palmzweige und getrocknete Blätter, damit das Feuer vor Regen geschützt war. Das wars. Keine Tische, Stühle oder andere annehmlichkeiten wie eine Toilette. Zum waschen gab es den Fluss etwa 30 Meter entfernt.

    Wir liefen ohne unser Gepäck etwas tiefer in den Dschungel, um fischen zu gehen. Jesús zeigte uns auf dem Weg einen Baum, dessen Holz so viel Wasser speichert, dass man daraus tatsächlich trinken kann – erstaunlich frisch und klar im Geschmack. Zum Glück mussten wir uns darauf nicht verlassen, denn Sebastian und ich hatten je acht Liter Wasser dabei. Jesús selbst trank nur abgekochtes Flusswasser.

    Die Angel bestand aus einer Leine, einem Haken und etwas Geduld. Als Köder dienten
    Drahtwürmer, die wir am Ufer im Schilfgras suchten. Ich fing sogar einen kleinen Fisch! Der wurde prompt mit der Machete zerteilt und als Köder für größere Fische verwendet – allerdings ohne Erfolg. Zum Abendessen gab es an diesem Tag nur Gemüse mit Reis, natürlich mit Flusswasser gekocht.

    Die erste Nacht war besser als erwartet. Auf der Isomatte lag es sich bequem, das Moskitonetz hielt die Insekten fern, und trotz der Schwüle ließ es sich aushalten. Ich lag da, schweißgebadet, schwitze noch eine Weile im liegen weiter und lauschte den unzähligen, unbeschreibbaren Geräuschen des Dschungels. Da war mir so, als ob irgendetwas um unser Camp herumschlich. Wahrscheinlich nur Einbildung. Hoffentlich.
    Read more