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  • Day 3

    Verhaltenskodex vs. Emanzipation

    October 9, 2022 in Jordan ⋅ ☀️ 23 °C

    Meine neue Reisebekanntschaft Caterina aus Mallorca reist ebenfalls alleine durch Jordanien. Somit liegt es erstmal nahe sich zusammen zu schließen. Ich finde sie schon nett, obwohl unsere Kommunikation aufgrund ihrer gebrochenen Englischkenntnisse und meiner ebenfalls gebrochenen Spanischkenntnisse teilweise doch holprig ist. Allerdings fällt mir ihre doch etwas zu offenherzige Kleidung direkt auf und da kommen bei mir schon die ersten fragenden Gedanken auf, ob es eigentlich in Ordnung ist sich in einem konservativ-muslimischem Land mit Hotpants und einem Spitzenträgertop zu kleiden. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich auf diese Frage für mich selber noch keine Antwort. Ich weiß nur, dass ich das für mich nicht so handhaben möchte, da ich von den Jordaniern nicht angeglotzt werden möchte. Alle jordanischen Frauen hier tragen ein Kopftuch, teilweise auch den Tschador. Es ist für Touristinnen keine Pflicht sich zu verschleiern, aber es ist schon angemessen wenigstens die Schultern und die Beine zu bedecken. Caterina zieht natürlich alle Blicke auf sich. Sowohl von den jordanischen Männern als auch von den jordanischen Frauen. Letztere ziehen ihre Männer geradezu weg, wenn ihre Blicke Caterina treffen. Andere Männer hingegen fotografieren sie sogar ungehemmt, was Caterina extrem wütend macht. Diese kontert mit aggressiven Sprüchen, wie z.B.: nur gucken, nicht zahlen! oder reißt den Männern ihr Handy aus der Hand um das von ihr illegal erworbene Foto zu löschen. Es ist unangenehm und auch übergriffig auf beiden Seiten. Ich frage, sie ob es nicht vielleicht doch besser wäre, sich der Kleiderordnung anzupassen, auch wenn ich ihre feministische Einstellung zu diesem Thema natürlich verstehen kann, und doch irgendwie auch nicht. Sie ist beleidigt, weil ich mich aus ihrer Sicht nicht loyal genug verhalte, obwohl ich doch auch eine westliche, emanzipierte Frau bin und somit selber betroffen. Ich bin hin und her gerissen auf welcher Seite ich denn nun eigentlich stehen soll. Ich will mich eigentlich gar nicht für eine Seite entscheiden müssen. Nach einigem Nachdenken, komme ich zu dem Schluss, dass es schon richtig ist, sich den gebräuchlichen Sitten anzupassen und das man es gegebenfalls auch als borniert bezeichnen könnte, wenn Frau es nicht tut. Wenn eine Frau aus einem indigenen, afrikanischen Volk in Deutschland barbusig umherreisen würde, bloß weil es in ihrer Kultur normal ist, sich oben rum nicht zu bedecken, wäre der Skandal in Deutschland ebenfalls groß. Aus meiner persönlichen Sicht, könnte die afrikanische, indigene Frau barbusig rum reisen, ohne das es mich stören würde, aber die Gesellschaft macht fest, was allgemein akzeptiert wird und was eben nicht. Ein einzelnes Individuum kann das für sich sicherlich anderes entscheiden, oder eine andere Meinung dazu haben, aber das Individuum konfrontiert dann nunmal die Gesellschaft mit dem allgemein nicht akzeptierten Verhalten und muss mit den negativen Reaktionen dann auch umgehen können. Ich spare mir dieses Protestverhalten lieber für Situationen auf, wo ich es angemessener finde meinen Unmut über bestimmte Verhältnisse zu demonstrieren. Ich will hier niemanden mit meinen Vorstellungen von Emanzipation belehren bzw. provozieren, denn dazu bin ich nicht hergekommen. Ich will ja in die hier herrschende Kultur eintauchen und dazu gehört es wohl auch ein Stück weit, dass ich sie zumindest für die Dauer meines Aufenthaltes akzeptiere und mich entsprechend anpasse.
    Nichtsdestotrotz habe ich einen schönen Aufenthalt in der Hauptstadt, indem ich noch mehr monumentale, antike Gebäude bestaune, das Nationalmuseum besuche, zum quietschsüßen Tee eingeladen werde, Shisha rauche und den super herzlichen Jordanier Hamza kennen lerne.
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