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  • Day 2,157

    Das 13. Festival der Artisten- Flic Flac

    December 27, 2022 in Germany ⋅ 🌧 8 °C

    Flic Flac- als unübersehbares gelb-schwarz gestreiftes Zirkuszelt thront es seit Jahren majestätisch zur Winter- und Weihnachtszeit u.a. auf dem Friedrichsplatz in Kassel, ist also kein Geheimtipp oder so.
    Trotzdem fragte ich mich nach meinem heutigen Spontanbesuch mit einem alten Freund und dessen Freundin, wie ich nach meinem ersten und letzten Besuch im Jahr 2016 (!) dieses Meisterwerk von Zelt, Technik, Show und Artistenkönnen so lange vergessen konnte. 24Euro ermäßigt und die drei letzten, höchsten seitlichen Plätze, die es im Saal gibt, die aber der Show keinerlei Abbruch taten, brachten in jeglicher Hinsicht Licht in meine, dieses Jahr besonders, dunklen Wintertage. Und die Motivation endlich mal wieder zu schreiben, was man in solchen dunklen Zeiten zwar manchmal am meisten bräuchte, aber am wenigsten tut 🎪

    Der Geruch von Popcorn, sanfte Aufregung in der Luft, schicke, erwartungsvolle Menschen, Familien und Pärchen, die beim Eintritt in das Zelt in gedämpfte Wände und die prickelnde Stimmung verstärkende Schwärze gehüllt werden. Dann zu den Rängen drängen, auf denen bis zu 1500 Menschen bei eine der beiden täglichen Shows Platz finden. Und dann ein Debakel, welches mich die ganze Schwere der letzten Wochen, in denen deprimierendere WinterBlues, Grippe, Corona und Schlappheit (bei vielen Menschen) , Liebeskummer, Produktivitäts- und Aufstehprobleme, Wetterchaos und globale Krisen am Gemüt nagten, kurzzeitig komplett vergessen ließ.
    Auch wenn in Anbetracht der globalen Krise ein Teil in mir denkt, er dürfe sich sowas irgendwie nicht gönnen, ist ein anderer Teil unfassbar dankbar für derartige Momente. Und beim magische Momente kreieren trumpft der im Jahr 1989 ganz klein gestartete und heute renommierte Zirkus auf diversen Ebenen: geniale Soundqualität und stimmungsvolle Songauswahl, reibungslose Übergänge, imposante Lichteffekte und nicht zuletzt unglaubliche und unschlagbare Performances der Artisten* und Akrobaten*, bei denen Individual-, Partner - und Gruppenperformances sich abwechseln. Von waghalsige (zB durch brennende Reifen mit geschlossen Augen springender Athlet "Aruba" ) über erstaunliche (zwei Frauen "Body Trapez") oder ulkige Nummern (zwei Männer die sich in "Naked Lunch" komödiantisch und stilvoll nackig machen) ist alles dabei.
    Bis auf bei Letzteren sind die Outfits dabei on point, stimmungsverstärkend und episch gestaltet (was an der hauseigenen Schneiderin liegen könnte).

    Und ja, es geht auch provokant bis dezent sexuell zu.. In diesem Zirkus...wenn man sich die Intensität der sich kaum bekleidet umeinander windenden Ungarnerinnen des "menschlichen Trapezes" vor Augen führt. Beide Haare offen. Dazu ein sinnlicher Song und die im Zuschauer aufkommende Frage, ob das wirklich so kindgerecht ist hier. Und ob man das sexy finden darf.
    Etwas sexuell bzw. eher sexistisch mutet die Tatsache an, dass die Frauen meist die eleganteren, sinnlichen, schwächeren Rollen spielen, während die männlichen Artisten wilder, stärker und krasser sind.
    Immerhin bestehen - wie die Männer auch- die Frauen nur aus Muskeln und in Kombination mit ihrer Leistung drücken diese alles andere als Schwäche oder Unterlegenheit aus.
    Obgleich mir diese dezent klischeehafte Einteilung kurz aufstößt und ich mich auch frage, ob es Backstage bei einem solch großen Zirkus wohl Sexismus gibt, wie wir ihn leider aus der Filmbranche kennen, sind die Künstler* voll in ihrem Element. Warum ihnen dieses absprechen? Und unsere zunehmend aufgeklärtere und sensiblere Gesellschaft (zumindest in meiner Blase!) ist auch bei derart hochklassiger Unterhaltung noch vom Pimmelwitz angetan, wie die Zaubernummer des Moderators Charlie Martin beweist.

    Flic Flac gelingt somit eine enorme Vielseitigkeit an Nummern und eine erstaunliche Internationalität allein aufgrund der Herkunft der Mitwirkenden einerseits und örtlicher Bezug (in diesjährigem Fall zu Joseph Beuys, "jajajajaj, nenenene", den man sich zuindest als Outro hätten sparen können ;) andererseits und auch erstaunlich viele deutsche, sehr kultige Lieder.
    Auf die gespannte Stille am Anfang folgt ein Einstieg mit großem Tam Tam und ein Abend der den Spagat schafft, klassische Zirkuselemente mit innovativem, eigenen Stil oder Attitüde, die sich als rockig, roztig provokant beschreiben lässt, zu kombinieren. Flic Flacs Markenzeichen. Was besonders eindrücklich wird, wenn man sieht, wie unfassbar cool und lässig z.B. Jongleur Sven Folco hier auftritt. Bei einer vollen Konzentration erfordernden Tätigkeit, die meist das Gegenteil von Coolheit bedeutet rockt er mit einem Trainingsanzug , umherwirbelnden Tennisschlägern und einer großen Portion Charme.

    Endlich mal wieder mit voller Konzentration bei etwas sein, sich fallen und mitreißen lassen zugleich, sich fesseln und beflügeln lassen, etwas nicht sehen wollen und absolut nichts anderes sehen wollen zugleich.
    Ja mit waghalsigen Shows, die beim Zugucken wehtun, verhält es sich offenbar wie mit Unfällen. Und auch davon gab es leider in der Mittagsshow welche, sodass ein Artist im Krankenhaus landete. "Vom Todesrad gefallen. Nur ein paar Prellungen, jaja, der steht nächste Woche wieder auf dem Todesrad" wie wir von der Mitarbeiterin am Merchstand erfuhren. Puh, alles hat seine Kehrseite. Und wie es sonst so hinter den Bühnen zu geht, fragt man sich nach einer derart glamourösen und unvergesslichen Show.
    Ob dieser Zirkus wie eine riesige Familie ist? Beim Voting, welches die Artisten* sehr gebannt verfolgen weil sie am Ende der Saison 1 von 3 Preisgeldern gewinnen können, sprachen wir mir einem "Helldriver" bzw. versuchten es, da er nur Spanisch sprach.
    Kaum vorstellbar, wenn alle Artisten* verschiedene Sprachen sprechen und divergenten Kulturen, Traditionen und Lebensweisen entspringen. Obwohl, inwiefern gibt es Raum für all das? Wenn alle schätzungsweise den ganzen Tag trainieren und bei der Show so viel Adrenalin und Dopamin ausgeschüttet wird, dass es keiner AfterParty bedarf und vermutlich eher in ein After Show Loch gefallen oder geturnt wird.
    Eine brilliante Show, bei der es doch Backstage nicht auch so glänzen kann, wie es in dem Begleitheft oder in Dokumentationen dargestellt wird, oder? Es wäre auf jeden Fall wünschenswert.
    Damit in einer Zeit der multiplen Krisen und Atemnot uns auch noch künftig der Atem geraubt werden kann, und zwar nicht durch die schlechten Küntstler*bedingungen die heruaskommen, sondern durch die atemberauenden Artisten*kunststücke, die die menschlichen Grenzen immer wieder anders zu erweitern vermögen und uns all die Krisenhaftigkeit der Welt in diesen kurzen Momenten der Ewigkeit vergessen lassen.
    Danke, Flic Flac!

    🎁Top Geschenkideen in diesem Zsmhang. für alle Fans und Preiskategorien:
    💛Tickets für 59€ in den besten Sitzkategorien
    🖤Bis 24€ ermäßigt in hinteren und höheren Reihen
    💛Merchandise wie ein Buch über die Artisten* für n Zehni
    🖤Feuerzeuge mit FlicFlac Emblem für 3Euro , die man tatsächlich jederzeit kaufen könnte, weil es tatsächlich möglich ist, in das Vorzelt ticketlos rein zu gehen. Na dann, frohes Flic Flac, frohes Futurfest :)

    Anmerkung zum Gendern:
    * Das Sternchenanhängen an die verkürzte Personenbezeichnung, die dem generischen Maskulinum entspricht, inkludiert alle darauf folgenden Buchstaben und ergo Artist*Innen und weibliche oder nicht binäre Vertreter*innen der Personengruppe
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