• Morgens am Mossø
    der Steg am Mossø - hier hätte ich baden könnenvöllig fertig laufe ich in Skanderborg einim Stadion von Skanderborg. Der Weg hat mich geschafft.in der Skanderborg Slotkirke ...... treffe ich eine Entscheidung

    E1-84-DK Skanderborg (20km)

    22 Mei 2017, Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Der Weg schafft mich (3)

    Kaum dämmert der Morgen, da singen die Vögel wieder. Das hört sich schön an, doch die Unterhaltung zweier Tauben, die sich von Baum zu Baum zu gurren, nervt fürchterlich. Im Schlafsack ist es mollig, doch es nützt nichts, ich muss dem Donnerbalken Hallo sagen. Feuchter Dunst schwebt über die Feldern, doch im Wald, wo mein Zelt steht, ist es trocken geblieben. Katzenwäsche und Zähneputzen mit dem verbliebenen Wasser, einpacken, Hobo anheizen, den Rest Wasser heiß machen, Müsli essen. Für einen Kaffee reicht das Wasser nicht mehr, der muss warten.
    Um 7 Uhr bin ich unterwegs. Der Mossø blitzt bald durch die Bäume und liegt dann auf der nächsten Anhöhe in seiner vollen Länge vor mir. Der See ist riesig und kein Haus stört die Einsamkeit. Viele Kilometer geht es an seinem Ufer entlang. Einen Hügel hinauf mit einem weiteren phantastischen Blick über den See als Lohn, einen Hügel hinab, dann durch ein Waldstück abseits des Sees. Dann das Ganze vor vorn. Irgendwo dazwischen liegt ein Steg, der weit in den See hinein ragt. Hier hätte ich baden können, doch ich tue es nicht, ich will weiter.
    Am westlichen Ende des Sees reihen sich Wochenendhäuser eine schmale Straße entlang. Eine Badestelle mit Badehaus markiert den Endpunkt des Weges am See. Eine Infotafeln berichtet über früheres Leben am Mossø, das vom Fischfang dominiert war. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ein Schild am Wasser warnt vor Blaualgen, deren Fäden tödlich sein können. Ist die Blaualgenplage ein Ergebnis der Überdüngung umliegender Felder? So gibt es wohl auch an einem so natürlich anmutenden See Umweltprobleme. Ich gehe lieber nicht baden, suche stattdessen etwas enttäuscht den Waschraum auf.
    Der Weg verlässt den schönen Mossø. Kaum liegt der See hinter mir, hätte ich gerne sieben-Meilen-Stiefel an den Füßen statt der klobigen Wanderstiefel, um schnell nach Skanderborg zu eilen, das noch zehn Kilometer entfernt liegt. Stattdessen beschleicht mich der Verdacht, überhaupt nicht mehr voran zu kommen. Und bald ist sie wieder weg, die Wanderlust. Liegt es an der Asphaltstraße, die ich gerade entlang muss? Ich gehe nicht mehr, ich schleppe mich. Erst zwei unschöne Stunden später passiere ich das Ortseingangsschild von Skanderborg. Ein Wegweiser zeigt zu einem Stadion, das doch nur ein gewöhnlicher Fußballplatz ist. Erschöpft setzte ich mich auf eine Bank und starre kraftlos auf den grünen Rasen. Ich bin völlig fertig, sämtliche Energie ist vollständig aufgebraucht. Suppe und Müsliriegel bewirken nichts, auch der gesamte Nussvorrat hilft nicht weiter und der heißer Kaffee hellt meine Stimmung auch nicht mehr auf.
    „Es steht schlimm“, denke ich und muss mir eingestehen, dass ich am Ende bin. Fertig, kaputt, ausgelaugt und alt geworden. Der Weg hat mich geschafft. Ich stelle mir dieselben Fragen wie schon auf der letzten Tour:
    „Was tust du hier?“
    Was suchst du hier?
    Was hoffst du zu finden?
    Warum wanderst du überhaupt?“
    Doch Antworten kommen nicht. Da ist nur das Gefühl, mit jedem Schritt weiter weg zu gehen, statt näher zu kommen. Vielleicht gehe ich den Weg in die falsche Richtung?
    Dann wird mir klar, dass ich den E1 nicht bis zu seinem Ende gehen möchte. Ich will nicht mehr bis zum Nordkap, wo er erst nach Tausenden weiteren Kilometern enden wird. Es ist mir entschieden zu weit. Im Moment bezweifle ich sogar, ob ich überhaupt noch bis nach Grenaa wandern möchte. Vielleicht sollte ich genau hier, in Skanderborg, ein Ende mit diesem unsäglichen Weg machen. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich heute nicht mehr weiter kommen werde und auch nicht mehr weiter will.
    Nach einer sehr, sehr, sehr langen Pause packe ich ein. Fast hätte ich das Solarpanel und die Powerbank in der Sonne zurück gelassen. Als ich es einpacken will, bemerke ich, dass das Panel die Powerbank gar nicht geladen hat. "Was für ein Zeichen!", bemerke ich still. Auch dort scheint Energie nicht mehr zu fließen.
    Dicht hinter dem Stadion liegt die Keimstelle Skanderborgs: die alte Schlosskirche. Dorthin zieht es mich, ich trete ein mit der Hoffnung, in der Stille der Kirche die Antworten auf meine Fragen zu finden. Das weiße Kirchenschiff ist schlicht, ich mag diese Art Kirche. Lange sitze ich in einer Kirchenbank, betrachte geistesabwesend den Altar und die heiligen Bilder. Ich, der gar nicht im christlichen Sinne gläubig ist, sucht hier Zuflucht und Antworten! Und tatsächlich, eine Eingebung formt sich zum Entschluss: ich fahre nach Hause. Jetzt und hier.
    HIER SOLL ENDE SEIN!
    Der Weg zum Bahnhof führt mich durch Skanderborgs Innenstadt. Ein Supermarkt bietet die Chance, Energie zu tanken. Ich kaufe Bananen, Milchshake, Kekse, Mars und stopfe gleich alles auf einmal in mich hinein. Danach geht es mir etwas besser und eine weitere Erkenntnis keimt auf:
    „Du hast viel zu wenig gegessen, dir haben Kalorien gefehlt.“
    Aber es reicht nicht mehr, meinen Entschluss zu ändern.
    Die Rückfahrt bietet mir viel Zeit zum Nachdenken. Und kurz hinter der Grenze ist da schon wieder das unerklärliche Verlangen, weiter zu wandern. Und die Antwort auf die Fragen, die ich im Stadion noch nicht beantworten konnte:
    „Ich möchte beenden, was ich begonnen habe.
    Ich möchte meinen Weg durch Dänemark vollenden.“
    Nur warum, weiß ich noch nicht.
    Nach ein paar Tagen der Ruhe wird es wohl bald weitergehen, so viel scheint sicher, als ich in Hamburg aus dem Zug steige.
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