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- Jun 7, 2023
- ☁️ 27 °C
- Altitude: 94 m
- SpainBasque CountryMendataMarmiz43°17’51” N 2°38’22” W
Hawaii
June 7, 2023 in Spain ⋅ ☁️ 27 °C
Wanderung 6, Tag 6, WT 4, Markina-Xemein - Bizkaia, 21,35 km, Steigung 650 Meter, Gehzeit 7:25, Mittwoch, 7.6.2023
Ein Tag Pause war nichts, aber besser als gar keine. Immer noch peinigten uns diverse- und aufsummierte Muskelkater der letzten Wandertage, es war schlimm. Kaum vorstellbar, dass wir heute wieder wandern wollen.
Ein Taxi brachte uns zurück zum Steinturm, dem „Torre de Barroeta“, Endpunkt von vorgestern.
Am späten Nachmittag würde uns der Fahrer am neuen Endpunkt, bei der gut einundzwanzig Kilometer entfernten Kirche, „Iglesia Santo Tomás“, wieder abholen und zurück zum Hotel nach Durango fahren, es winkten gute Geschäfte.
Die Wanderung begann auf einer kleinen Nebenstraße, die sich trügerisch mit ihrem leichten Gefälle präsentierte. Ihre hinterhältige Absicht war es, uns von den vor uns liegenden drei Anstiegen, mit insgesamt 650 Höhenmetern, in vermeintliche Sicherheit zu wiegen.
Nach ein paar hundert Metern luscherten wir neugierig durch eine offene Tür in ein eigenartiges Gebäude. Es war die Einsiedelei von „San Miguel de Arretxinaga“, sah aber von außen gar nicht so aus. Angeblich eine Barockkapelle deren Schlichtheit nicht gerade daran erinnerte. Das beeindruckende aber waren drei große-, über 40 Millionen Jahre alte Felsen, so angeordnet, dass sie eine Art innere Kapelle in der Kapelle bildeten. In der Mitte, unter den mächtigen Felsen, wurde man von einer christlichen Figur-, keine Ahnung wen sie darstellen sollte, beobachtet. Wer mehr dazu wissen möchte wird hier fündig.https://www.euskadi.eus/ermita-de-san-miguel-de…
Eine viertel Stunde später revidierten wir unser Vorurteil über „Markina-Xemein“. Der Ort, mit seinen fünftausend Basken, war nicht ganz so klein und unbedeutend- aber vor allem auch schöner als wir dachten.
Die nächsten drei Kilometer führte uns ein komfortabler Kiesweg, eingebettet in einen schmalen-, auenähnlichen Grünstreifen, entlang des kleinen Flüsschens „Artibai ibaia“. Die Häuser verloren sich nach und nach, was eine Fülle von Auen-Vögeln mit ungewöhnlichen Stimmchen auf der Suche nach Partnern, mit sich brachte.
Nach gut fünf Kilometern saßen wir in so etwas ähnlichem wie einem verkommenen „Biergarten“ an der nicht minder verkommenen Bar „Armola“, inmitten der vermutlich nicht verkommenen- aber wenigen Seelen von „Iruzubieta“, immer noch am Flüsschen „Artibai ibaia“ und direkt am Camino gelegen.
Die wenig frequentierte Hauptstraße trennte Bar und Biergarten sowie die wenigen Häuser des Ortes. Ein paar Hardcore-Pilger genossen ihre Rast ebenso wie wir, Zeit für einen Cortado, letze Erholung vor der ersten Gemeinheit des Tages. Nur kurz zum Verständnis, Hardcore-Pilger sind die mit dem Riesenrucksack, die sich lange-, vom Schnarchen erfüllte Nächte, in einer von anderen Pilgern gewürzten Luft, in einem engen Etagenbett eines endlosen Schlafsaales, um die Ohren hauen. Sie verdienen von uns Weicheiern das uneingeschränktes Beileid plus unsere volle Bewunderung.
Nach dem ersten, schweißtreibenden Anstieg, so zu sagen zum Warmlaufen vor der ersten echten Gemeinheit, zauberte uns der kleine, schöne und sehr gepflegte Ort „Ziortza-Bolibar“ ein wohlwollendes Lächeln ins Gesicht. Er ließ uns die erste Anstrengung des Tages vergessen. Seine steinalte- und monomentale Kirche war wie gehabt, für gläubige- und ungläubige Pilger geschlossen, Beten nicht erlaubt. Gut, dass ich nicht beten muss. Aber als Gläubiger wäre ich da schon sauer. Bisher waren alle Kirchen am Weg verschlossen, da könnte man einem Pilger viel über deren geschichtsträchtige Vergangenheit vorlügen.
Was nun folgte war ein uralter- und extrem steiler Pilgerweg, seit vielen hundert Jahren unverändert, er würde die größte Gemeinheit des Tages werden. Solche Wege zeichnen sich durch einen unregelmäßigen Verbund runder Steine aus auf dem es sich nur schwer gehen lässt, besonders bei einem steilen Anstieg. Ständig knicken einem die Füße um. Er führt hinauf ins zwei Kilometer entfernte-, alte Kloster „Zenarruzako Santa Maria Kolegiata“ und weiter über den Berg.
Während sich mein T-Shirt mit Schweiß nur so vollsog, ich staune immer wieder wieviel Liter so weig Stoff an Flüssigkeit aufnehmen kann, begegneten wir "Hawaii".
Hawaii, keine Ahnung wie er wirklich hieß, war ein überaus freundlicher Typ um die fünfzig, der mit seiner Frau am Wegesrand vom bisherigen Aufstieg nach Luft rang. Endlich einer der eine schlechtere Kondition hat als wir, dachte ich leicht schadendsfroh, Verzeihung. Die adrette Kleidung sowie die fröhliche Offenheit der Beiden zeugte davon, dass sie offensichtlich nicht zur Gruppe der Schlafsaal-Märtyrer gehörten, sie hatten vermutlich gut geschlafen.
Er, „Hi, how are you?“ ich, "I'm doing fine, thanks", was natürlich gelogen war. Ich verfluchte gerade wieder einmal, völlig außer Atem, diesen scheiß Weg, während mir die Schweißtropfen vom Kinn auf das bereits getränkte T-Shirt platschten das mittlerweile seine Kapazitätsgrenzen erreicht hatte. Die beiden waren aus Hawaii, wow, er war Priester, so, so. Ich bemerkte gleich, dass er irgendwie anders war, denn so einen netten Menschen kann es eigentlich gar nicht geben, zumindest nicht in meinem bescheidenen Horizont. Da musste schon ein Gott seine Finger im Spiel haben, sonst geht das nicht.
Mit dem neunten Kilometer war die Hälfte des ersten großen Leidens überwunden, der steilste Abschnitt lag hinter uns. Wir standen in der Klosteranlage von „Zenarruza“ mit ihrer alten Stiftskirche die, man glaubt es kaum, sogar geöffnet war.
Das Kloster gilt als ein nationales Denkmal- und ist eines der Schätze des Baskenlandes. Es beinhaltet eine gotische Stiftskirche aus dem fünfzehnten-, und einen Kreuzgang aus dem sechzehnten Jahrhundert, sowie mehrere historische Nebengebäude des Klosterlebens. Auch eine Pilgerherberge gab es hier, angeblich. Kaum vorstellbar, so menschenleer wie es hier war. Hier zu übernachten, würde bei mir unmittelbar Depressionen auslösen. Es gab nichts worüber man sich erfreuen konnte nur alte Steine und ganz, ganz viel unangenehme Stille, erdrückend. Ohne weitere Menschen in unserer Umgebung verfielen wir, von der Stille genötigt, sofort ins Flüstern. Im Mittelalter und insbesondere während der Renaissance war das Kloster übrigens eine wichtige Enklave des Camino.
Wir ließen uns im Kreuzgang nieder und ruhten uns aus. Marion hatte, neben anderen Beschwerden, insbesondere Knie, obwohl es bereits in allen erhältlichen Farben mit deren therapeutischen Fähigkeiten, getapt war, nicht gut.
Mit dem elften Kilometer passierten wir, ohne dass irgendein Hinweis unsere Leistung gewürdigt hätte, den höchsten Punkt des vierhundert Meter langen Aufstiegs.
Es folgte ein ebenso mühsamer Abstieg durch den Wald. Teilweise war das Gelände so steil und glitschig, dass für die Pilger elend lange Holztreppen gebaut wurden. Marion fluchte, die Stufen gaben ihrem Knie den Rest, meine waren ebenfalls kaum noch belastbar.
Müde ließen wir uns am Dorfplatzes von „Munitibar“ nieder. Ein öffentlicher Brunnen war eine gute Gelegenheit, um unsere dezimierten Wasservorräte wieder aufzufüllen. Ohne einen gewissen Wasservorrat wurde Marion immer leicht panisch, was beim Wandern stets für Stress sorgte.
Von den Vierhundertdreiundsiebzig Einwohnern bekamen wir nur wenige zu Gesicht.
Gleich hinter dem Ort erkämpften wir uns das nächste Tagesleiden, zwar deutlich kürzer als das davor, aber mit vierzehn Prozent Steigung genauso steil. Keine Frage, dieser Pilgerweg war eine Tortour.
Der nun folgende Lohn war eine wunderschöne Landschaft. Ein ausgewogener Mix aus Wiesen, und Wäldern, eingebettet in eine liebliche Hügellandschaft. Dazwischen wenige-, aber gepflegte Häuser und Höfe im traditionellen Stil. Auch das ist der Camino. Schönes muss man sich eben hart erarbeiten.
Wieder im Wald und mit dem achtzehnte Kilometer, schleppten wir uns auf den letzten Hügel vor unserem Ziel, der „Iglesia Santo Tomás“. Im Vergleich zu den vorangegangenen Steigungen eher lächerlich, dennoch forderte sie unsere letzten Kräfte.
Mit dem einundzwanzigsten Kilometer ließen wir uns kraftlos in eine der Bänke vor der Kirche fallen. Vor uns der Ausblick über das weite-, fast unberührte Tal, hinter uns die gotische Kirche aus dem sechzehnten Jahrhundert die uns heute jedoch nicht mehr interessierte, ohnehin wäre sie verschlossen gewesen, ganz bestimmt.
Unser Taxi brachte uns zurück zum Hotel nach Durango. Der Fahrer war voller Erwartungen morgen seine Brieftasche erneut füttern zu können.
Unsere Erwartung war dagegen eine Dusche und ein erholsames Dinner in der Altstadt von Durango. Die Vorfreude nach so einer Anstrengung lässt sich kaum vermitteln.Read more