• Eifelprairie und Schienen ins Nichts

    3. lokakuuta 2016, Saksa ⋅ ☁️ 9 °C

    Tag 1
    32 km
    32 km gesamt

    Der Morgen war noch jung, der Kaffee schwarz, der Himmel grau wie alter Stahl. Ich schnürte die Stiefel, spürte das Leder an meinen Fersen und wusste: Ab heute wird nicht mehr gezögert. Kein Reden, kein Planen – heute wird geritten. Zu Fuß, mit schwerem Rucksack und noch schwereren Gedanken. Der Wind kam von Westen, und ich ging ihm entgegen. Nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung.

    Der Trail fing vor meiner Haustür an. Kein großes Tor, kein Zeichen. Nur der Matthiasweg – staubig, ehrlich, mit genug Kanten, dass man sich dran stoßen kann. Ich ließ Simmerath hinter mir wie ein Reiter die letzte Tankstelle vor der Wüste. Noch schnell Proviant besorgt – Brot, Käse, eine Handvoll Nüsse – und dann ab durch das Tor zur Wildnis. Der Asphalt verschwand, und was blieb, war Schotter. Und Stille.

    Das Tiefenbachtal lag da wie ein schlafender Bär. Feucht, neblig, grün wie der Rücken eines alten Alligators. Der Pfad war schmal, der Boden weich. Jeder Schritt sog mich tiefer hinein in den Wald, in die Ruhe, in mich selbst. Der Nebel kroch durch die Zweige, als wollte er mir Geschichten ins Ohr flüstern, die nur alte Eifeler Hirten und Reiter verstanden. Ich sagte nichts. Ich hörte nur zu.

    Dann kam der Aufstieg. Der Hang nach Dedenborn – steil, krumm, ohne Gnade. Kein Schild, das dich warnt. Kein Seil, das dich hält. Nur deine Beine, dein Wille, dein Fluch auf halber Strecke. Aber oben… oben stand ich am Rand der Welt. Der Blick war offen, weit, rau wie eine Prärie nach dem Sturm. Ich sah das Tal zu meinen Füßen, den Fluss, die Straße, den Hof da unten wie eine Miniatur der Welt. Und für einen Moment war ich König – nicht über das Land, sondern über mich selbst.

    Ich zog weiter. Durch das Tal der Rur, ein Band aus Wasser und Zeit, das sich durch die Hügel schlängelt wie eine alte Narbe. In Einruhr war alles still. Der See lag da wie flüssiges Glas, kaum ein Laut, kaum ein Mensch. Ich trat ans Ufer, aß ein Stück Brot, trank aus der Flasche, spuckte in den Wind. Kein Dank, kein Jammern. Einfach nur: weiter.

    Der Aufstieg durchs Erkensruhrer Tal war ein Ritt ohne Sattel. Die Bäume wurden dichter, der Pfad wilder. Ich begegnete niemandem. Nur ein Reh, das mich ansah wie einer, der weiß, dass ich nicht bleibe. Dann kam ich zur Leykaul. Verlassen. Zerfallen. Ein Bauernhof am Rand des Vergessens. Ich blieb stehen. Nicht aus Müdigkeit – sondern aus Respekt. Man hört es nicht, aber solche Orte reden mit dir. Nicht in Worten, sondern in Windstößen, im Knarzen alter Balken, im Geruch von Moder und Erinnerung.

    Der Nationalpark Eifel nahm mich auf wie ein stummes Tier. Die Wege schmal, das Gelände rau. Kein Schild, kein Zaun, kein Lärm. Nur Wald, Wildnis, Wind. Ich watete durch eine flache Furt, spürte das Wasser durch die Stiefel drücken – kalt, klar, lebendig. Weiter oben auf der Dreiborner Hochfläche war’s wie Reiten über offenes Grasland. Kein Schatten, keine Deckung. Der Himmel drückte, der Wind schob, und ich ging – nicht schnell, nicht langsam, sondern stetig. Wie ein alter Mustang, der weiß, dass das Ziel noch weit ist, aber egal: Der Weg ist das Gesetz.

    Ich kreuzte die B258 wie ein Reiter eine Eisenbahnlinie – kurz innehalten, rechts, links, dann weiter. Der Wind rauschte in den Ohren, aber ich hörte schon das letzte Lied des Tages. Die Talsperre lag still, das Wildgehege döste im Abendlicht, und dann kam er: der alte Bahnhof von Hellenthal.

    Stillgelegt. Verrostet. Ein Ort wie aus einem Western nach dem Abspann. Die Schienen führten ins Nichts, und genau da wollte ich hin. Ich setzte mich auf die Bank, ließ den Rucksack fallen und lehnte mich zurück. Der Körper brannte, die Füße pochten, aber das Herz – das war ruhig. Ein alter, ruhiger Rhythmus. So wie es sein soll.

    Ich wartete auf den Bus, aber innerlich war ich noch unterwegs. Vielleicht werde ich das immer sein.

    Denn wer den Jakobsweg geht, ist kein Tourist. Er ist ein Reiter ohne Pferd. Ein Mann auf Spurensuche.
    Und verdammt noch mal – heute hab ich meine Spur gesetzt.

    "Du kannst mit der Welt hadern oder mit ihr tanzen – aber auf dem Trail musst du sie einfach durchqueren."

    Bis zum nächsten Morgen.
    TrailSoulKev – der Staub bleibt dran.
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