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  • Day 384

    Sackläuse zum Abschied

    February 4, 2019 in India ⋅ ⛅ 32 °C

    Vier Uhr morgens. Der Wecker ruft. Die Frisur sitzt. Also meine. Sue wirkt etwas zerzaust. Wir müssen trotzdem los, der Zug wartet bekanntlich nicht. Aber verspäten tut er sich natürlich gerne, der miefige Koriander Regio Express. Schnellzug geht anders, aber wir wollen ja was vom Land sehen. Runtergekühlt auf Eiszeit, wie sie aktuell in Amerikas Norden herrscht, tingeln wir in Richtung Mumbai. Ich schaue mir das vorbeifahrende, aufwachende Land an und die zerzauste Sue erholt sich von der anstrengenden Woche Strandurlaub und pennt. Wir sind offensichtlich die einzigen Touris im ganzen Zug - auf der Suche nach unseren Sitzen, weiss der Kontrollör sogar ungefragt meinen Vornamen - und spürbar aussergewöhnlicher als noch in Goa am Strand. Kaum ist die zerzauste Sue aufgewacht, schleicht sich auch schon ein Creep mit komisch wirrem Blick an, verwickelt die Schöne in ein banales Gespräch und will sie dann heiraten. Von mir will der Komiker Geld, Kekse, mein Hawaii-Cap und nochmals Geld. Und natürlich meinen schönen Hotspot. In der Reihenfolge und in vollem Ernst. Ich gewähre ihm nichts davon. Der frechen Sau. Zum Glück scheint der Rest der Mitfahrenden weniger aufdringlich und teilweise sogar freundlich. Zumindest im Ansatz.

    Freundlich ist auch der Taxifahrer am Bahnhof in Mumbai. Jaja, nach Taxometer fahren. Kein Problem. Im Taxi stimmt auch die Grundtaxe von zweiundzwanzig Rupien auf der Anzeige. Man schätzt, die Fahrt von drei Kilometern würde etwa siebzig Einheiten kosten, also etwa eintausendfünfhundert Rupien. Das sind mehr als zehn Mal so viel, wie ein Taxi mit vier Rädern kosten sollte!?! Den Taxometer-Revisor würde ich gerne kennenlernen. Oder auch nicht. Verdammte Abzocker. Wirklich verstörend ist die Tatsache, dass die beiden Herren auch nach unserer klaren Absage noch minutenlang und mit den wildesten Argumenten versuchen, uns von der Richtigkeit ihres Fahrpreises zu überzeugen. Wie The Donald mit seiner beknackten Mauer. Wir erzwingen einen sofortigen Shutdown beziehungsweise eine sofortige Rückkehr zum Bahnhof und bestellen ein Uber.

    Auch sonst sehen wir hier kaum ein freundliches Gesicht. Es fällt auf, dass auch die Inder untereinander ziemlich unfreundlich sind. Zumindest im privaten wie auch öffentlichen Verkehr. Komische Vibes in diesem Mumbai. In kaum einer Stadt ist der Gegensatz von arm und reich so gross wie hier, was der Film und Oscargewinner Slumdog Millionaire eindrücklich zu porträtieren wusste. Also gut möglich, dass eine grosse Mehrheit hier einfach nichts zu lachen hat. Trotzdem, wir sind ein wenig enttäuscht. Ein Lächeln kostet bekanntlich nichts und hat universelle Wirkung, auch auf einen selbst. Nach den leichten Anfangsschwierigkeiten lächle ich einfach umso mehr. Ist ja bekanntlich auch hoch ansteckend. Wie Syphilis und Sackläuse. Einfach beliebter.

    Und siehe da, meine Sackläuse verbreiten sich ziemlich schnell. Sue lächelt bald auch mit. Andere auch. Wir lassen uns ausserdem von Studenten durch Central Mumbai, Dharavi - der dichtbesiedeltste Slum der Welt - und das beliebteste Street Food Mumbais führen. Spannende Stunden mit deutlich besseren Vibes. Die Stadt mit über zwanzig Millionen Einwohnern ist definitiv zu crazy. Ein einziges, riesiges und ziemlich verdrecktes Chaos. Aber es funkioniert. Irgendwie. Auf unzähligen Plätzen aber auch sonst auf jedem freien Fleck und in jeder (wenig befahrenen) Strasse wird Cricket gespielt. Kein Wunder ist Indien der unangefochtene Meister. Weltweit. Wir sind ja eher Meister des Hobby-Modellstehens und als exotisches Sujet sind wir hier mehr gefragt denn je. Die verdammten Sackläuse sind einfach nicht mehr zu stoppen.

    Wir wohnen nicht in einem richtigen Hotel. Ist mehr eine moderne Wohnung mit Zimmern, die einzeln vermietet werden. Rajeesh ist unser nepalesischer CareTaker. Eine Mischung aus Receptionist, Frühstückskoch und Junge für alles, der ebenfalls in der Wohnung haust. Eigentlich ganz sympathisch, wenngleich die Privatsphäre etwas kurz kommt. Er sitzt meistens auf dem Sofa und daddelt auf dem Handy rum. Aber als er Hotspot Sue beim Wäscheaufhängen - ich hatte wichtiges Business, um das ich mich vom Bett aus kümmern musste - zur Hand ging und ziemlich creepy seine unerschütterliche Liebe gesteht, wird es etwas zu viel des Guten. Zu viel Sackläuse. Eindeutig zu viel. Mit etwas Glück überleben wir aber auch die letzte Nacht in Creepy Rajeesh’s Wohnung, bevor das Thema Asien für den Moment abgeschlossen ist und wir uns auf den Weg nach Südafrika machen. Es wird geheiratet!
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