• Leben mit der Dunkelheit

    Jan 13–Mar 4 in Canada ⋅ ☁️ 5 °C

    Wie mich Depressionen begleiten

    Es gibt Dinge im Leben, die man nicht immer sieht – aber sie sind da. Mal leise im Hintergrund, mal laut und überwältigend. Depressionen gehören für mich genau dazu. Auch wenn ich nicht oft darüber spreche, begleiten sie mich seit vielen Jahren. Sie sind Teil meines Lebens geworden – nicht, weil ich das so will, sondern weil sie einfach da sind. In diesem Beitrag möchte ich offen darüber sprechen: über meine Erfahrungen, meine Strategien, meine Rückschläge und kleine Siege.

    Die stille Begleiterin

    Depression fühlt sich für mich nicht immer gleich an. An manchen Tagen ist es diese lähmende Müdigkeit, die selbst einfache Dinge wie Zähneputzen oder eine Nachricht zu beantworten zur Herausforderung macht. An anderen Tagen ist da diese Leere – ein inneres Taubsein, obwohl im Außen alles scheinbar in Ordnung ist. Oft sind es aber auch die vielen kreisenden Gedanken, Zweifel, das ständige Hinterfragen: Bin ich genug? Mache ich genug? Wohin will ich eigentlich?

    Diese Gedanken schleichen sich vor allem in ruhigen Momenten ein. Ich kenne ihre Muster mittlerweile gut – sie kommen in Wellen, mal flach, mal hoch und bedrohlich. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich schwimmen kann. Auch wenn es Kraft kostet.

    Was mir hilft

    Ich habe mir im Laufe der Jahre Wege aufgebaut, mit dieser inneren Dunkelheit umzugehen. Struktur ist ein wichtiger Teil davon. Ein geregelter Tagesablauf hilft mir, nicht ganz im Strudel der Gedanken unterzugehen. In meinem Alltag stehe ich früh auf – nicht nur, weil das Leben um mich herum (gerade wenn ich im Auto übernachte) früh beginnt, sondern auch, weil es mir ein Gefühl von Kontrolle gibt.

    Bewegung ist ein weiterer Anker. Auch wenn mein Körper durch meine Rückenprobleme nicht mehr alles mitmacht wie früher, versuche ich täglich in Bewegung zu bleiben: Rückenmobilisation, Yoga, Spaziergänge, kleine Workouts. Sie bringen mich zurück zu mir. Als ehemaliger Leistungssportler weiß ich, wie heilsam Bewegung sein kann – nicht nur für den Körper, sondern auch für den Kopf.

    Achtsamkeit, Dankbarkeit und Selbstreflexion sind für mich mittlerweile tägliche Rituale. Ich halte fest, wofür ich dankbar bin, setze mir kleine Ziele, reflektiere meine Gedanken. Diese Momente helfen mir, meine Perspektive zu sortieren und wieder Verbindung zu mir selbst aufzubauen – besonders an den Tagen, an denen ich mich verloren fühle.

    Und dann sind da die Menschen. Ich hatte das Glück, in Vancouver wundervolle Verbindungen zu knüpfen – mit Leo, Jenny, Monti und anderen. Es sind die tiefen Gespräche, das gemeinsame Lachen, das stille Nebeneinandersitzen, das mir zeigt: Ich bin nicht allein.

    Wenn nichts mehr hilft

    Und doch gibt es Phasen, in denen nichts davon reicht. In denen alles anstrengend ist, sogar Atmen. Anfang Januar hatte ich ein solches Tief – eines der heftigsten, die ich je erlebt habe. Mein Körper begann zu streiken, ich verlor von einem auf den anderen Tag meine Stimme. Als Servicekraft war ich damit schlicht arbeitsunfähig. Dennoch schleppte ich mich zur Arbeit, klammerte mich an meine Routine. Aber irgendwann ging es nicht mehr – ich nahm mir eine Woche Auszeit (was in Kanada auch bedeutet: kein Geld in dieser Zeit).

    In dieser Woche brach etwas in mir zusammen. Mein Kartenhaus stürzte ein. Ich war tief unten. Keines meiner Tools funktionierte mehr. Ich war gefangen in mir selbst – gefühlt tagelang.

    Und ganz ehrlich: Ich bin bis heute noch nicht ganz raus aus diesem Loch. Jetzt, während ich diesen Beitrag schreibe, ist es der 08. April 2025, eine Woche vor meiner Abreise. Und ich spüre das Tief immer noch. Mein Körper ist erschöpft, meine Gedanken unruhig. Ich schlafe schlecht, bin gereizt, unruhig. Es fühlt sich an, als hänge ich irgendwo zwischen „gerade noch so“ und „gleich kippt alles“. Und das macht Angst.

    Aber ich habe mir fest vorgenommen: Wenn ich zurück in Deutschland bin, werde ich mir professionelle Hilfe holen. Und ich schäme mich kein bisschen dafür. Niemand sollte das tun. Depression hat viele Gesichter – und oft erkennt man sie nicht. Nach außen wirke ich oft fröhlich, energiegeladen, lebenslustig. Doch innerlich bin ich manchmal starr vor Schmerz.

    Deshalb: Achtet auf eure Mitmenschen. Seid präsent. Hört zu. Manchmal reicht schon ein einfaches „Ich bin da“ oder eine Umarmung. (Wusstest du, dass eine Umarmung Oxytocin freisetzt – das sogenannte Bindungshormon – und sich oft schon dadurch etwas lösen kann?) Es braucht nicht immer Lösungen. Oft wissen wir selbst nicht, was uns helfen würde – und genau dann überfordern gut gemeinte Ratschläge mehr, als sie helfen.

    Depression ist nicht das Ende

    Ich habe gelernt, dass es okay ist, sich schwach zu fühlen. Dass ich nicht immer stark sein muss. Dass ich mir Hilfe holen darf – durch Gespräche, durch Schreiben, durch Unterstützung von außen. Und dass es ein Zeichen von Stärke ist, sich einzugestehen, dass man es gerade nicht allein schafft.

    Depression ist nicht das Ende. Sie ist Teil meines Weges – aber nicht meine ganze Geschichte. Und manchmal, wenn ich draußen in der Natur bin, auf einem Berg stehe oder durch einen Park spaziere, spüre ich: Ich bin noch da. Ich lebe. Ich fühle. Und auch wenn die Dunkelheit wiederkommt – ich habe Mittel, mit ihr umzugehen.

    Wenn du das hier liest und dich ähnlich fühlst:
    Du bist nicht allein.
    Deine Gefühle sind real.
    Du bist es wert, Hilfe zu suchen.
    Du darfst dich zeigen.
    Du darfst schwach sein.
    Und du darfst wieder aufstehen.
    Read more