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  • Day 23

    23. Tag Astorga nach El Acebo

    July 27, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 16 °C

    Wow, was für ein Tag! Ich glaube mit diesem könnte ich allein ein ganzes Buch füllen. Liege komplett fertig, aber unglaublich stolz hier auf ca 1.200 Höhenmetern in der Koje und spüre komplett meine Beine, aber es hat sich gelohnt!

    Der Tag fing heute gegen 6:30 Uhr an. Warum auch immer schloss sich der Herbergenvater Familie Gonzales an, spielte ab jener Zeit irgendein Wolfsgeheule alias Klostergesänge, um dann 7 Uhr völlig selbstverständlich ins Zimmer zu kommen und das Licht anzumachen. Möge er das nächste Mal Salat in einer viel zu kleinen Schüssel umrühren!

    Wiederum ein was gutes hatte es: man war schon vor der Sonne auf den Beinen und begann seinen Tag. Ich hatte mir gestern Abend an der Taktiktafel ausgemalt, dass ich heute den Versuch angehen möchte, endlich mit klarem Kopf die letzten 8 Tage angehen zu können. Das schaffte ich, indem ich 2 Etappen an einem Tag lief - der Junge hat anscheinend nicht aus dem letzten Marathon gelernt, aber heute war wieder einer dran. Na gut nicht ganz - 38 Kilometer standen auf dem Tacho!

    Die ersten 9 Kilometer komplett aus dem Arm geschüttelt, machte ich meine erste Frühstückspause. Frisch gepresster Orangensaft, Tortilla, 2 Chorizobrote und ein Café Americano - herrlich! Nach einer Dreiviertel Stunde gut gestärkt weitergelaufen, bemerkte ich nach ca 1.5 Kilometern, dass ich meine Cap vergessen hatte. Ich bin ehrlich: ich hab sie auf der Straße vor 10 Tagen gefunden und in Leipzig hätte ich mir Safe gedacht ‚scheiß drauf, Ich Kauf mir einfach eine Neue‘. Aber da hier sein ganzes Hab und Gut ein Rucksack mit Sachen drin ist, baut man witzigerweise eine ganz neue Bindung zu den Sachen auf. Komplett Zähne knirschend ging es dann zurück zur Bar, eine halbe Stunde dadurch verloren, aber ich hatte sie wieder - die Cap!

    Der Weg war heute auf jeden Zentimenter einfach nur wunderschön. Wundervolle Natur, keine wüstige Meseta mehr und super süße kleine Dörfer. In einem dieser habe ich nach 5 weiteren Kilometer die nächste kleine Pause gemacht, ich war eigentlich schon vorbei, weil ich bis Kilometer 20 durchlaufen wollte, sah aber 2 Pilger, die ich mochte. So wurde ein 10 Minuten Rast für 2 Eistee Pfirsich Dosen gemacht.

    Für die folgende Geschichte sehr wichtig, bin ich nach der Bar dann Kopfhörer rein und zu meinem ersten großen Zwischenziel nach El Genso, was die Hälfte der heutigen Etappe war, gelaufen. Dort auf eine Cola einkehren wollen, merkte ich, dass mein Geldbeutel fehlte.

    Mein Geldbeutel, in dem mein Perso für den Rückflug, meine Geldkarte und ca 125 Euro sind. Ich komplett in mich gegangen, wo ich ihn verloren haben könnte, bestellte mir erstmal ein Sandwich, dazu ein kleines Bier. Mal kurz ein wenig Panik geschoben, wusste ich: auf dem Camino wird alles gut gehen. Wir haben einfach mal Glück! Einig war ich mir aber relativ schnell, die 8 Kilometer gehe ich dieses Mal nicht zurück, um zu sehen, ob er dort liegt. Am Nachbartisch die Truppe gefragt, ob jemand auf spanisch in meinem Namen bei der letzten Bar anrufen könne, um sich zu erkundigen, bin ich sehr schnell auf Hilfe gestoßen.

    4 mal angerufen, ging keiner ran. So sagte dann Giovanni, dass nur noch beten hilft haha. Kurzes Stoßgebet der Truppe gen Himmel gefeuert, kam original 30 Sekunden später ein amerikanisches Paar an der Bar langgelaufen, mit einem Foto meines Persos, ob wer diesen Mann kennt. Komplett happy gesagt, dass ich es bin, gaben sie mir eine Visitenkarte von Juan mit der richtigen Nummer der Bar, er hätte ihn gefunden. Der spanische Pilger ihn angerufen, meinte er sofort, dass er sich ins Auto setze und ihn mir bringe.

    So viel Nächstenliebe hier antreffend, war ich schon ein wenig beeindruckt und fühlte mich in der Schuld. Ca 10 Minuten stand er mit meinem Geldbeutel und alles noch drin vor mir, ich ihm 25 Euro Finderlohn angeboten, wollte er es partout nicht annehmen. Ich musste es fast in ihn reinprügeln, letztendlich hatte er es angenommen und meinte, er verwendet es für einen guten Zweck. Krass eh! Giovanni und Matthias für das Stoßgebet auf witzige Weise ein kleines Bier gefordert, gab es das auch noch als Belohnung und dann ging es wieder auf die Reise.

    15:30 Uhr kam ich auf Kilometer 25 in ein Bergdorf und hörte beim Ortseingang schon laute Musik. Den spanischen Klängen lauschend, erblickte ich eine Herberge mit vielen jungen Menschen, tanzend und schon das ein oder andere Getränk in der Hand. Ich wurde quasi dazu genötigt mit Rast zu machen, heute dann doch mehr Pausen als geplant, aber sehr schön! Mit der Info, dass sie einen Sonnenuntergangslauf planen und ebenfalls in das noch 12 Kilometer entfernte El Acabo wollen, lies ich mich darauf ein und stimme einem Mojito zu.

    18 Uhr loslaufend, kamen wir am Cruz de Ferro entlang - einer der bekanntesten Orte auf dem Jakobsweg. Viele Pilger bringen einen Stein oder ein Gegenstand aus ihrem Leben von Zuhause mit und legen ihn dann dort ab. Symbolisch dafür diesen Abschnitt, diese Seelenlast hinter sich zu lassen. Ich hatte auch einen kleinen Gegenstand dabei, welchen ich ablegte. Es war ein sehr emotionaler Ort: man fand dort viele Trauersteine, Bilder von Personen, kleine Briefe, aber auch einen Ring. Die Story dazu wüsste ich gerne!

    Giovanni den ich beim Mittagessen kennengelernt hatte, erzählte mir, dass er den Jakobsweg wegen seiner Mutter läuft. Es war immer ihr Traum diesen zu laufen, sie hat es aber nicht mehr geschafft und ist vor wenigen Jahren verstorben. Er hatte eine ganz tiefe Beziehung zu ihr und spürt sie auf jeden Meter. Ich komplett berührt von der Geschichte, dachte auch am Cruz daran. Er wolle morgen, wenn er daran vorbeikommt, dort ihr Bild ablegen und von ihr Abschied nehmen - natürlich unter Männern die Emotionen sich nicht ganz zeigen wollend, wurde gemeinsam angeprost und nach kurzen Luft holen, der nächste Witz gerissen.

    Niemals gedacht, dass 12 Kilometer so anstrengend sein können, befinden wir uns inzwischen im Gebirge. Es ging hoch und runter, viele Höhenmeter gemacht, war es mit einer der anstrengendsten Tage. Aber mit solch einem Sonnenuntergang belohnt zu werden, hat die heutigen Strapazen absolut entlohnt. Kann die Bilder schlecht in Worte fassen, aber ich glaube die Fotos zeigen es ganz gut - am höchsten Punkt des Jakobswegs mal ein wenig durchatmen.

    21 Uhr schloss der Checkin der Alberge, welche wirklich gigantisch ist. Punkt 20:59 Uhr war ich angekommen, völlig erschöpft, aber mit unglaublich tollen Erinnerungen eines ereignisreichen Tages bepackt. Der Pool eigentlich schon geschlossen, durfte ich nach kurzer rhetorischen Höchstleistung noch einmal reinspringen - ein Infiniftypool, Helge wäre neidisch!

    Das Frauenhalbfinale noch bei einem Rotwein geschaut, freue ich mich sehr auf ein wenig Ruhe. Mit der aufgehenden Sonne in Astorga losgelaufen, mit der Untergehenden in El Acebo angekommen - was ein Tag! 🙏🏻

    #8DaysToGo
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