• Steiler Berg und Kulturhighlight

    November 23 in Taiwan ⋅ ⛅ 22 °C

    Was für ein Kontrast zum gestrigen Abend! Wir starten den Tag früh und schlendern erneut durch die Gassen von Jiufen. Wo sich gestern Abend noch Menschenmassen durch die Old Street geschoben haben, herrscht nun fast Stille. Viele Läden sind geschlossen, Rollläden halb geöffnet, Händler sortieren Ware, schälen Gemüse, wischen Böden oder lassen dampfende Suppen langsam köcheln. Wir beobachten ein Stück Alltag, das man später am Tag nicht zu sehen bekommt.

    Der Regen hat sich über Nacht verabschiedet. Nur ein paar Wolken hängen noch über den Hügeln, bevor die Sonne immer häufiger durchbricht. Von kleinen Aussichtspunkten blicken wir weit hinaus auf die zerklüftete Nordostküste Taiwans, die grünen Berghänge und das glitzernde Meer - ein völlig neues Jiufen im Morgenlicht.

    Dann geht’s hoch hinaus: Wir nehmen uns den Keelung Mountain vor, dessen Weg hauptsächlich aus unzähligen steilen Treppen besteht - fast 1.600 Stufen auf kurzer Distanz. Kräfteraubend, aber jeder Höhenmeter schenkt neue Perspektiven auf Jiufen, die umliegenden Dörfer und die Küste. Die Spitze ist wolkenverhangen, also gibt es keinen 360°-Weitblick. Dafür machen die Ausblicke auf dem Weg alles wett: mystisch schimmernde Hänge, Wind, der über die Gräser streicht, und immer wieder dieses Wechselspiel aus Sonne und Nebel.

    Wieder unten gönnen wir uns eine Pause in einem traditionellen Teehaus, bevor wir zum Qin Yun Dian Tempel aufbrechen. Der Tempel liegt an einem grünen Hang, reich verziert mit Figuren, Drachen, roten Laternen und goldenen Inschriften.

    Dort überrascht uns etwas völlig Unerwartetes. Eine Musikveranstaltung mit einem chinesischen Saiteninstrument (Guqin) findet statt. Wir werden freundlich gebeten, uns dazu zu setzen, und erhalten Tee und Snacks. Die Musik hallt sanft von den Wänden, langsam, meditativ, voller Tradition.

    Doch damit nicht genug. Nach dem Konzert bekommen wir eine private Führung durch den Tempel. Mit dem Handy und einer Übersetzer-App kommunizieren wir mühelos - Chinesisch rein, Englisch raus. Unsere kleine Tourguide, eine unglaublich herzliche Frau, nimmt sich viel Zeit, erklärt Symbole, Altäre, Rituale und Geschichten rund um die Religion. Sie freut sich sichtlich über unser Interesse und schießt gefühlt hundert Fotos von uns - ein Erlebnis, das wir so nicht hätten planen können.

    Am Abend stürzen wir uns noch einmal ins Gewühl der wieder vollen Gassen. Diesmal suchen wir ganz bewusst nach gutem Essen - und werden fündig. Jiufen zeigt uns an diesem Tag beide Gesichter: die magische Ruhe am Morgen und das pulsierende Leben am Abend.
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