• Tag 11 - Holy Moly

    7 agosto, Grecia ⋅ 🌙 28 °C

    Einer der größten Herausforderungen auf dem Segeltörn ist und bleibt für mich die tägliche Ungewissheit. Durch die fehlende Kommunikation wusste man einfach nicht, was während des Tages passiert. Ein Plan für den Tag: Gab es nicht.
    Mein deutscher Alltag ist geprägt von TO-DO Listen, Routinen und durchgeplanten Tagen. Ich habe IMMER einen Plan und wenn Plan A nicht ausgeführt werden kann, dann eben B, C oder D. Aber ich habe ein Plan, bin steht’s bemüht lösungsorientiert zu sein und brauche ein Ziel vor Augen. Auch wenn es nur bedeutet, dass heute Chill Day ist. Aber ab dem Moment, wo ich gar nicht weiß, was auf mich zukommen könnte, macht sich ein Gefühl des Unwohlseins breit.
    Bis ca. 12 Uhr gab es keinerlei Auskunft über die heutige Tagesplanung. Das Sinnvollste für mich ist in diesem Moment ABLENKUNG: Lesen, Musik hören, Netflix

    Gestern Abend hatten wir in einer Bucht geankert. Bei den letzten Malen ankerten wir über einen einzigen Fixpunkt (Anker). Ab dem Moment, wo das Boot lediglich über den Anker befestigt ist, dreht es sich jedoch bei Wind und Strömung um die eigene Achse. Da wir gestern Abend jedoch schon deutlich spürbaren Wind hatten befestigten wir im Laufe des Abends zwei weitere Leinen an Land.
    Für die erste Leine mussten wir an Land schwimmen, das eine Ende am Felsen befestigen und mit dem anderen Ende zurück zum Boot schwimmen. Sicherlich hätten wir auch mithilfe des Schlauchboots die Leine befestigen können. Jedoch wollte das Karsten nicht. Fürs Erste übernahm Lisa die Aufgabe. An Land hatte sie jedoch Probleme die verknoteten 25 Meter Leine zu entknoten, um zurück zum Boot zu schwimmen. Ich schwamm ihr zur Hilfe. Im Teamwork erledigten wird die Aufgabe ausgezeichnet 😜

    Karsten meinte, fürs Erste würde eine Landleine ausreichen. Gegen Abend stellte er jedoch fest, dass der Wind deutlich zu nahm und er vorsichtshalber noch eine weitere Landleine um den Felsen befestigten wollte. Diesmal fuhr er glücklicherweise selbst mit dem Schlauchboot raus und befestigte die zweite Landleine.

    Die Nacht war erträglich, sicherlich nicht meine Beste, aber völlig akzeptabel.

    Am nächsten Tag fuhren wir gegen Mittag zurück nach Leros.
    Als wir den Anker am nächsten Tag reinholten, befand sich auf den letzten Metern unerklärlicherweise ein Knoten in der Kette.
    Bernd zog die letzten Meter den Anker mit voller Muskelkraft an Board.
    Auch die Kette war unglaublich schwer und mit diesem Knoten recht unhandlich, jedoch agierte ich voller Intuition und löste den Knoten in der Kette in wenigen Minuten.

    Nachdem wir den Anker erfolgreich hochgeholt und die Kette einsortiert hatten, ging die wilde Fahrt los.
    Wir segelten mit Rückenwind und erreichten teilweise eine Geschwindigkeit von rund 10 Knoten. Umgerechnet waren das 18,52 km/h und für Segelverhältnisse eine wirklich zügige Reisegeschwindigkeit.
    Nach einiger Zeit fragt mich Karsten ob ich auch ans Steuer wollte. Meine erste Antwort war „Nein“. Nachdem er nochmals nachfragte und mir fühlbar mehr Sicherheit gab, änderte ich meine Meinung.
    Ich verneinte die erste Nachfrage, weil sich in mir plötzlich ein bedrückendes Angstgefühl aufstaute. Wir hatten letztens über ein vergleichbares Thema gesprochen: Wenn dein erster Tauchgang von einem ungeduldigen Divemaster begleitet wird, man mit dem Druckausgleich zu kämpfen hat, Schmerzen bekommt und sich ausgeliefert fühlt, probiert man in den meisten Fällen keinen zweiten Tauchgang. Und so ähnlich erging es mir die vergangenen Tage, als ich das erste Mal das Steuer in der Hand hielt.
    Das Segelboot stellte sich durch meine fehlerhafte Handlung schräg und die Segel flatterten lautstark im Wind. Die Hilflosigkeit in diesem Moment war grenzenlos.
    Heute jedoch erklärte mir Konstantin den Umgang mit dem Steuer. Die nächsten Worte gehen an dich, lieber Konstantin:

    Konstantin, ein vor Charme sprießender und durch und durch von Segelerfahrung gezeichneter Österreicher, dem ganz augenscheinlich das Blut seines Urgrossvaters, einem hochdekorierten österreichisch-ungarischen Marineoffiziers, heißblütig durch die Adern schießt, überzeugte nicht nur mit seiner täglichen Restaurantwahl, sondern, wie jeden Tag, mit außerordentlichen Fertigkeiten an Deck.

    Nach einiger Zeit sprach Karsten ein Lob meiner Steuerkünste aus, völlig überrascht und mit erhobenen Hauptes segelte ich weiter Richtung Leros in den Hafen von Alinda. Plötzlich pfiff eine stürmische Windböe in die Segel der Eigen One. Das Segelboot stellte sich in den Wind und ohne Zögern lenkte ich die Eigen One wieder auf Kurs.
    Wow!! Was für ein Erlebnis!!

    Kurz vor dem Hafen übernahm Karsten wieder das Steuer. Danke für die spannende Erfahrung!
    Karsten steuerte längsseitig auf die Pier zu und wollte mit dem sogenannten Eindampfen entlang der Pier anlegen.
    Es wurde ein wenig hektisch auf dem Segelboot. Wir befestigten alle Fender auf der jeweiligen Seite, machten vorne und hinten die Leinen bereit und Karsten fuhr mit einem spitzen Winkel gegen die Pier. Der Wind kam mit voller Kraft von vorne. Und plötzlich ereignet sich ein Fehler nach dem anderen.
    * vor Beginn des Manövers wurde der Anker startbereit für seinen Einsatz aus der Haltungen gefahren (jedoch wurde der Anker für das Manöver gar nicht benötigt)
    * beim Festmachen der vorderen Leine missachteten wir die Befestigungsregel. Bei Doppelführung der Leine, sollte die Leine vom Bug (vorderer Teil eines Bootes) zur Pier und denselben Weg zurück nehmen. Wir bildeten ein uncharmantes Dreieck.
    * bei der Rückmeldung, ob die Länge der Vorspring (also die vordere Leine) lang genug für das Manöver war, wurde dies bestätigt.

    All diese Punkte führten zu einem wirklich unvergesslichen Erlebnis. Das Segelboot hatte für einen kurzen Moment die perfekte Position, drückte sich jedoch nochmal von der Pier weg, das Heck driftete raus und der Bug beschleunigte Richtung Pier. Von weitem hörte ich nur: „Selina!! Halte den Fender dazwischen“ Ich beeilt mich, jedoch waren unzählige Leinen im Weg und ich verpasste um ein Haar den Zusammenstoß. Der Bug berührte die Pier und dazwischen der losgelöste Anker. Das Geräusch war unerträglich. Es hörte sich an als hätte der Anker in die Frontseite des Bugs eingestochen und alles zerstört. Der Anblick: unerträglich.
    Es half nichts. Im ersten Moment mussten wir das Manöver zu Ende fahren und das Boot sicher an der Pier befestigen. In mir breitete sich eine unfassbare Panik aus, ich zitterte am ganzen Körper und ich sah schon vor meinem inneren Auge all meine Ersparnisse davon fliegen.
    Nachdem wir das Segelboot sicher an der Pier befestigt hatten, schauten wir uns den Schaden an. Aber da war nichts. Kein Loch, keine Delle, vielleicht eine kleine Kratzer, jedoch nicht feststellbar ob der Kratzer schon vor dem Manöver existierte.
    Holy Moly meine Nerven! Was für ein Abenteuer der Gefühle. Man konnte wortwörtlich nur von Glück sprechen, dass bei diesem unharmonischen Zusammentreffen zwischen betoniertem Pier und Bug nichts passiert war. Hätte ich den Zusammenstoß allein über die Akustik bewerten müssen, wäre das ein unnormaler Schaden gewesen. Dieses Geräusch werde ich nie wieder vergessen. Unfassbar!!

    Um 19 Uhr gingen Bernd, Lisa, Konstantin und ich in einen der zahlreichen Tavernen essen. Konstantin hat sich mit der Auswahl mal wieder selbst übertroffen. Das Essen war ausgezeichnet und beendete diesen aufregenden Tag mit einer Kirsche auf der Sahnehaube.
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