• Au revoir Grand-Est, bienvenue Bourgogne

    1 Nisan, Fransa ⋅ 🌬 11 °C

    Tag 22
    19 km
    576 km gesamt

    Howdy, Freunde des rauen Pfads.
    Wer heute noch glaubt, der Jakobsweg sei bloß eine hübsche Wandertour mit Blümchen am Wegesrand und Pilgerstempel zum Frühstück, der hat den Schuss nicht gehört.
    Dies hier ist kein Spaziergang. Dies ist der Chemin des Allemands – ein alter Pfad, der dich nicht fragt, ob du bereit bist. Er nimmt dich mit oder spuckt dich aus. Heute war ich wieder unterwegs. Kein Pferd unter dem Hintern, nur meine Stiefel im Staub. Zweiter Tag. Von Auberive nach Grancey-le-Château. 17 Kilometer, die es in sich hatten. Nicht wegen der Distanz – sondern wegen der Seele dieses Wegs.
    Ein Trail, so ehrlich wie ein alter Colt.

    Der Weg: Vom Frost in die Freiheit
    Ich bin früh aufgewacht, eingehüllt in die Kälte wie in eine raulederne Decke. Die Unterkunft in Auberive – das Maison du Charbonnier – hatte keinen Ofen. Draußen war’s gefroren, drinnen auch. Frühstück? Zwei starke Kaffees, ein paar Brocken Brot, mehr brauchst du nicht, wenn du weißt, dass der Tag dich prüft.

    Ich packte meine Sachen. Der Rucksack saß wie ein treuer Sattel auf dem Rücken. Raus aus dem Tal, rein in den Nationalpark Forêts. Und Junge, dieser Wald – der war was für Reiterseelen. Alte Bäume, still wie ein Indianer vor dem Angriff, der Boden weich und federnd. Das Val Clavin – ein Tal wie aus einer vergessenen Ballade. Still, kühl, ehrfürchtig. Die Sonne stand tief, der Himmel blau, doch ein eisiger Nordostwind peitschte durch die Baumwipfel. Als würde der Winter nochmal die Zähne zeigen, bevor er abzieht.

    Nach ein paar Stunden stand ich in Vivey. Ein Weiler, kaum ein Dutzend Häuser. Aber da war dieser Rastplatz – Tisch, Bank, Brunnen mit kaltem Wasser. Ich ließ mich nieder. Trank. Kaute einen Müsliriegel, der sich wie ein Stück Zunder im Mund anfühlte. Aber das war egal. Ich war draußen. Ich war frei.

    Die Straße nach Nirgendwo
    Hinter Vivey kam ein Stück Asphalt, aber so einsam wie ein Saloon nach Sonnenuntergang. Kein einziges Auto kam mir entgegen. Nur ich, der Wind, und der Rhythmus meiner Stiefel auf dem Teer. Ein Mann auf der Straße – kein Ziel, nur Richtung.

    Dann: Lamarguelle-du-Bois. Ein Geisterort. Keine Menschenseele zu sehen. Fensterläden geschlossen, Türen zu. Unter einer alten Linde fand ich Zuflucht. Setzte mich, lauschte dem Wind, dachte an nichts. Der Trail nimmt dir den Lärm im Kopf. Und lässt dich fühlen, was bleibt.

    Dann kam der Anstieg. Rauf in den Wald, steil, schweißtreibend. Hier endet die Champagne. Und du trittst ein ins Burgund. Die Luft roch nach Erde, Moos und Vergangenheit. Ich überquerte die Grenze ohne Schild, ohne Pomp – nur ein Gefühl in der Brust, dass sich was verändert hat. Der Westen beginnt nicht mit einem Ort. Sondern mit einer Haltung.

    Kurz darauf tauchte die Ferme de Borgirault auf. Ein Reiterhof, verwittert, lebendig. Pferde auf der Weide. Hühner im Hof. Ein alter Mann, Hut auf dem Kopf, grüßt mich mit einem knappen:
    „Vous êtes pèlerin?“
    Ich nicke.
    „Alors, bon courage, cow-boy.“
    Ich grinse. Genau mein Stil.

    Ziel erreicht, Seele satt
    Grancey-le-Château tauchte plötzlich auf. Der Weg führte hinab, die Beine brannten, der Wind biss. Ein kleines Schloss auf einem Hügel, eine Kirche, und stille Gassen. Mein Ziel. Ich schlenderte durch den Ort. Der Lebensmittelladen war dicht – seit Monaten. Kein Problem. Ich hatte Wasser, ein paar Nüsse – und eine Einladung.

    Im alten Pfarrhaus, meiner Unterkunft, warteten meine Gastgeber schon. Eine einfache, warme Stube. Holzofen, dicke Decken. Und – ein Abendessen, das mich umhaute.
    Boeuf Bourguignon, kräftig und tief wie der Boden unter meinen Füßen. Dazu ein Stück Brot, rotweingetränkt wie ein Gedicht. Wir redeten auf Französisch, lachten.
    Die Straße macht dich hungrig – nach Essen, nach Begegnung, nach echten Momenten.

    Gedanken am Feuer
    Was mich heute bewegt hat?
    Nicht die Kälte, nicht der Aufstieg, nicht die Leere in den Dörfern.
    Es war dieser Moment am Rand des Waldes.
    Als ich innehielt. Als der Wind durch die Bäume rauschte wie ein Chor alter Cowboys.
    Da wusste ich: Ich bin nicht auf der Flucht. Ich bin auf der Suche. Nach dem, was bleibt, wenn alles andere schweigt.

    Abgesattelt. Für heute.
    Der Tag war kurz, aber kein bisschen leicht.
    Der Chemin des Allemands zeigt dir nicht nur die Landschaft. Er zeigt dir dich selbst – ohne Filter, ohne Ausrede.
    Wer hier läuft, läuft gegen den Wind. Und manchmal, ganz selten, läuft man mit ihm.

    TrailSoulKev out.
    Und denkt dran:
    „Ein Mann, der den Wind im Gesicht spürt, braucht keinen Kompass. Er weiß, wo’s langgeht.“

    Bis morgen, wenn’s wieder heißt: Staub fressen. Freiheit atmen. Weiterziehen.
    Okumaya devam et