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  • Day 5

    Emotionen und nackte Rentner

    June 4, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 19 °C

    Die Nacht war ruhig. Kein Bellen, keine Autos. Dennoch nur mittelmäßig geschlafen. Ich mache mir Gedanken, warum ich eigentlich nicht voller Euphorie bin. Ich bin zwar super happy, wie es bisher läuft. Aber mir wird klar, dass das hier was anderes ist als ein Urlaub, auf den man sich lange freut. Denn ist man einmal im Urlaub, hat man es geschafft. Bei dieser Reise aber gibt es so unzählig viele Faktoren, die den Ausgang offen lassen - als aller erstes natürlich die eigene Beweglichkeit und Gesundheit. Ich höre hier bei jedem Zwicken viel genauer hin, als ich es sonst im Alltag tue. Auch wenn es mir während der Reise nicht immer gelingen wird, nehme ich mir fest vor, dankbar für jeden absolvierten Tag zu sein, anstatt ständig das aktuell noch so unfassbar riesige Projekt vor Augen zu haben.

    So richtig fit fühle ich mich nicht. Ich hab es auch nicht geschafft, mich noch mal umzudrehen und weiter zu schlafen. Allgemein wird es eh nie richtig dunkel, selbst wenn ich mitten in der Nacht wach werde, brauche ich keine Lampe, um mich im Zelt zu orientieren. Ich ziehe mir die Mütze bis zur Nasenspitze, um etwas Nacht zu simulieren.

    Am Morgen mache ich beide Zelttüren auf, dass der leichte Wind durchs Ziel streicht. Bei der Idee etwas Musik zu hören, werde ich emotional. Wie oft habe ich in diesem Jahr diese kurze aber wunderschöne Playlist gehört und dabei an Norge på langs gedacht.

    Für ein paar Minuten lausche ich der Musik und lasse zum ersten Mal meine Zweifel am Gelingen der Tour für ein paar Momente fallen. Soviel schönes ich bereits in den ersten vier Tagen erleben durfte, so dauerhaft begleiten mich diese Zweifel, ob mein Rücken oder meine Kniee das ganze Ding hier dauerhaft mitmachen. Während ich diese zwei Lieder höre, realisiere oder akzeptiere ich zum ersten Mal, dass ich nun unterwegs bin und kann den Moment voll genießen.

    Ich habe mir letztes Jahr schon bei der Lysefjordrunde eingestehen müssen, dass ich teilweise doch nah am Wasser gebaut bin. Und auch jetzt fließen ein paar Tränen. Aber es ist unfassbar schön und irgendwie erleichternd. Und ich hab da volle Rückendeckung der heiligen Schrift. „Die meisten legen einem Tränen als Schwäche aus. „Jetzt kann er nicht mehr und klappt zusammen." Aber so 'ne Runde mal was wegheulen, ist befreiend.“ Psalm 695, Torsten Sträter. Recht hat er, der alte Ruhrgebietsjünger!

    Naja. So war das heute. Das Rucksack packen geht immer schneller und schon um kurz nach neun starte ich Richtung Evje. Da soll es auf den Campingplatz gehen, damit ich morgen nochmal einkaufen kann für die nächsten 7 oder 8 Tage nach Dalen. Der Pfad bleibt unfassbar schön. Nach weniger als einer Stunde ist Schluss mit Pfad und eine Forststraße führt zur Hauptstraße. Die zieht sich. Und zieht sich. Die Sonne brennt und hier auf der Straße ist es gefühlt doppelt so heiß wie im Fjell. Meine Pause fällt kurz aus, weil es einfach nicht schön ist. Immerhin gibt es einen Radweg, der bald abseits der Hauptstraße weiterführt. Ich vermute, eine alte Bahntrasse.

    Die Bahntrasse zieht sich. Es ist heiss! Jammern hilft nicht. Weitergehen. Dann öffnet sich der Weg und die finale Straße nach Evje sind nochmal 2 km Asphalt.

    Vorm Campingplatz hat ein Supermarkt geöffnet. Cola und Mittagessen im Schatten halb auf dem Weg. Für heute ist es geschafft und es ist gerade mal 14.00 Uhr. Die Rezeption des Campingplatzes hat zu und ich suche mir den Zeltplatz. Vorbei an unzähligen weißen Wohnmobilen, allesamt mit norwegischem Kennzeichen und norwegischen Rentnern davor, zumeist Oberkörper frei. Zum Glück nur die Herren.

    Der Zeltplatz ist eine leicht abfallende, absolut nicht schöne Wiese mit wenig Schatten direkt an einer viel zu lauten Staustufe des angrenzenden breiten Flusses. Immerhin bin ich der einzige hier. Kein Wunder. Aber die Lage ist ideal für meine morgigen Pläne, mein Kamerapaket nach Oslo zu schicken, neue Pflaster und Wundkompressen für den nächsten Zwischenfall in der Apotheke zu besorgen und im Intersport noch etwas Trekkingnahrung zu kaufen.

    Nachdem ich das Zelt aufgestellt hab, gönne ich mir eine Dusche und frische Klamotten. Und plötzlich ist dieser Ort gar nicht mehr so schlecht. Morgen habe ich den ersten Tag, an dem ich nur Straße laufe. Das wird zäh. Tobi, ein anderer NPLer, ist mir schon einen Tag voraus und läuft die gleiche Route. „Das wird zäh morgen“, hat er mir schon verraten. Aber dafür waren die letzten Tage viel schöner als ich gedacht hätte.

    So. Abendessen. Ab ins Bett! :-)
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