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  • Erdbeben und sehr schöne Natur

    July 7, 2017 in Italy ⋅ ☀️ 31 °C

    Am heutigen Tag wollten wir die Abruzzen nicht per pedes, sondern mit dem Fahrrad erkunden. So der Plan.
    Der Monte Mezzo ist 2.153 m hoch liegt am Lago de Campotosto. Als ich Infos zu dieser Bergregion einholte, erfuhr ich, dass man im Dorf Campotosto einen Fahrradverleih vorfindet. Dieses warb im Internet mit einer zwar anspruchsvollen, aber auch sehr reizvollen Tour um den kompletten See.
    Also setzten wir uns ins Auto und machten uns auf den Weg. Schon die Anfahrt zu unserem Zielort war ein Erlebnis. Sanfte Hügel, dichte Wälder und enge Schluchten wechselten sich in kurzen Takten ab. Eine bequeme Art, alles vom Auto aus zu bestaunen.
    Dann endlich, der erste Blick auf dem See. Wenn man den grandiosen Anblick des blauen, glitzernden Lago in sich aufnimmt, glaubt man kaum, dass hier einmal im großen Stil Torf abgebaut wurde. So um 1930 wurde dann dieses Becken geflutet und ein weitläufiger Stausee angelegt, der auch zur Stromerzeugung genutzt wird. Der See steht unter Naturschutz und ist Teil des Nationalparks Gran Sasso e Monti della Laga. An manchen Stellen erheben sich steile und bewaldete Hänge aus dem See, an anderen Stellen befindet sich ein sanfter Strand. Wer die Zeit hat, sollte auf jeden Fall den Monte di Mezzo mit ins Besuchsprogramm aufnehmen. Dort gibt es eine geniale Aussicht über den See und zum Grand Sasso und dessen Corno Grande. Aber Vorsicht, man sollte sich vorher genau erkundigen. Zum Gipfel führt sowohl ein relativ leichter als auch ein deutlich anspruchsvollerer Weg. Letzterer setzt Schwindelfreiheit, Trittsicherheit, Orientierungsvermögen und Klettererfahrung voraus. Der Einstieg ist etwas unterhalb des Dorfes in einer Linkskurve. Wir entschieden uns diesmal gegen eine „Gipfelerstürmung“, schließlich stand für heute eine Radtour auf unserem Plan.

    So fuhren wir immer noch mit dem Auto den See entlang und amüsierten uns über die Italiener, die hier wild campten und das Wochenende einläuteten. Da der See zum Naturschutzgebiet gehört, gibt es keine Parkplätze direkt am Seeufer. Die Haltebuchten befinden sich vielmehr unmittelbar an der gut befahrenden Landstraße. Dort sitzen die Camper vor ihrem Wohnwagen auf ihrem Camping-Equipment und beobachten den Verkehr. Einige haben sich ihren Grill aufgebaut, manche noch ein Zelt. Ich finde es etwas befremdlich, denn es gibt wirklich viele sehr schöne, abgeschiedene Campingplätze in den Abruzzen. Warum campt man wild direkt an der Straße? Mir erschließt sich das nicht.

    Je weiter wir an dem See entlang fuhren, wuchsen in mir die Zweifel, ob wir an unserer Radtour-Idee festhalten sollten. Die viel befahrende Straße, der Fahrstil der Italiener sowie offensichtlich fehlende Radwege trugen zumindest nicht zur Motivation für ein solches Vorhaben bei. Ob das wirklich ein so guter Tipp war?

    Wir fuhren weiter die Uferstraße entlang und bogen dann rechts ab, den Berg hinauf zu dem kleinen Ort Compotosto. Der Ort liegt sehr idyllisch am Berghang mit einem weiten Blick über den See. Wir passierten mehrere Campingplätze und kleinere Hotels. Sie wirkten überwiegend menschenleer und verlassen. Keine Touristen waren zu sehen. Was war passiert? Dieses Dorf liegt doch so schön und bietet einen so tollen Ausblick.

    Und dann nach der nächsten Kurve stockte uns der Atem. Auch hier hatte ein Erdbeben gewaltige Zerstörungen hinterlassen. Es waren keine Anzeichen für einen Wiederaufbau zu erkennen. Lediglich an einigen Stellen hatte man versucht, den Schutt nach den verschiedenen Materialien zu sortieren. Es schien ein vergessenes Dorf zu sein. Der zerstörte Ortskern samt Schule hinterließ einen deprimierenden Eindruck. Nirgendwo waren Kinder zu entdecken. Lediglich einige alte Menschen waren offenbar nicht bereit gewesen, ihre Häuser vollständig aufzugeben. Sie wurden versorgt durch einen kleinen Verkaufscontäiner mit einer sehr überschaubaren Auswahl von Dingen des täglichen Bedarfs. Wir blieben eine Weile, um die Eindrücke zumindest ansatzweise zu verarbeiten. Ich dachte noch, wow, was für eine heile Welt, und dann dieser Schlag in die Magengrube. Sprachlosigkeit machte sich breit. Die von Depressionen und Hoffnungslosigkeit geprägten Gefühle der Menschen in diesem Ort waren unübersehbar. Viele Straßen waren abgesperrt und zu „roten Zonen“ erklärt worden. Eine vorbeifahrende Polizeistreife beobachtete uns kurz. Zählte es zu ihren Aufgaben, Plünderungen zu verhindern? Was sollte man hier noch an Wertsachen finden, ohne sich in Lebensgefahr zu bringen?

    Abgesehen davon, dass es den Fahrradverleih nicht mehr gab, war uns die Lust auf eine Fahrradtour vergangen. Ziemlich nachdenklich traten wir unseren Heimweg an. An einem kleinen Restaurant machten wir einen Zwischenstopp. Es wurde als Familienbetrieb geführt. Eine Speisekarte existierte nicht. Die Tochter des Hauses erzählte uns, was es Nettes aus der Küche gab. Hierzu zählten diverse Köstlichkeiten aus der Region und natürlich frisch gefangenen Fisch aus dem See. Alles sehr ursprünglich und typisch abruzzesisch. Wir genossen die kulinarischen Leckerbissen sowie den Ausblick auf die untergehende Sonne über dem Lago di Compotosto. Dann führte uns der Weg wieder zurück nach Sankt Steffano.
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