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  • Day 32

    Cusco IV

    December 3, 2016 in Peru ⋅ ⛅ 10 °C

    Die letzte Woche in Cusco brach an. Wir sollten jetzt an jedem Tag Spanischunterricht haben und planten für die Nachmittage einige kleinere Ausflüge. Im Kurs waren wir nun alleine, weil René nach Machu Picchu aufgebrochen war. Das erhöhte für uns das Tempo noch ein klein wenig. Im Laufe der letzten 5 Tage sollten wir noch drei weitere Zeitformen kennenlernen. Ich hatte in der zwischenzeit begonnen, täglich zusätzliche Vokabeln zu lernen. Zum Mittagessen waren wir mit der Nichte unserer Schulleiterin weg, die uns erzählte, wie sie und ihr Mann sich vor knapp 40 Jahren in Cusco kennengelernt haben. Sie hatten sich wohl morgens zufällig auf dem Plaza de Armas getroffen und seither Briefkontakt gehabt. Daraus entstanden ist dann unter anderem die Schule, an der wir eine wirklich schöne Zeit hatten und die wir jedem, der nach Cusco kommen und Spanisch oder sogar Quechua (eine der drei Landessprachen) lernen möchte, ans Herz legen möchten.

    Einige Planungen mussten wir verschieben, weil uns die Regenzeit einholte. Unter anderem wollten wir eine Tour mit Quads nach Maras und Moray machen. Bei nasser Fahrbahn hatten wir da allerdings nur wenig Lust zu. Stattdessen verbrachten wir den Montag komplett im Hostel, lasen und vertrieben uns die Zeit mit Faulenzen. Am Dienstag gingen wir nach Sacsayhuamán, einer Tempelanlage über der Stadt, hinauf. Als Merkhilfe für Touristen wird immer gesagt, man könne es fast wie „Sexy Woman“ aussprechen. Wir wären an diesem Tag auf jeden Fall hinaufgewandert, da unser „boleto turistico“, eine Art „Kurkarte“, mit der man verschiedene Sehenswürdigkeiten in und um Cusco besichtigen kann, ansonsten abgelaufen wäre. Das Wetter war uns aber, zumindest eine Weile, gewogen. Die Tempelanlage ist zwar absolut sehenswert, wir müssen aber zugeben, dass wir nachdem wir schon so viele andere Incastätten besichtigt hatten, etwas müßig über das Gelände trotteten. Die Anlage diente vor allem als Festung und wurde auch erfolgreich gegen die Conquistadoren verteidigt. Dabei war die klassische Incabauweise, mit den leicht angeschägten Wänden (die auch der Erdbebensicherheit dienten) und den gigantischen ineinander verzahnten Steinen, von herausragender Bedeutung. Der größte Stein soll Maße von 9x5x4 Metern haben, den haben wir allerdings nicht finden können. Unabhängig davon, sind auch die anderen Steine gigantisch und alleine das Aufrichten muss eine unvorstellbare Arbeit gewesen sein, von der Bearbeitung ganz zu schweigen.

    Für den Mittwoch waren wir von einer unserer Lehrerinnen zum Essen eingeladen worden, nachdem wir uns bereit erklärt hatten, unseren Freitagsunterricht mit ihr auf einen Nachmittag zu verlegen, damit sie ihre Kinder in Lima besuchen konnte. Nach den ersten 4 Unterrichtsstunden fuhren wir also gemeinsam zu ihr. Witzigerweise war es etwa die Stelle, an der wir vor ein paar Tagen irrtümlicherweise Samuel eingesammelt hatten. Sara und ihr Mann waren unheimlich zuvorkommend. Ich schätze sie beide als eher konservative Menschen ein, zumindest scheinen sie Probleme mit den linken Regierungen in Südamerika zu haben, von denen es ohnehin kaum noch welche gibt. Morales gerät wegen der Wasserknappheit in Bolivien zunehmend unter Druck und Venezuela ist, wobei hier die Amerikaner nicht ganz unschuldig sind, zu einem humanitären Desaster mutiert, was Maduro zu schaffen macht... (...wer sich dafür interessiert:
    http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Ven…).
    Unabhängig davon waren sie liebenswerte Gastgeber. Saras Mann erzählte uns von einer Arbeit bei der UN. Es ginge dabei um den wirtschaftlichen Aufschwung in der Selva (dem Regenwald), der vor allem durch „Narcos“ und andere kriminelle Gruppen ausgebremst werde. Sowohl Sarah als auch ihr Mann stammen aus der Selva und seine Eltern haben dort immer noch einen „Campo“ (eine Art Bauernhof), von dem sie immer frische Früchte, Kakao und Kaffee beziehen. Der Kaffee in Peru wird auf eine besondere Weise zubereitet. Zunächst wird in einer speziellen Kanne mit wenig Wasser ein Konzentrat hergestellt, dass dann für ein bis zwei Tage verwendet werden kann. Es muss allerdings in einer luftdichten Flasche oder einer verschließbaren Kanne gelagert werden, um das Aroma nicht zu gefährden. Möchte man etwas Kaffee trinken, nimmt man etwas von dem Konzentrat und verlängert es mit heißem Wasser. Da der Campo der Eltern recht viele Pflanzen beherbergt, schmeckt der Kaffee unheimlich vielfältig. Kaffeebohnen haben wie auch Kakao oder Wein die Angewohnheit ihren Geschmack je nach umgebender Flora zu verändern. Zum Abschied schenkte Sara uns auch noch einen Block puren Kakao, den wir, gemeinsam mit einigen Souvenirs am Freitag nach Deutschland schicken sollten, damit wir nicht soviel mit uns herumtragen müssen. Darunter war auch meine Flöte, was Silke sicher gut gefallen hat. Nach dem Essen gingen wir noch zum Salsaunterricht, der von unserer Schule ausgerichtet wurde. Der Tanzlehrer war ganz begeistert von meinen Oberkörperbewegungen und nicht so begeistert von meinen ungelenken Tanzschritten. Silke, die für etwa ein Jahr kubanischen Salsa getanzt hatte, kam jedoch vollumfänglich gut an, was ihr auch den letzten Tanz mit dem Lehrer einbrachte.

    Mit unserem Ausflug nach Maras und Moray, den wir eigentlich schon abgeschrieben hatten, sollten wir noch Glück haben. Jeden zweiten Donnerstag macht unsere Schule einen Ausflug und wir konnten erreichen, dass es nach Maras gehen sollte. Moray würen wir zwar verpassen, da unser „Boleto“ aber bereits abgelaufen war, hätten wir dort ohnehin nicht mehr reingekonnt, ohne nochmal eine verhältnismäßig große Summe zu bezahlen. Maras ist ein Ort im heiligen Tal, der für sein Salz weltweit berühmt ist. Hierfür haben die Einheimischen Terassen angelegt. In den Bergen über Maras befindet sich eine Quelle, aus der ein kleiner Strom entspringt, der durch ein Salzvorkommen fließt. Die Terassen, die nur wenige Zentimeter tiefe Becken enthalten, dienen dazu das salzhaltige Wasser aufzuhalten und es von der Sonne verdunsten zu lassen. Das Ergebnis ist das besondere Salz, das von den dort lebenden Familien abgebaut wird. Trotz der Tatsache, dass das Salz einen ungeheuren Kilopreis auf dem Weltmarkt hat, erhalten die Familien nur einen Bruchteil davon. Bei dem nachfolgenden Spaziergang ins Tal, angeführt vom Mann unserer Schulleiterin, Flavio, der auch die Aktion für die leukämiekranken Kinder angeführt hatte, ging er plötzlich auf einen Jungen auf der Straße zu und fragte: „Hay Chicha?“, was soviel bedeutet, wie: „Gibt es hier Chicha?“ Im Spanischen gibt es zwei Formen des Seins („Ser und Estar“) und zwei Formen des Habens bzw. der Existenz „Tener und Haber“. Wann man welche verwendet hängt vom Umstand ab. Genauer gesagt bedeutet „Hay Chicha“ also, „Existiert hier Chicha?“.
    Chicha gibt es in verschiedenen Varianten. Die Chicha Morada, wird oft zu den Mittagsmenüs gereicht und ist ein süßen und gutschmeckendes Getränk aus roten Mais. Bei der klassischen Chicha handelt es sich aber um eine Art Maisbier, das zur Gärung angeregt wird, indem die Brauerinnen hineinspucken. Ich brauch wohl nicht zu erwähnen, dass Silke und ich dankend abgelehnt haben. Auf dem Weg ins Tal unterhielt ich mich eine Weile mit Flavio, der mir auch erzählte, dass er den Tourismus zwiespältig betrachtet. Insbesondere der Drogenkonsum und -einfluss auf die Stadt nehme kontinuierlich zu. Im Gefägnis von Cusco wären von allen Insassen etwa 20 % Ausländer, die wegen Drogendelikten einsäßen. Das Gefängnissystem in Peru ist, nebenbei bemerkt, eine absolute Katastrophe. Das Gefängnis „Penal Castro Castro“ in Lima gilt als eines der härtesten der Welt. Es ist organisiert, wie eine freie Marktwirtschaft. Es besteht ein einfacher Deal zwischen den Inassasen und der Anstaltsleitung:
    Die Gefangenen dürfen bestimmte Zonen nicht verlassen, dafür haben sie das Recht ihre eigene Gesetzgebung zu verfassen, was fast immer auf Kosten der Schwachen geht (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Penal_Castro_Castro).

    An unserem letzten Schultag erhielten wir unser Zeugnis, dass uns ein Spanischlevel von A2 bescheinigt. Das ist formal recht gut, insbesondere für die nur zwei Wochen Unterricht, die wir hatten. Wir haben da aber unsere eigene Meinung zu und würden uns eher weiter unten ansiedeln, wobei wir gestehen müssen, dass wir bestimmte Gesprächssituationen fast fließend abwickeln können, was uns jedes Mal mit etwas Stolz erfüllt. Auch hatte an diesem Tag Lisa Geburtstag, die bei ACUPARI (unserer Sprachschule) ein Praktikum machte. Lisa hat Spanisch und Pädagogik studiert und ist dementprechend tief in die Szene rund um die Schule integriert, was am Abend zu einer ausgelassenen Party geführt hat. Vorher hatten wir uns noch Coricancha angeschaut, das eine Fusion aus Incatempel, Kloster und Museum ist.

    Den Abend verbrachten wir zunächst in einem Club in der Nähe des Plaza de Armas, indem bis 11 Salsa getanzt wurde. Danach gingen wir zu einem Konzert in einen anderen Club. Auf dem Weg dorthin wurden wir mehrfach von „Koberern“ angesprochen, die aus unerklärlichen Gründen, wie bei „The Purge“ geschmickt waren. Das Konzert war von einer hier sehr beliebten Indio-Rockband, die unter anderen ein wirklich gutes Cover von „Cariñito“ spielten.
    (Original: https://www.youtube.com/watch?v=S5fA1N1ca1Y)

    Da ich hundemüde war und Silke noch etwas tanzen wollte, ging ich etwas früher nach Hause. Auf dem Weg wurde ich von einem alten Mann ohne Schuhe angesprochen, der in eine Plastikplane gehüllt war. Ich hab ihm etwas Geld und er rief mir nach, ob ich nicht mehr für ihn hätte.
    In mir keimte kurz das Gefühl auf, dass diese Bitte unverschämt war, doch als ich mich umdrehte und ihn so sah, dachte ich daran, dass mein letzter Gintonic das dreifache von dem gekostet hatte, was ich ihm gegeben hatte. So machte ich meine Taschen leer und gab ihm auch noch die grade erworbene Flasche Wasser, um kurz darauf in meinem bequemen Bett liegen zu können.
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