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  • Day 102

    Über Wanderdünen und Zeit

    May 20, 2023 in Uruguay ⋅ ☁️ 16 °C

    Gestern Abend am Lagerfeuer wurde mir ein herrlicher Sonnenaufgang versprochen. Sobald es hell wird und ich aus dem Fenster schaue lohnt sich gar kein zweiter Blick erst. Ich kann mir mit dem Anziehen vor lauter Wolken Zeit lassen. Dann geht es noch vor dem Frühstück zu den Robben. Die sind heute Morgen bedeutend aktiver. Ein paar tummeln sich im Wasser und machen sich frisch für den Tag. Die anderen recken den Hals in die Höhe um möglichst von der Gischt nicht völlig Nass zu werden und trotz fehlender Sonne möglichst schnell zu trocknen.
    Als ich zum Frühstück zurück komme sind zumindest schon zwei weitere Spanier wach. Es gibt den ersten Kaffee und einen Apfel. Mehr ist aufgrund wahrscheinlich noch schlafender Angestellter nicht drin. Als die sich dann zu uns gesellen fällt die Diskussion schnell auf das einfache Leben hier draußen. Dann flüstert mir die Angestellte unter vorgehaltener Hand was sie von den meisten Touristen hier hält. Die kämen her um bis in die Nacht zu feiern. Ohne WLAN und Strom ginge heute gar nichts mehr und dann beschwert sich immer wieder mal einer wenn er nicht duschen könne wenn er gerade möchte. Die Leute hätten gar keine Wertschätzung mehr gegenüber dem Aufwand den es braucht die Versorgung aufrecht zu erhalten. Hier am Meer ist es von Haus aus trocken. Er könnte hier rings um das Kap tagsüber baden gehen, nein er muss duschen. Dass das Wasser aber erstmal gepumpt werden muss und dazu mitunter der Strom fehlt, soweit reicht es dann nicht. Jedoch gerade im Angesicht der anhaltenden Trockenheit und der Wasserknappheit in Montevideo hätten die Leute immer noch kein Bewusstsein entwickelt mit dem Wasser sparsam zu sein. Kein Wunder dass es deshalb auch rationiert werden müsse.

    Bevor ich weiter ziehe geht es heute auf eine Dünenwanderung. Das Naturschutzgebiet besteht zur einen Hälfte aus einer Lagune, bzw. Aus dem Meer. Und die andere Hälfte besteht aus Sand! Bereits nördlich von Patagonien beginnt ein fast ununterbrochener, tausende Kilometer weiter Sandstrand. Der reicht, soweit ich weiß bis nach Canada, Nova Scotia. Anschließend wird’s dann wieder steinig. Der Wind weht heute aus Süden und fegt eifrig alles zusammen was irgendwo lose herum liegt.
    Der Strand ist um diese Jahreszeit so unberührt dass es mir vorkommt ich sei seit Wochen unter den ersten zehn Leuten die über diesen Strand laufen. Derweil ist umso mehr durch die Fluten angeschwemmt. Während es bis nach Mittag dauert bis ich die ersten Menschen treffe finde ich am Strand mitunter auch Tierkadaver von Meeresschildkröten, natürlich verendeten Robben und einigen Fischen mit ordentlich Zähnen im Gebiss. Die Fluten bringen alles zurück ans Land was nicht ins Wasser gehört. Im Sommer soll dieser Ort wohl ideal sein um Wale zu beobachten. Aber da hatte ich ja bereits meine ganz privaten Begegnungen. Das kann mir wie so vieles anderes keiner nehmen.

    Aus meinem Rucksack fehlt hingegen immer mal wieder etwas. Wenn vielleicht auch wiederwillig. Wahrscheinlich bringt das das Alter mit sich.
    Eine Leserin hat mich heute darauf angesprochen dass sie früher auch viel gereist sei. „Aber nicht in dem Ausmaß“. Wieviel ist denn viel reisen? Mit Sicherheit zähle ich mich auch zu der Fraktion die im Reisepass gerne Stempel sammelt. Ich finde jedoch die Kilometer alleine sind unbedeutend. Das sind jetzt schon knapp 17.000. Ein Krankenpfleger aus Kalifornien sagte mir kürzlich: Wenn wir diese oder jene Straße fahren um an unser Ziel zu gelangen - am Ende haben wir gerade einmal einen Korridor von 10km links und rechts dieser Straße gesehen. Niemals das ganze Land. Also wer kann schon behaupten dass er viel gereist sei?
    Und dann sind da die Höhen und Tiefen. Es gibt auch Rückschläge. Der Rucksack wird leichter weil hier und da immer mal wertvolle Sachen ‚umverteilt‘ werden. Naja, es könnte mich schlimmer treffen. Aber es ist halt nicht immer schön und fällt definitiv unter unvorhergesehenes Abenteuer. Hinzu kommen dann noch Abenteuer weil ich regelmäßig meine Grenzen teste und darüber hinaus gehe. Genau da fängt die Reise ja eigentlich erst an, wo der Urlaub endet und die kleinen Abenteuer größer werden. ;) Viel gereist bin ich wenn ich die Zeit hatte möglichst viele Erinnerungen mitzunehmen. Alles was es braucht ist Zeit.
    Wem das netzt wie eine kaputte Schallplatte vorkommt. Ja, darüber habe ich bereits öfter geschrieben weil mir das immer wieder am Herzen liegt.
    Darin liegt für mich am Ende die Vielfalt und das wahre Ausmaß der Reise.
    Und ja, solche Gedanken kommen mir auf wenn ich frei von jeder Erwartung 15km kreuz und quer über den Strand und durch die Dünen laufe.
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