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  • Day 93

    La Paz und Cochabamba

    November 2, 2022 in Bolivia ⋅ ☀️ 23 °C

    Wenn man vom Titicacasee nach La Paz fährt, verlässt man die 4000 Höhenmeter eigentlich kaum und fährt entlang der Hochebene. Zuvor umrundet man den wunderschönen See südlich und kann von diesem tollen Ort Abschied nehmen. Mit einer kleinen Fähre überquert man schließlich noch einen Teil und fährt dann eine recht ungewöhnlich gerade Straße nach La Paz. Die Sonne ließ die Hochebene golden leuchten und strahlte die umliegenden weißen Berggipfel an, die bis zu 6000m hoch sind. Ein sensationeller Anblick. Hier und da sah man vereinzelt Häuser aus Lehmziegeln, die im gleichen Farbspektrum kaum in der Landschaft auffielen. Eigentlich ist diese Bauweise ein Zeichen von Armut, jedoch kam mir der Gedanke, dass das wohl aktuell die ökologischste Bauweise ist, auch wenn die Bolivianer sicherlich aus anderen Gründen so bauen. Überall standen Kühe und Lamas herum und kauten an den vertrockneten Grashalmen. Schon nach gefühlt kurzen 4 Stunden erreichten wir Randgebiete von El Alto, die Schwesterstadt von La Paz. Wir fuhren an schier unzähligen Ziegelbauten vorbei, alle im Rohbauzustand, oft mit herausragenden Stahlarmierung auf weiteren Etagen, kein Putz und eine staubige Umgebung. Es werden all die Baumaterialien verbaut, die da sind, auch wenn dadurch alles halb fertig wirkt. Die Sonne ließ alles noch karger, eintöniger und trockener wirken. Inmitten des Highways verkauften StraßenhändlerInnen Obst, Gemüse, Zuckerrohr und alles was man sonst so gebrauchen könnte. Ein willkommener Farbklecks für die Augen. Die Häuser hörten nicht auf, wurden sogar mehr und der Verkehr verdichtete sich. Ich begriff erst viel später, dass das noch gar nicht La Paz war.

    El Alto ist mit die am schnellsten wachsende Stadt der Welt, unkontrolliert wächst sie in die Weite der Hochebene und immer mehr Menschen strömen in die vermeintlich lebenswertere Stadt. Allerdings hat El Alto nur bedingt Wasser- und Stromanschluss, über 50% sind unter 19 Jahre alt und der indigene Anteil ist mit 75% recht hoch, da sich keiner leisten kann in La Paz zu wohnen. Die Stadt hat nicht mal ein richtiges Zentrum, sondern scheint einfach nur ein Millionen Ballungsraum von La Paz zu sein, der leider eine hohe Kriminalitätsrate hat. Als wir es dann irgendwie durch den Verkehr geschafft hatten, bogen wir in den Kessel ab, in dem sich La Paz befindet. Gefühlt klebten alle Gringos ihre Nasen an die rechten Scheiben, da man nicht glauben konnte was man da sah. Ein Tal voller Gebäude, auch hier die Berghänge zu tapeziert mit Ziegelbauten und das Stadtzentrum mit Glasgebäuden irgendwo im Talboden. Wir fuhren eine ganze Weile den Hang hinab, mitten rein ins Verkehrechaos, hupende Autos überall, Mopeds und Menschen die sich durch die Auto zwängen und eine immer schlechter werdende Luft. Man könnte denken, dass auch in La Paz Millionen Menschen leben, aber es sind gerade mal ca. 800.000. Ich muss sagen, dass ich nach den Aufenthalten an der peruanische Küste und im Dschungel, mit anschließendem traumhaften Stopp am Titicacasee echt irritiert und etwas überfordert von dem Lärm war. Mir war so gar nicht nach einer lauten Stadt zu Mute und das wurde mit der darauffolgenden Taxifahrt auch nicht besser. Wir steckten teilweise in den Straßen fest -rush hour- da alle von der Stadt wieder ins Umland wollten. Es gibt kein öffentliches Bussystem, sondern sogenannte Colectivos, die es massenhaft auf den Straßen gibt. Die Ampelfärbung wird auch eher als Empfehlung gesehen, sodass Kreuzungen verstopft sind und durch wütende Autofahrer ständig frei gehupt werden. Es hat sich da wohl eine eigene Dynamik entwickelt.
    Irgendwann waren wir dann in einem Hostel und wurden mit einem sehr geräumigen Zimmer entlohnt, wenn auch nicht frei von Verkehrslärm. Am Ende blieben wir vier Nächte, schauten uns die Umgebung an, erkundeten die Stadt und lernten sie besser kennen.

    La Paz hat seit 2014 ein ausgebautes Gondel-System, dass den Menschen den Aufstieg erleichtern soll. Auf knapp 4000m fiel es mir nach wie vor schwer richtig Luft zu bekommen aber ich konnte auch beobachten, dass es selbst für die Einheimischen schwer war. Deshalb, aber auch um El Alto an La Paz besser anzubinden, wurde die Stadt seit 2014 mit 10 Linien versehen. Über der Stadt zu schweben ist natürlich auch eine Touristenattraktion und man entgeht dem Trubel und Smog der Stadt. Wir ließen uns also, dem Sonnenuntergang entgegen, über die Stadt gondeln und sahen die verschiedenen Stadtteile, auch wohlhabendere Orte, die umliegenden Vulkane und am Ende die untergehende Sonne auf dem Kesselrand. Es war außerdem auch sehr interessant, mal in die Hinterhöfe schielen zu können, um zu sehen wie die Menschen so leben. Angelangt am oberen Ende des Kessels, war die Atmosphäre der oberhalb liegenden Stadt für uns nicht sonderlich einladend, sodass wir mit der Gondel wieder hinab fuhren. So bot sich uns die Stadt von einem weiteren Blickwinkel, denn es scheint als würde nachts der Sternenhimmel verkehrt herum scheinen, so leuchten all die Häuser der Stadt an den Hängen.
    La Paz bzw. Bolivien hat ein großes Wasserproblem. Alles ist kontaminiert und damit werden die Felder bewässert. Das merken wir deutlich an unseren schmerzenden Mägen und die Flüsse durch die Stadt sind braun und schäumen vor giftigen Inhaltsstoffen. Aber was das für die Menschen in der Stadt bedeutet, ist kaum greifbar. Auch hier gibt es eine große Zuwanderung zu den Städten, die nicht für so viele Menschen gemacht sind. Wichtige natürliche Wasserquellen werden sofort verunreinigt und die Regierung handelt nur wenig. Es gibt wohl aktuell kleine Initiativen, vor allem durch die indigene Bevölkerung, die anhand ihres uralten Wissens und mit Hilfe von neuen Technologien teilweise Stadtteile mit Frischwasser versorgen können. Dazu werden Filteranlagen installiert, um einige Haushalte an den Hängen von La Paz zu versorgen. Aber in Bezug auf die klimatischen Veränderungen und den allgemeinen Zustand des Landes, müsste an vielen Stellen sofort gehandelt werden.

    Um dem Smog ein wenig zu entkommen, wollten wir am nächsten Tag direkt wieder in die Natur und es ging sehr früh raus für uns. Wir hatten eine Tour gebucht, bei der man mit dem Mountainbike die sogenannte „Death Road“ - Camino de la Muerte - fährt. Eine einst sehr gefährliche Straße, wird nun als Adrenalin-Attraktion angeboten. Als Verbindungsstraße zwischen Hochland und Regenwald wurde sie damals von Zwangsarbeitern erbaut, wobei viele ihr Leben ließen. Während des Krieges zwischen Peru und Bolivien kam es bei Kämpfen wohl auch dazu, dass sich die Peruaner lieber die Hänge hinunter stürzten, als zu kapitulieren und auch beim späteren Befahren der Straße sind viele Autos in die Tiefen gestürzt. Aufgrund dessen wurde eine Umgehungsstraße erbaut, die all dem ein Ende setzen sollte aber den Namen hat sie behalten. Der Name ist Programm aber gefährlich ist etwas anderes. Ich fand es richtig schön, dass uns bei der Tour in Pausen auch von den geschichtlichen Hintergründen erzählt wurde.
    Aber erstmal ging es rauf auf 4700m, wo wir ein Frühstück mit Aussicht bekamen. Der hochgradig motivierte, junge Gruppenleiter des gesamten Teams heizte uns gut gelaunt ein, gab uns die Instruktionen und wir zogen unser Equipment an. Nach einem Gruppenfoto und dem tagesbegleitenden Schlachtruf, schwangen wir uns auf die Räder und sausten ca. 16km die Asphaltstraße hinab. Das war ein kleines Warm-up und Adrenalin pur. Zum Glück waren nur wenige Autos unterwegs und man konnte die Steilhänge der Anden und die Straße genießen. Anschließend fuhren wir alle mit einem Strahlen im Gesicht nochmal ein Stück mit dem Auto weiter, zur eigentlich Schotterpiste und dem Anfang des La-Cumbre-Passes. Von braunen Berggipfeln, über Moos bedeckte Steinhänge, waren wir nun im Dschungel angekommen. Es war merklich wärmer und wir sahen, wie die Wolken aus dem Dschungeltal über die Hänge zogen. Wir hatten großes Glück mit dem Wetter und man sagte uns, dass die Sonne den restlichen Nebel noch weg küssen würde. Tat sie auch. Es machte tierischen Spaß noch weitere 50km die Piste runterzubrettern und immer mehr vom Dschungel sehen zu können. Paul kannte die Strecke schon, da er sie vor acht Jahren schon mal entlang gebraust ist und konnte bei mir für Vorfreude sorgen. Auch für ihn hatte es sich so gelohnt, das Abenteuer noch einmal zu erleben. Wir stoppten immer mal, um ein Foto machen zu können, auszuruhen, einen Snack zu bekommen oder um etwas über den Ort zu erfahren. Nach ca. zweieinhalb Stunden waren wir dann am Ziel angelangt: wir wurden zu einem kleinen Lokal gefahren, um dort Mittag zu essen und in den Pool zu springen. Wir konnten ein paar Stunden in der Sonne abhängen, spielten mit den Locals im Wasser Volleyball und genossen die Wärme auf ca. 1000m Höhe. Anschließend wurden wir wieder ca. 3 Stunden nach La Paz gefahren und konnten die Veränderung der Natur mit der Höhe erneut bewundern. Ich hab den Tag total genossen, hatte eine Menge Spaß und würde jedem, der ein bisschen Adrenalin mag, zuraten ☺️

    Am nächsten Tag bin ich nochmal auf eigene Faust los, um die Stadt und ihr Leben besser verstehen zu können. Unser Hostel lag in der Nähe eines recht schönen Viertels und war voll von Menschen die Lebensmittel, Streetfood und Alpakapullover verkauften. Insbesondere sieht man hier die Cholitas. Die Verniedlichungsform von „Chola“, so wie einst die Bezeichnung für die „zivilisierte“, an die spanische Kultur angepasste Mestizin genannt wurde. Und auch wenn sie in Bolivien stark vertreten sind, müssen sie für ihre Rechte und Anerkennung kämpfen. Deshalb sind sie auf die Straßen ausgewichen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dadurch wird jedoch auch ihre Kultur in Form von Streetfood und Kunsthandwerk sichtbar und erhalten. Cholitas haben ein ganz markantes Äußeres, dass sie seit den zwanziger Jahren verändert haben. Sie haben ihre alte indigene Tracht gegen die „pollera“ eingetauscht: sie tragen sehr viele Lagen an Röcken und haben dadurch teilweise 6-8m Stoff um sich gewickelt. Das lässt sie alle etwas übergewichtig scheinen (sind sie allerdings auch oft) aber das ist auch von finanzieller Situation der Trägerin abhängig. Dazu tragen sie zwei geflochtene Zöpfe und einen (Herren-) Hut. Hier hatte im 20.Jhr ein italienischer Huthersteller versehentlich eine große Lieferung Herrenhüte nach Bolivien exportiert, die bei den Männern keinen großen Anklang fanden. Daraufhin wurden die sogenannten „Melonen“ an die Frauen vermarktet. Sie tragen alle ein buntes Tuch auf dem Rücken, mit dem Lebensmittel aber auch die Babys transportiert werden und Goldzähne scheinen extrem angesagt zu sein. Bisher sind mir von ihnen jedoch keine jungen Frauen aufgefallen, bis ich es auf den Marktplatz der San Franzisco Kathedrale geschafft hatte, wo eine große pinke Truppe wohl einen Abschluss feierte. Ich liebe die Farben in diesen Ländern! Das bunte Treiben auf dem Markt, die wenigen Konversationen, die ich mittlerweile hinbekomme und die freundliche Art der Menschen hat mir die Stadt sehr sympathisch gemacht.

    Am Nachmittag zogen wir noch einmal los, um das Mondtal zu besichtigen. Unweit von La Paz gibt es das Valle de la Luna, in dem man wirklich vermuten kann, auf einem anderen Planeten zu sein. Wir schlängelten uns den Weg entlang und waren fasziniert von den Formationen und unterschiedlichen Farben der Steine in der gesamten Umgebung. Ein schöner kleiner Ausflug und ein gelungener Tag.

    Es war nun an der Zeit weiterzuziehen. Unser Ziel war Samaipata aber das war nicht mit einer Busfahrt zu schaffen, sodass wir erstmal nach Cochabamba fuhren. Nun waren wir schon eine gute Woche in Bolivien, dem ärmsten Land des Kontinents und ich ungefähr 3 Monate unterwegs und fuhr nun den bequemsten Bus überhaupt. Die neun Stunden waren also gut zu bewältigen und ein süßer kleiner Junge verzauberte unsere Fahrt. Ich kann jedoch auch beobachten, wie Kinder gern mehrere Stunden sich selbst überlassen werden, da die Eltern ständig am Handy hängen und wenn ein Kind mal gewickelt werden muss, riecht man das im ganzen Bus und dann wird die volle Windel einfach zum Fenster raus geschmissen. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass einfach keine Sensibilität für die Natur vorhanden ist. Andererseits habe ich das Gefühl mich sehr in Bolivien zu verlieben. Die Menschen sind irre nett, ich verstehe ihr Spanisch gut und die Atmosphäre wirkt sehr herzlich und warm. Dazu kommt die fantastische Umgebung.

    In erster Linie war Cochabamba als Zwischenstopp gedacht, also verbrachten wir nur einen Tag dort. Dieser hielt jedoch eine Überraschung für uns bereit. Wir liefen durch die leeren Gassen und waren ganz froh über den wenigen Trubel. Wir verschafften uns von den umliegenden Hügeln einen Überblick und hatten innerstädtisch das Gefühl, dass die Stadt doch sehr zivilisiert ist. Als wir am Friedhof ankamen, wussten wir dann wo alle Menschen sich versammelt hatten. Vom Hostel wurde uns empfohlen, da Tag der Toten, „Dia de los Muertos“ war, zum Friedhof zu laufen, um dort Geschenke zu bekommen. Erst als wir das Treiben beobachteten begriff ich, was die Tradition und das Geben und Nehmen bedeutete. Unglaublich viele versammelten sich vor den Mauern des Friedhofes, um Bilder ihrer Verstorbenen aufzustellen. Drum herum waren Gaben wie Brot, Obst, Süßigkeiten oder andere Leckereien ausgebreitet. Man stellte sich also vor all den Sachen, sprach ein Gebet, sang ein Lied, spielte ein Instrument und bekam als Dank etwas zu Essen. Viele kamen mit riesen Tüten, die sie sich voll packten. Das ganze glich eher einem riesen Fest. Man sah also weinende Witwen oder Eltern, daneben hüpfende Kinder auf Trampolinen, Jugendliche in knapper Bekleidung, kleine Bands die nebeneinander spielten, sodass man kaum etwas verstand und vor allem ganz viele umherlaufende Menschen. Ein sehr lautes, ungewohntes und surreales Treiben, dass uns da geboten wurde, aber wir waren sehr froh es erlebt haben zu dürfen. Auch wir sagten für einen liebenswerten Mann das Vaterunser auf und bekamen ein paar Gaben mit Getränk.

    Zurück im Hostel war der Kopf ganz schön am Wirbeln und wir entspannten bei einem schönen Wein. Paul lud mich in eine Pizzeria ein und wir schlemmten mal wieder ein wenig ☺️
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