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  • Day 123

    Die Stadt der Morgenröte

    January 31 in India ⋅ ⛅ 30 °C

    Annies Erleben

    Willkommen in Auroville, einer besonderen Etappe unserer Reise, irgendwie anders als alles, was wir bisher erlebt haben.

    Auroville liegt in Tamil Nadu und ist eine internationale Stadt mit hohen Idealen. Laut eigenen Angaben möchte Auroville eine universelle Stadt sein, in der Männer und Frauen aller Länder der Welt in Frieden und progressiver Harmonie, über allen Ideologien, Politiken und Nationalitäten, leben können (siehe www.auroville.org).

    Gegründet wurde Auroville von „The Mother“, einer französischen Visionärin, die gemeinsam mit dem indischen Philosophen Sri Aurobindo die Eingebung für ein integrales Leben hatte. Die Einweihungszeremonie fand 1968 mit Delegierten aus 124 Nationen statt. Ursprünglich ausgelegt für 50.000 Menschen, leben hier aktuell rund 3.300 Menschen aus 60 Nationen.

    Zentrum von Auroville ist der Matrimandir (die goldene Kugel auf den Bildern), in dessen Innerem eine große Glaskugel steht, durch die ein Sonnenstrahl hindurchstrahlt. Laut den Gründer:innen könne man dort das göttliche Bewusstsein finden (nicht religiös gemeint), das zur Evolution unserer Spezies notwendig sei. Als Besucher:in hat man hierfür allerdings nur 15 Minuten Zeit. Der Besuch der inneren Kammer ist streng reglementiert, und man muss sich früh genug um einen Termin kümmern.

    Soweit erstmal zur Theorie. Wir waren jedenfalls sehr gespannt auf unseren Aufenthalt in Auroville und sehr froh, nach ca. 15 Mails an die verschiedenen offiziellen Gästehäuser einen letzten Platz in einem Homestay ergattert zu haben. Denn nur dann bekommt man auch die „Aurocard“, die Teil eines bargeldlosen Bezahlsystems in Auroville ist. Und wir wollten unbedingt an diversen Workshops und Veranstaltungen teilnehmen, die wir vorher schon auf der Website gefunden hatten. Dabei war wirklich alles, was das Herz begehrt, von diversen Tanz- und Instrumentenworkshops, über verschiedene Therapieformen, handwerkliche Workshops bis hin zu zahlreichen esoterischen Kursen (z.B. Tarot).

    Wir hatten Glück und haben gleich bei der ersten Veranstaltung (Kirtan - das ist ein devotionaler Gesangsstil, bei dem z.B. liebevolle Hingabe an eine Gottheit zum Ausdruck gebracht wird) nette Leute kennengelernt, die uns für weitere kleinere, private Veranstaltungen eingeladen haben. Und so waren wir beispielsweise bei einem privaten Mantraworkshop oder einem Konzert, bei dem Pflanzenmusik gespielt wurde (mehr hierzu weiter unten von Rolf).

    Mir persönlich hat das Dance Offering sehr gut gefallen. Das war im Prinzip ein freies Tanzen in der Gruppe, bei dem sich die Teilnehmenden einer Qualität hingegeben haben, die sie gerne kultivieren/zum Ausdruck bringen möchten (ich habe z.B. Anmut genommen, Rolf das Glücklichsein). Die Gruppe empfand ich als sehr angenehm und offen und es ist mir gelungen, gut im Hier und Jetzt und in meinem Körper anzukommen. Ein weiteres Highlight war für mich das Vibrational Sound Bath, das ein Ehepaar angeboten hat. Die beiden haben diverse Klangplatten verschiedener Größen (einige echt groß) aus Russland importiert und wollen mit ihren kreativen Klangkombinationen innere Heilungsprozesse anregen. Es war schon erstaunlich, welche Vibrationen für mich im Körper spürbar waren. Zeitweise war ich wie in einer Traumwelt, der aber ein jähes Ende gesetzt wurde, als ich neben mir ein röchelndes Geräusch vernahm, das sich anhörte, als ob jemand neben mir (Rolf?!) erstickte. Seitdem war ich dann hellwach und beruhigte mich mit dem Gedanken, dass der Leiter schon einschreiten würde, wenn es ein Problem geben würde. Später stelle sich heraus, dass sich Rolf verschluckt hatte.

    Insgesamt war es das erste Mal auf unserer Reise, dass ich das Gefühl hatte, Einblicke in eine (sehr offene und nette) Community zu bekommen. Es hat mir gut getan, Menschen mit einem besonderen Lebensmodell kennenzulernen und deren Kreativität zu erleben. Menschen, für die psychische, soziale und spirituelle Entwicklung sowie ein herzoffenes Miteinander wichtige Werte sind und die sich um eine nachhaltige Lebensgestaltung bemühen. Auch wenn wir länger geblieben wären, hätte ich mich dort sicher wohl gefühlt. Während ich die Besichtigung touristischer Attraktionen immer wieder auch mal als anstrengend erlebe, empfand ich die Zeit in Auroville für mich als nährend.

    ***

    Rolfs Erleben

    Auroville ist mega!

    Genau wie Annie hat mir der Vibe in Auroville sehr gut gefallen. Wir hätten gerne länger bleiben und tiefer in die Community eintauchen können - und kommen vielleicht auch zurück und machen das noch. Es war das erste Mal, dass wir dieses Gefühl hatten - in Tushita hatten wir zwar viele nette Menschen kennengelernt, aber so ein Meditationsretreat ist eben doch etwas anderes als eine ganze Stadt.

    Auroville kannte ich seit ca 20 Jahren, als der Matrimandir fertiggestellt wurde, und wollte seitdem immer mal hin. Ich habe ja eine Schwäche für, hmm, sagen wir "Spinner aller Art" 😘, und fand das Projekt faszinierend. Gleichzeitig war ich sehr skeptisch: Die enorme Ambition hinter der Gründung ("Wir verändern die Welt und bringen die Evolution der Menschheit voran") stand für mich in drastischem und in gewisser Weise tragikomischem Kontrast zum seit über 50 Jahren erreichten (wie Annie schon sagte: von geplanten 50.000 Einwohnern sind es aktuell ca 3.000; und von weltweitem Einfluss ist nichts zu spüren).

    Die sehr umständliche Unterkunftsuche (Airbnb oder Booking können das hundertmal besser als die Eigenentwicklung) und die gleichzeitig utopisch wirkende und antiquiert umgesetzte Vision einer "geldlosen Gesellschaft" (die "Aurocard" ist nichts anderes als eine Geldkarte, die nur in Auroville funktioniert - warum nicht einfach normale Kreditkarten akzeptieren?!) taten ihr Übriges, um in mir den Eindruck einer zwar liebenswerten, aber gleichzeitig weltfremden und - laut diversen Internetberichten - etwas verfallenen und in die Jahre gekommenen Althippiesiedlung zu erwecken.

    Völlig verkehrt war diese Erwartung auch nicht... aber stark verkürzt und in mancherlei Hinsicht auch ganz falsch. Von Verfall war jedenfalls nichts zu spüren: Auf einer ehemals fast kahlen Ebene haben die Auroviller über drei Millionen Bäume gepflanzt, so dass die selbsternannte "Stadt der Morgenröte" aus einzelnen Häusern und Bungalows in einem grünen Paradies besteht. Die umständliche Unterkunftsuche und die Aurocard scheinen mir nach dem Besuch eher als bewusste Entscheidung, um dem Massentourismus einen Filter vorzuschieben und nur wirklich interessierte Menschen hereinzulassen. Und die "nur" 3.000 Einwohner haben wohl auch eher damit zu tun, dass die Auroviller sehr wählerisch sind und nur diejenigen als Neubürger akzeptieren, die voll hinter dem Projekt stehen.

    Das Ergebnis ist eine Gemeinschaft, in der es sehr viele besondere Menschen mit hoher kreativer Energie und spannenden Ideen gibt. Wenn ich mir dann die Bilder von vor 50 Jahren ansehe, bin ich schon sehr beeindruckt davon, was - ohne äußere Förderung - hier geschaffen wurde und wird.

    Natürlich zählt dazu insbesondere der Matrimandir. Durch den war ich ja vor 20 Jahren erst auf Auroville aufmerksam geworden. Von weitem sieht er ein bisschen aus wie ein überdimensionierter Golfball... Von nahem und von innen ist es einer der beeindruckendsten Sakralbauten, die ich je gesehen habe. Wenn man - ohne religiösen Brimbamborium - einen Ort für innere Sammlung, Ruhe, Einkehr etc etc designen möchte, dann kann man es architektonisch kaum besser machen. 11/10, wow.

    Und ähnlich beeindruckend empfand ich die Vielfalt an möglichen Aktivitäten und die gefühlte Gemeinschaft. Von Kirtan über Sound Bath, von Dance Offering über Inner Exploration bis zum Mantra-Workshop war eigentlich alles cool. Den Vogel abgeschossen hat aber das Konzert der Topfpflanze.

    Diese wurde an zwei Elektroden angeschlossen, und die winzigen elektrischen Ströme in der Pflanze dann in Musik übersetzt. Leider... kam kein Pieps. Wie uns erklärt wurde, leide die Topfpflanze an Lampenfieber und komme mit dem Ortswechsel auf die Bühne nicht gut klar. Tja. 🤷‍♂️

    Den Abend gerettet hat dann ein Chashewbaum, der offenbar gerade eine kreative Phase hatte und eingesprungen ist. Kreativ waren auch die menschlichen Musiker, die mitgejamt haben und nach der ersten Stunde alleine (und sehr künstlerisch) das Konzert weiter gestaltet haben. Ganz klar ein Abend, den wir so schnell nicht vergessen werden!

    Fazit: Könnte Auroville dynamischer und größer sein? Bestimmt! Aber... muss es gar nicht. Es ist einfach toll, dass es die Stadt gibt, und dass sie so ist, wie sie ist. Wir sind jedenfalls fest entschlossen, weitere solche verrückten Orte zu finden, und vielleicht kommen wir ja eines Tages wieder, um ein bisschen tiefer einzutauchen, als es in fünf Tagen möglich ist!
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