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  • Day 25

    Gestaltausbildung

    April 22, 2021 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Ein Vibrieren liegt in der Luft, durchtränkt den ganzen Raum und jede Pore in mir. Meine Sinne sind gebannt auf das rote. Quadrat in unserer Mitte gerichtet, dem Zentrum der Blicke, dem magischen Stuhl der Transformation. Schon sehr bald wird jemand von uns auf diesem Kissen sitzen und von neuem wird sich ein inneres Universum vor uns entfalten. Eine Welt voller Wünsche, Hoffnungen aber auch beseelt mit Geistern der Vergangenheit und Strudeln aus Schmerz. Hier finden sich glitzernde Schätze, seidene bunte Flügel, die Freiheit und Leichtigkeit versprechen, aber auch beängstigende Schatten und Abgründe des Ekels und Schams. Pulsierende Wunden, die nie verheilt sind und immer noch eitern, die uns Stück für Stück vergiften und unserer Kräfte berauben. An diesem magischen Ort liegt alles was in uns verborgen ist offen und ehrlich vor. Ohne Schmuck und Tand. Aus Schatten wird Licht und so manches Licht wirft im Angesicht der Bewusstheit auch Schatten. Illusionen fallen ab, lösen sich wie Morgennebel auf, wenn wir danach greifen, bersten und legen frei, was wir so lange vor uns selbst versteckt haben. Nur wenn wir hinschauen, wenn wir wachsen, wenn wir zu verstehen beginnen, dann kann Heilung beginnen.
    Wir blicken in Dämonenfratzen und erkennen uns eigenes Gesicht. Wir schneiden ab und würgen aus, was wir dachten, es wäre unser eigens. Wie oft haben wir in der Vergangenheit Dinge geschluckt und integriert die uns schaden, die nicht uns selbst entsprechen, konnten nicht anders, in blindem Vertrauen? Wie oft haben Diener beschworen, die uns alsbald zu Plagegeistern geworden sind? Wie oft stehen wir vor scheinbar massiven Wänden und entdecken dann, dass sie nur aus Nebel bestehen? Fühlen wir uns klein und hilflos und sehen nicht, dass wir es selbst sind, die dem Wachstum entsagen?

    Ich entdecke an diesem Ort, dass das Ich und das Du sich gegenseitig bedingen und dass wir uns so oft und in so vielem ähneln. Das unsere Wunden, Ängste und Sorgen aus dem selben Stoff geschneidert und unsere Geschichten ähnliche Lieder sind. Im erkennen, dass wir damit nicht alleine sind, liegt eine grosse Kraft. Ich sehe Menschen über Schatten steigen, die mir selbst zu gross und zu hoch erschienen. Es erfüllt mich mit Mut und Kraft. Und mehr und mehr fühle ich mich bereit, sie ebenfalls zu erklimmen.
    So viele Fesseln haben wir uns selber angelegt oder breitwillig anlegen lassen. So vielen Ideen und Vision entsagt, weil uns andere klein machen wollten, weil sich andere selber klein sehen und sich verboten zu träumen. Wir haben Regeln aufgesaugt, was sich gehört und Anleitungen gelesen, nach was wir streben sollen, was ein gutes Leben ausmacht und Glück bringt.
    Wie schmerzlich muss ich jetzt erkennen, dass alles nur Kulisse war. Trugbilder, deren Goldschicht schon bei näherer Betrachtung abblättert, wenn wir nur hinsehen und hinfühlen. Das Licht der Ehrlichkeit macht mir Angst, lässt meine Welt in seinem Fundament erbeben und zerbröseln. Wo kann ich mich noch festhalten, wenn meine Welt zergeht, weich wird wie Wachs? Ich entschwebe in einen leeren Raum, wirble umher, weiss weder oben noch unten. Alles ist schwarz im Raum des Todes (oder der Geburt?). Dann endet der Tunnel und Licht bricht durch die Dunkelheit. Ich habe mich durch einen Trichter gequetscht, der immer enger geworden ist, bis ich dachte, ich müsste stecken bleiben. Nun wird alles weit und gross. Eine neue Welt entfaltet sich vor meinen Augen. Sie ist erfüllt von Düften, Farben und Gerüchen, von Leben und von Freiheit. Die Welt in mir ist weiter und grösser geworden, ist ein Stück in Richtung Unendlichkeit gerückt. Diesmal fühlt sich echt an, blättert nicht ab. Und ich erkenne: Es gibt sie, die Welt hinter den Illusionen der Gesellschaft und Kultur. Sie liegt in uns. In jedem von uns. Und sie war schon immer und wartet geduldig darauf von uns entdeckt zu werden. Doch dafür müssen wir uns verpuppen und der Dunkelheit und den Scherzen stellen. Es gibt kein Weg, der daran vorbei führt, wenn wir in diese neue Welt gelangen wollen.
    Sei mutig Wanderer und nimm die Fackel der Erkenntnis auf. Denke daran: Du kannst diesen Weg Schritt für Schritt gehen. Pausen machen, so oft und so lange Du willst. Du musst ihn nicht gehen, es steht Dir frei. Aber Du kannst, wenn Du willst. Und ich verspreche Dir aus tiefstem Herzen, dass die Welt dahinter, die Du findest, jedes Leiden und jeden Schmerz wert ist. Das sich der Preis lohnt, ja sich oft sogar als Geschenk entpuppt. Und wenn Du im Morast zu versinken drohst, wenn Du im Angesicht der Angst fast vergehst, dann bist nahe am Ende des Tunnels. Dann rufe laut, denn da werden Gefährten sein, die Dich stützen, die Dich ermutigen, die Dir Kraft und Trost spenden. Wir müssen unseren Weg zwar auf unseren eigenen Füssen gehen, Schritt um Schritt, aber wir sind dabei nicht alleine. Und wenn wir den Weg einmal gegangen sind, so können wir Beleiterinnen werden, für unsere Gefährten. Dann werden wir die Ängste und Schatten als das erkennen, was sie sind und können in ihrem Angesicht aufrecht stehen und Kraft und Mut spenden. Bis irgendwann alle den Weg in die neue Welt gefunden haben.
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