Satellite
Show on map
  • Day 9

    Grüne Maronen kann man essen

    October 2, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 9 °C

    Heute gönne ich mir ein ausgiebiges Frühstück und nehme mir hierfür viel Zeit. Es ist schließlich Sonntag. Der Weg, den ich heute gehen möchte, ist eine Alternative zum Jakobsweg Villafranca-O Cebreiro. Er nennt sich Camino duro, der harte Weg. Im Mittelalter wurde er vor allem in Zeiten genutzt, in denen die Route durch das Tal wegen der oft Hochwasser führenden Flüsse unpassierbar war. Der Name macht der Etappe alle Ehre. Schon der erste Anstieg ist eine enorme Herausforderung. Kurz überlege ich, ob es sinnvoll ist, auf allen Vieren hinauf zu kraxeln. Letztlich helfen mir meine Stöcke, die Steigungen zu meistern. Ich gewinne schnell an Höhe und werde immer wieder mit tollen Aussichten belohnt. Lange Zeit bin ich hier oben ganz alleine unterwegs. Aber an den Spuren kann ich erkennen, dass kurz vor mir schon jemand diesen Weg gewählt hat. Aufkommende Gedanken an Wildschweine, Schlangen und wilde Hunde versuche ich zu verdrängen. Ich frage mich, ob hier auch Bären anzutreffen sind. Ich erinnere mich an ein Hotel und eine Bar im Dorf mit dem Namen "Al Oso", also "Zum Bären". In einem Zwiegespräch überzeuge ich mich selbst, dass diese Namensgebungen lediglich mit lang vergangenen Zeiten zusammenhängen.
    Der Weg ist mit gelben Pfeilen recht gut markiert. Dennoch ist etwas Orientierungssinn erforderlich. Man spürt, dass diese Wegvariante nicht mehr ganz so gut gepflegt wird. Nach einer Weile erreiche ich einen Esskastanienwald. Ich treffe auf Einheimische, die die nächste Maronen-Ernte vorbereiten. Sie grüßen freundlich und wünschen einen guten Weg. Gedankenverloren laufe ich weiter und muss schon bald feststellen, dass der Weg abrupt endet. Ich gehe ein Stück zurück, um nachzuschauen, ob ich eine Abzweigung verpasst habe. Ich finde einen abzweigenden Pfad, der aber weder mit einem gelben Pfeil noch mit einer Muschel gekennzeichnet ist. Auch mein Handy-Navi hilft mir an dieser Stelle nicht weiter. Ein älterer Herr kommt auf mich zu und spricht mich an. Obwohl er kein Deutsch und ich kein Spanisch spreche, kommt es zu einer kleinen Unterhaltung. Er gibt mir zu verstehen, dass hier früher viele Pilger durchgezogen seien. Heute wählten die Pilger meist jedoch die bequemere und die schneller zum nächsten Etappenziel führende Talroute. Er hilft meiner Orientierung auf die Sprünge, so dass ich ich dem Camino duro weiter folgen kann.
    Vorher führt er mich jedoch in die Geheimnisse der Maronen ein. Er zeigt mir, wie man grüne Kastanien schält. Es müssen genau drei Schalen entfernt werden, dann kann man sie essen. Er versichert, dass sie im grünen Zustand aufgrund ihrer wertvollen Inhaltsstoffen besonders gesund seien. Wir schälen eine Zeit lang gemeinsam die Maronen und verzehren sie sogleich. Dann beginnt er wieder mit einem Gemisch aus Spanisch, Italienisch und Englisch zu erzählen. Danach habe man zeitweise nur braune Maronen geerntet. Man habe sich jetzt aber wieder an Rezepte der Großeltern erinnert und verwende grüne Maronen zum Backen von Brot und zur Zubereitung von süßen und herzhaften Speisen. Wir verabschieden uns, nicht ohne dass er mir noch eine Wegzehrung von geschälten Maronen mitgibt.
    In meinem Hotel angekommen, treffe ich leider Liliana nicht an. Sie wollte die Strecke mit dem Taxi zurücklegen. Ich gehe auf mein Zimmer, dusche, wasche meine Wäsche und mache mich stadtfein. Telefonisch erfahre ich von Liliana, dass sie kein Taxi bekommen hat und deshalb zu Fuß auf der Talroute unterwegs ist. Ich entscheide kurzerhand, ihr entgegen zu gehen. So komme auch ich noch in den "Genuss" der heute gängigen Wegvariante durch das Tal. Lustig sind die Gesichter der entgegen kommenden Pilger. So mancher fragt mich, ob ich noch in die richtige Richtung laufe. Ich sage nein, aber manchmal muss man eben auch mal gegen den Strom schwimmen.
    Read more