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  • Day 3

    Njeguši

    May 27, 2022 in Montenegro ⋅ ⛅ 26 °C

    Schon kurz hinter dem Krstac-Pass steht das Ortsschild, bis zum Dorf auf ei­ner ge­schütz­ten Hochebene sind es aber noch einige Kilometer.

    Njeguši ist heute eine we­nig stimmungsvolle An­häu­fung bäuerlicher Zweckbauten, aber ein kuli­na­ri­sches Er­zeugnis und ein historisches Ereignis haben den Wei­ler tief im kol­lek­tiven Be­wusst­sein der Montenegriner verankert. Bei Ers­te­rem han­delt es sich um einen wohl­schme­ckenden Schinken, bei Letzterem um den Um­stand, dass hier 1811 (oder 1813, die Quel­len sind nicht eindeutig) der le­gen­däre Dichter­fürst Petar II. aus der Dy­nastie der Petrović geboren wurde; spä­ter erhielt der als Fürstbischof von Ce­tinje mit quasi­königli­cher Macht re­gie­ren­de Mo­der­ni­sie­rer des Landes den Bei­namen Njegoš. Sein Geburtshaus im hin­te­ren Teil des Dor­fes kann heute be­sich­tigt werden, wovon während der Schul­zeit vor allem Schü­ler­gruppen Ge­brauch machen. Das zweistöckige An­wesen ist eher schmuck­los, sticht aber im Um­feld der sehr einfachen Neu­bauten deutlich her­vor. Auf zwei Stock­werken sind Gegen­stände aus Petars Jugend ausgestellt, es do­mi­nie­ren aber Er­in­ner­ungs­stü­cke, die sich the­matisch um sein bekanntestes Werk Gorski Vijenac („Der Bergkranz“) grup­pie­ren.

    Lange hat sich Njegoš in Njeguši nicht aufgehalten, seine Ausbildung er­hielt er in den­ Klöstern von Cetinje und Herceg Novi, seinen staats- und welt­män­ni­schen Schliff in Wien und St. Pe­ters­burg. Die Regierungsgeschäfte über­nahm Pe­tar II. be­reits im Alter von 17 (bzw. 19) Jahren (1830), seine Mo­der­ni­sie­rungs­leis­tung be­stand vor al­lem in der Institutionalisierung des Lan­des: Unter anderem wurde un­ter sei­ner Ägide erstmals ein Senat ein­be­ru­fen, ein Schul­system begrün­det und die Er­hebung von Steuern zur Fi­nan­zie­rung einer modernen Verwaltung an­geordnet. Auf­ dem Gebiet von Kunst und Wissen­schaft tat er sich neben sei­ner Bel­letristik mit einer Grammatik und einem Wörterbuch des Serbischen hervor. Be­reits 1851 starb Njegoš an den Folgen einer Lungenentzündung in Cetinje, be­gra­ben wurde er auf dem 1655 m hohen Jezerski Vrh hoch über seiner Geburts­stadt. Seine bis heute ungebrochene Popu­la­ri­tät verdankt der Fürst­bischof we­ni­ger seinem literarischen Werk als vielmehr seinen Bemühungen um eine panserbi­sche nationale Entität und Identität - be­sonders heute, im Kiel­was­ser des vor­geb­lich­ an der Ethnienfrage ent­zün­de­ten Bürgerkriegs, hat das ziemlich Kon­junktur.

    Weltanschaulich und politisch völlig unbelastet ist der Schinken, der vor Ort ge­räuchert und getrocknet wird - kaum ein Restaurant im Land, das unter der Rubrik „Vorspeisen“ auf njeguški pršut verzichten würde. In Njeguši kann­ man die fantastischen Schwei­ne­bei­ne direkt beim Erzeuger kaufen und in klei­nen Ver­kös­ti­gungs­stel­len auch probieren. Qualitativ und ge­schmack­lich muss sich der Schinken aus Njeguši hinter den Top-Erzeugnis­sen aus west­eu­ro­päischen Betrieben sicher nicht verstecken, die meist recht kräf­tige Räu­che­rung und lange Trocknungsphase lassen ihn stark an Spitzen­pro­duk­te aus dem Schwarzwald und Südtirol erinnern. Le­diglich den Fett­man­tel wür­den wir uns gelegentlich etwas dün­ner wünschen, aber Mager­keit war auf dem Bal­kan noch nie ein Qualitätskriterium. Der Weg zum EU-Qua­li­täts­siegel G. U. (ge­schützte Ursprungsbezeichnung) ist aller­dings noch weit, denn Schwei­neställe sucht man in Njeguši bislang vergeb­lich, die Tiere stam­men aus den großen Mastbetrieben Hollands, der serbi­schen Vojvodina und Zen­tral­ser­bien. Die strengen - politisch mo­ti­vier­ten - Im­port­richt­li­nien­ haben die­se feine Wurstware bislang aus un­seren hei­mi­schen Kühl­the­ken­ fern­gehalten.

    Nicht ganz so berühmt wie der Schinken, aber ebenfalls eine weit­ver­breitete De­l­ikatesse ist der njeguški sir, der mittelfest gereifte Kä­se aus dem Bergdorf. Die­ säuerliche Note und dichte Konsistenz äh­neln dem norditalienischen Fon­tina, der njeguški sir ist al­ler­dings deutlich kräftiger. Häufig wird dieser Kä­se auch in kleine Wür­fel geschnitten und für mehrere Monate in Olivenöl ein­ge­legt.
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