• Kuressare

    June 10 in Estonia ⋅ ☁️ 15 °C

    Nach einer regenreichen Nacht begrüßt uns heute freundlicherweise die Sonne – fast so, als wolle sie sich für den gestrigen Dauerregen entschuldigen. Da das Museum erst um zehn Uhr öffnet, lassen wir es morgens ruhig angehen und gönnen uns ein ausgedehntes Frühstück. Auf dem Weg zum Eingang fällt uns auf, wie frisch die Luft geworden ist. Die Sonne hat sich inzwischen wieder hinter dichte, graue Wolken zurückgezogen. Es ist das perfekte Wetter für einen „Übergangsmantel“ – meine Güte, wie lange habe ich dieses altmodische, aber charmante Wort nicht mehr gehört.

    Das Freilichtmuseum erstreckt sich über ein weitläufiges Gelände mit etwa 200 Metern Durchmesser. Mehrere bäuerliche Gebäude aus vergangenen Zeiten stehen hier, wie zufällig verstreut – und doch ist alles sorgfältig arrangiert. Beim Betreten der Häuser öffnet sich ein Fenster in eine andere Zeit. Man erfährt, wie einfach, zweckmäßig – und ja, oft auch erstaunlich gemütlich – das Leben der Landbevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war. Aber im Winter? Da möchte man hier wirklich nicht wohnen müssen. Für die kalte Jahreszeit gab es spezielle Wohnräume nahe bei den Stallungen – die Körperwärme der Tiere als natürliche Heizung.

    Beim Rundgang begegnen wir zwei Jungen, vielleicht vierzehn Jahre alt, die mit der Reinigung des Museums beschäftigt sind. Ganz ohne Aufforderung schalten sie ihren Staubsauger ab, als wir den Raum betreten – höflich, rücksichtsvoll und mit einem ehrlichen Lächeln im Gesicht. Es wirkt, als hätten sie tatsächlich Freude an ihrer Aufgabe. Eine kleine, stille Szene, die lange in Erinnerung bleibt.

    In einem der Häuser stoßen wir auf eine Ausstellung traditioneller Trachten. Welch ein Anblick muss es einst gewesen sein, wenn sich die Menschen in bunten Gewändern zu Festtagen versammelten! In unserer heutigen, multikulturellen Gesellschaft wäre es manchmal schön, wenn Kleidung wieder etwas mehr über Herkunft und Identität verraten würde. Obwohl – zugegeben – ich meine Rückschlüsse meist anhand der Größe des BMW ziehe.

    Der Tag ist noch jung, als wir das Museum verlassen und weiterfahren. Unser Ziel ist Kuressaare, rund 60 Kilometer entfernt. Der Weg führt durch weite Mischwälder, in denen sich viele Birken zwischen Kiefern und Eichen drängen. Saftige Wiesen und Weiden säumen die Straße – wäre ich ein Wiederkäuer, das hier wäre mein Paradies.

    Ohne auch nur eine Ortschaft zu durchqueren, erreichen wir schließlich Kuressaare. Zunächst spazieren wir um die imposante Bischofsburg Arensburg https://de.wikipedia.org/wiki/Kuressaare , deren Mauern fest und ehrwürdig in den Himmel ragen. Wir verzichten auf eine Innenbesichtigung, nehmen uns aber Zeit, die gepflegte Anlage und das eindrucksvolle Bauwerk von außen zu genießen.

    Dann fahren wir ein Stück weiter in die Innenstadt und finden einen Parkplatz direkt neben der historischen Mühle im Stadtzentrum. Eigentlich wollen wir im Mühlenrestaurant Veski Trahter zu Abend essen. Doch bei einem gemütlichen Bummel durch die kleine Altstadt bleiben wir im Bistro Pritsumaja Grill hängen – einem stimmungsvollen Lokal in einem Gebäude, das einst als Feuerwache diente.

    Neben den leckeren Speisen bestellen wir eine hausgemachte Beerenlimonade – fruchtig, leicht herb und überraschend erfrischend. Ein ganz neues Geschmackserlebnis, das wunderbar in diese Jahreszeit passt.

    Der Abend ist noch jung, also brechen wir auf zur Südspitze von Saaremaa. Dort, auf der Halbinsel Sõrve, steht der berühmte Leuchtturm von Sõrve – sein erster Vorgänger wurde bereits im 17. Jahrhundert errichtet. Ein würdiger Abschluss für diesen Tag: Geschichte, Natur und der weite Blick aufs Meer.
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