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- Dec 23, 2024, 12:02 PM
- ☁️ 6 °C
- Altitude: 196 m
- EnglandChadlington51°54’59” N 1°32’32” W
Diddly Squat Farm
December 23, 2024 in England ⋅ ☁️ 6 °C
"The Hope Anchor" ist einfach ziemlich gut, das Zimmer ist nicht schlecht, es ist ruhig, und das Auto in Sichtweite vor dem Zimmer parkt, ist ein netter Bonus.
Wir sitzen 8Uhr im gediegenen Frühstückssaal und genießen den ersten Kaffee. Das Personal ist freundlich und extrem schnell und professionell.
Es gibt für Harald ein Full English Breakfast mit gebratenen Tomaten, Toast, gebackenen Bohnen, Black Pudding, allerdings ohne Würstchen.
Wir checken aus, dann geht es gestärkt und ziemlich gut gelaunt hinaus auf die Landstraße, die zwischen grünen Wiesen und Weiden hindurchführt.
Das hier sind die Cotswolds, einem der “Area of Outstanding Natural Beauty”. Mit dieser Bezeichnung, die auf Landkarten tatsächlich mit “AONB” zu finden ist, werden in Großbritannien Landstriche gekennzeichnet, die “einen besonderen Wert haben” – der kann kulturell oder historisch sein, er kann mit Naturschutz zusammenhängen, oder weil einfach mal jemand gesagt hat: “Ach, ist das schön hier”.
Letzteres ist ein beliebter Kniff von alteingesessenen Landbesitzern, um neue Bebauung in ihrer Nähe zu verhindern. Erstaunlich viele AONB finden sich in Gegenden, in denen reiche Landbesitzer und Lords ihre Ländereien haben. Anders als echte Naturreservate unterliegen AONBs aber keiner gemeingültigen Gesetzgebung, stattdessen entscheiden local oder special councils darüber, ob und was gebaut werden darf. Diese councils werden aber nicht demokratisch gewählt, sondern von einer Kommune ernannt, und oft genug sitzen da dann reiche Landbesitzer, die auf Gutsherrenart ganze Landstriche kontrollieren. Auch wenn die councils nicht demokratisch gewählt sind, nenne ich die im Folgenden der Einfachheit halber “Ortsrat”.
Die Gegend ist geprägt von Hügeln und Feldern und viel Grün, aber auch von Häusern und Mauern aus cremefarbenem Naturstein.
Die Cotswolds liegen 120 Kilometer nordwestlich von London und nur 30 Kilometer hinter Oxford. Mit dem Auto ist man von London in zwei Stunden angereist, aber viele der begüterten Anwohner, die unter der Woche in ihren Stadtwohnungen leben oder in der Welt unterwegs sind, steigen am Wochenende in ihr Privatflugzeug und sind binnen einer halben Stunde hier. Das ist der Grund für die vielen, kleinen Sportflugplätze in den Cotswolds.
Das es hier geradezu brechreizerregend schön und London recht nahe ist, auch der Grund, warum so viele Prominente hierher gezogen sind. Sting, Stella McCartney, Lily Allen, Patrick Stewart, die Beckhams, Hugh Grant, Damien Hirst, JK Rowling und andere Celebrities haben hier Anwesen. Zwei Dörfer weiter, in Little Faringdon, wohnt Kate Moss in einem 10-Schlafzimmer-Anwesen. Im Dorf Stow-on-the-Wold, durch das ich in diesem Moment fahre, leben Kate Winslet und Ehemann Sam Mendes. Im 20 Minuten entfernten Cirencster verkauft Elizabeth Hurley selbstgezogenes Biogemüse auf dem Markt, und selbstredend haben auch die Royals hier Anwesen, Princess Anne lebt hier sogar ständig.
Einer der ungeliebtesten Bewohner der Cotswolds ist JEREMY CLARKSON. Das ist der bekannte TV-Mensch und Kolumnenschreiber, der erst “Top Gear” und später “The Grand Tour” gemacht hat. Heute moderiert er die englische Ausgabe von “Wer wird Millionär” und schreibt Kolumnen für die Sun und die Sunday Times.
Clarkson ist ein erzkonservativer Liberaler und hat sich in der Vergangenheit, zu Top-Gear-Zeiten, häufig über Umweltschützer lustig gemacht und den Klimawandel angezweifelt. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert. 2008 kaufte Clarkson einen Bauernhof in den Cotswolds, zu der ein Dutzend kleiner Felder gehören. Die verpachtete er an einen ortsansässigen Bauern.
Als der Pächter 2019 in Rente ging, beschloss Clarkson, die Farm selbst zu führen – ohne davon Ahnung zu haben. Dann kam die Pandemie. Und eine Dürre. Und dann ein Monsunregen. Wie genau das ablief, läßt sich auf Amazon ansehen, denn Clarkson hat die Zeichen der Zeit erkannt und seine Motormagazine – “Top Gear” und den Nachfolger “Grand Tour” weitgehend abgewickelt und dreht nun “Clarksons Farm” für Amazon.
Die aus acht Teilen bestehende erste Staffel kamen 2021 raus, und ich halte die für das beste Stück Fernsehen dieses Jahres. Die Serie dokumentiert ein Jahr auf der Farm, in dem Clarkson erstaunlich hart ackert – um am Ende ganze 144 Pfund zu verdienen.
Seitdem er Farmer ist, schlägt Clarkson deutlich leisere Töne als früher an. Kein Zweifel mehr am Klimawandel, den er live in seinen Gummistiefeln erlebt hat, stattdessen Sorgen um die weltweite Ernährungssituation. Keine dummen liberal-egoistischen Petrolheadsprüche mehr, sondern ein zart keimendes Bewusstsein, das Gemeinschaft mehr ist als die Ellenbogen vieler Individuen. Keine “Politiker sind alle wahnsinnig”-Pauschalkeule mehr, sondern konkrete Kritik, z.B. an den Freihandelsabkommen der Brexitregierungen, durch die Rindfleisch aus Australien in UK günstiger ist als solches, das hier produziert wurde. Clarkson ist zum prominenten und lautstarken Fürsprecher nachhaltiger und umweltfreundlicher Landwirtschaft geworden, und setzt seine Reichweite und seine Prominenz dafür ein.
Bei wem Clarksons Sinneswandel nicht angekommen ist, sind die anderen Bewohner der Cotswolds. Die halten Clarkson für vulgär und egoistisch (und liegen damit nicht unbedingt falsch) und blockieren viele seiner Vorhaben. Eine dieser Blockadeaktionen sehe ich, als ich in den Bereich der Cotswolds einbiege, in dem Clarksons Farm liegt.
Links und rechts der Straße, die gefühlt im Nirgendwo liegt, standen bis vor ein paar Monaten Hütchen mit Haltverbotsszeichen, bis zum Horizont: Eine kleine Schikane des Ortsrats. Clarkson hat einen Hofladen gebaut, um die bei ihm produzierten Produkte direkt zu verkaufen. Das löste nach Ausstrahlung der Doku einen Besucheransturm aus. Mangels Parkplätzen parkten die Besucher entlang der Straße, worüber sich die Anwohner (zu recht) beklagten. Clarkson bot daraufhin den Bau eines Parkplatzes auf seinem Grund an. Der Ortsrat verweigerte die Baugenehmigung und stellte stattdessen flächendeckend Parkverbotsschilder auf. Keine besonders konstruktive Lösung.
Das war aber erst der Anfang. Angesichts der wegfallenden EU-Subventionen für Landwirte befürchtet Clarkson (zu recht) ein Sterben der kleinen Bauernhöfe in Großbritannien. Reaktion der Tory-Regierung darauf: Die Ansage, dass die Landwirte sich halt geschäftlich breiter aufstellen und diversifizieren müssen, wenn sie überleben wollten. Die Bauern sollten gefälligst neue Geschäftsfelder erschließen. Clarkson versuchte das, durch Geschäftsideen wie den Anbau neuer Pflanzen wie Wasabi, aber auch durch seinen Hofladen und durch die Beantragung eines Hofcafés, wo er Speisen aus selbst produziertem Anbau anbieten wollte.
In einer seiner Kolumnen, fein dokumentiert in dem Buch “´til the cow come home” beschreibt er, wie die Anhörung vor dem Bauausschuss des Ortsrats aus seiner Sicht ablief. Er legte sein Bauvorhaben da, erläuterte, dass so ein kleines Restaurant Arbeitsplätze schaffen und für die Region werben würde, präsentierte eine Folgenabschätzung über Besucherströme und wie er die gedachte unterzubringen und er stellte erwartete Umsätze und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vor.
Dann brachte die Gegenseite ihre Argumente vor. Die lauteten im Kern, das Clarkson “eine unverschämte Person sei” und “deshalb auch sein Bauvorhaben eine Unverschämtheit darstelle”, und damit war das Projekt gestorben. Das bittere Fazit: Die von der Tory-Regierung geforderte Diversifizierung und neue Überlebenstrategien für Bauern werden vor Ort verhindert – von Tory-Ortsräten.
Und nicht nur dieses Vorhaben blockiert der Ortsrat. Neue Durchfahrten auf Clarksons eigenem Grund und Boden? Verhindert. Das Anlegen von Wällen, um bei Starkregen nach Dürreperioden zu verhindern, dass der Boden abrutscht und das nächste Dorf unter Schlammlawinen begraben wird? Verhindert.
Mittlerweile sind wir an der Einfahrt des Farm-Shops angekommen. Eigentlich sollte heute ein Tag vor Heiligabend geschlossen sein. Allerdings haben wir Glück. Es ist offen und kaum Leute dort. Wir fahren am "Diddly Squat" Schild vorbei, was so viel heißt wie: "So gut wie nichts" und bezieht sich auf den Gewinn, den er mit dem Hof macht.
Wir stellen das Auto auf dem schlammigen Parkplatz ab, glücklicherweise regnet es nicht. Bei Regen wird das hier alles zu einem Schlammbecken und die Bauern aus der Umgebung diversifizieren ihr Geschäft, in dem sie mit ihren Traktoren die Autos der Besucher aus dem Matsch ziehen.
Neugierig und leicht aufgeregt gehen wir auf das kleine, einem Stall nachempfundenen Ladengeschäft zu. Man beachte die schieferfarbenen Dachschindeln. Die sind neu.Zunächst hatte der Laden ein dunkelgrünes Wellblechdach, aber der Ortsrat änderte seine Meinung und die initiale Baugenehmigung im Nachhinein. Ein grünes Dach? Unverschämtheit! Aber was will man von Clarkson auch anderes erwarten! Also wurde das grüne Dach wieder abgerissen und der Laden neu gedeckt.
Ein Schild am Eingang rät dazu, sich mit Lebensmitteln einzudecken, bevor sie unbezahlbar werden. Weil Clarkson sich gerne ein wenig dumm stellt, gibt es statt Milch “Cow juice” in einem Automaten an der Eingangstür zu zapfen. Honig heißt “Bee Juice” und wird in kleinen Gläsern angeboten. Weil Clarkson Millenials allgemein und Influencer im Besonderen verachtet, gibt es hier zwar Duftkerzen – aber die tragen den Namen “Smells like my Bollocks” (riecht wie meine Testikel) und soll “nach seinen Autositzen, Leder und Jeans” riechen. Eine klare Spitze gegen Promi-Duftkerzen, die in den letzten Jahren Mode geworden sind, und von denen Gwyneth Paltrows “riecht wie meine Vagina”-Kerze das krasseste Beispiel ist.
Neben diesem Provokationskram gibt es auch ganz normale Sachen zu kaufen, produziert entweder auf Clarksons “Diddly Squat”-Farm oder bei Bauern in der Region (aber nicht weiter als 25,7 Kilometer entfernt, Anweisung des Ortstrats): Wurst- und Fleisch liegt Vakuumverpackt in Kühlregalen, Mehl wird in kleinen Päckchen angeboten, Brotaufstriche und Chutney in kleinen Gläschen.
Toiletten gibt es leider keine. Der Ortsrat verfügte, dass die Toiletten und Tische entfernt werden müssen, weil das “gegen ein Gesetz” seien und “überhaupt eine Unverschämtheit”.
Clarksons schlug allerdings zurück. Sein Antrag auf ein Hofcafé wurde ja abgelehnt, und er hat es trotzdem eingerichtet, weil er meinte ein “hübsches, kleines Hintertürchen” in den Planungsvorgaben und Satzungen des Ortsrats gefunden zu haben. Der Krieg zwischen Clarkson und dem Ortsrat wird mittlerweile medial begleitet und ist Thema in der Presse (und hoffentlich auch in Staffel zwei oder drei von “Clarksons Farm”.
Clarkson legt sich also gerne mit den Oberen an, bittet aber durchaus um Rücksichtnahme auf die direkten Nachbarn.
Nach dem Besuch im Farmladen geht es durch Chipping Norton, dem Wohnsitz von Kaleb Cooper, der Clarkson versucht Landwirtschaft beizubringen, und seinem Vater Gerald, dem Trockenmauerbauer, dessen Gemurmel niemand versteht. Dann geht es durch die Cotswolds zum Pub "The Farmer´s Dog". Da das Hofcafé vom Ortsrat abgelehnt wurde, eröffnete Jeremy Clarkson dieses Jahr nicht unweit seiner Farm ein modernes Pub, wo er natürlich direkt das Hawkstone Bier vertreiben kann.
Von der Landschaft sieht man dort: Nichts. Die schmalen Straßennd werden links und rechts unmittelbar von mehreren Metern hohen Hecken oder Mauern begrenzt. Wirklich, Asphalt hört auf, Hecke fängt an.
Als würde man ständig durch den Graben des Todessterns fliegen. Das ist anstrengend. Man fühlt die Geschwindigkeit viel intensiver, man muss vorsichtig sein, weil ständig etwas von vorne kommen kann, und von der Landschaft sieht man natürlich gar nüscht. Ob der Ortsrat das mit Absicht so gemacht hat, damit man hier bloß nicht anhält oder ihnen die schöne Landschaft wegguckt?Read more