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  • Day 5

    Mexiko-Stadt

    October 28, 2022 in Mexico ⋅ ⛅ 23 °C

    "Guck mal", sagt Joe beim Frühstück, "Jetzt weiß ich schon, dass Spiegeleier 'Huevos Fritos' sind. Jetzt kann ich überall problemlos frühstücken."
    Wir sitzen in einer kleinen Bar auf wackeligen Stühlen und beobachten den Markt, der sich auf der anderen Straßenseite aufbaut. Es gibt Schmuck, Haarbänder und jede Menge Streetfood. Bereits am frühen Morgen riecht es nach gebratenem Fleisch, Zwiebeln und Hühnchen.

    Das ist etwas, das ich an Joe wirklich bewundere: er schlägt sich überall durch und bleibt dabei stets optimistisch. Während ich Spanisch-Auffrischungskurse besucht und Vokabeln gelernt habe, ist er gestern in einen mexikanischen Handyladen spaziert und hat sich mit den Worten "Necesito Sim-Carta!" eine lokale Sim-Karte besorgt.

    Mexiko-Stadt bereitet sich langsam auf den Tag der Toten vor. Überall findet man die leuchtend orangen Dahlien, die den Toten traditionell den Weg ins Haus ihrer Familie weisen sollen. In fast jedem Restaurant und Hotel sind bunte Altäre mit Bildern verstorbener Persönlichkeiten aufgestellt. Unser Reiseführer Antonio erzählte auf dem Weg nach Teotihuacán, dass er auf dem Altar Schokolade für seinen verstorbenen Vater auslegt und sich um Mitternacht mit den Worten "Bis nächstes Jahr" von ihm verabschiedet und das Fenster öffnet. Das Fest scheint manch einem makabrer zu erscheinen, denn es ist befremdlich, sich mit seiner eigenen Vergänglichkeit auseinander zu setzen. Hier aber scheinen viele zu glauben, dass ein Großteil des Daseins aus dem Verstorben-Sein besteht. Und wir finden die Vorstellung, dass einmal im Jahr alle Verstorbenen zurückkommen, noch tröstlicher als die Idee, sich (wenn überhaupt) erst am Ende des Lebens wiederzusehen. In Deutschland wird die eigene Vergänglichkeit geleugnet, Verstorbene werden meist totgeschwiegen aus Angst, alte Wunden aufzureißen. Hier kehren sie einmal im Jahr ins Leben zurück und sind Teil von uns.

    Unser Zimmer ist klein aber fein und modern eingerichtet. Nach nur drei Tagen vermisse ich eine eigene Decke, insbesondere wenn nachts wieder mit einem Ruck mein schön eingerichtetes Kuschelnest zerstört wird. Einziger Nachteil des Hotels ist, das fast alle Zimmer zum Treppenhaus ausgerichtet sind und es deswegen sehr hellhörig ist (insbesondere, weil von morgens um 7 bis abends um 10 Musik läuft). Ich behaupte deswegen, das Hotel sei ein ehemaliger Knast, dessen Zellen nun aufpoliert wurden. Joe sagt, selbst ein mexikanischer Knast hätte Fenster.

    Die meisten Leute hier sprechen so gut Englisch wie wir Spanisch und es ist immer erfolgversprechender es auf Spanisch zu versuchen, auch wenn man manchmal was anderes bekommt, als man ursprünglich wollte. Heikel ist es bisher nur einmal kurz am Zoll geworden, als ich dem Zollbeamten erzählt habe, Joe hätte zwei Laptops dabei, ich aber in Wahrheit uns beide meinte. Da hätte ich ihn um ein Haar mal aus Versehen verhaften lassen. Grammatik, so wichtig.

    Egal wen man hier trifft, alle verabschieden sich mit "Hasta luego", also "Bis später". Das hat uns am Anfang ein bisschen irritiert, weil wir uns gefragt haben, wann im Leben wir der Cabin Crew von Aeromexiko beispielsweise nochmal begegnen sollen.

    Viele Menschen haben Hunde, die sie morgens an der Leine spazieren führen. Genauso viele frei streunende Hunde treffen sich abends in Rudeln, beschnuppern einander und ziehen durch die Straßen und wir vermuten, dass sie über die angeleinten Hunde in ihren Halloween-Pullöverchen lachen.

    Wann immer man Hunger hat, kann man sich an einem der vielen Streetfood-Stände für ein paar Pesos einen Taco-Snack holen. Der wird dann in einer Plastikschale serviert, wo eine Serviette die notwendigen Hygienebedingungen wieder herstellt. Ist man fertig, gibt man die Plastikschale einfach zurück, wo sie einmal kurz ausgewischt und an den nächsten Hungrigen weitergereicht wird.
    Heute ist Joe allein los spaziert, um sich bei Jenni um die Ecke einen Taco zu holen. Zusätzlich zum Taco hat sie ihn aufgefordert, in ihr gerade frisch zubereitetes Brötchen zu beißen.
    „Du hast bei einer Fremden vom Brötchen abgebissen?“, hab’ ich ungläubig gefragt, als er mir davon erzählt hat.
    „Ja, die wollte das so!“, war seine Antwort, „Die fand das selber so lecker, dass ich probieren sollte. Dann hat sie gelacht und mir ‘ne Serviette gegeben.“

    Taco-Stände sind nicht nur lecker, man kommt auch immer wieder mit Leuten ins Gespräch. Gestern haben wir Miguel kennengelernt, der uns unbedingt das Goethe-Institut zeigen wollte. Wir sollen vorsichtig sein in Mexiko-City, ermahnte er uns immer wieder, und auf gar keinen Fall mit Fremden mitgehen, während wir ihm durch die dämmrige Stadt folgten.
    Im Goethe-Institut selber fand eine Party statt, bei der es aber eher darum ging, uns auf die Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen, anstatt das tatsächlich gefeiert wurde. Dazu sollten wir Plastikmüll wie bei einer Losbude in Netze werfen. So ganz verstanden haben wir den Sinn der Aktion nicht, was aber sicherlich auch an der Sprachbarriere gelegen haben kann.

    Es gibt hier keine Straßenlinien und nur wenige Fußgängerampeln. Anfangs sind wir immer dann gegangen, wenn der Rest los geht. Mittlerweile haben wir verstanden, dass man immer parallel zum Verkehr laufen muss, der trotz der wenigen Regeln nicht weniger schlecht funktioniert als in Deutschland. Aufpassen muss man lediglich, dass man nicht versehentlich in ein lose herunter baumelndes Stromkabel läuft, wie es Joe vorgestern in der Dämmerung beinahe passiert wäre.

    Alles in allem haben wir uns gut eingelebt und fühlen uns pudelwohl. Es erscheint beinahe unwirklich, dass wir diese neue Realität morgen schon wieder verlassen und uns auf den Weg nach Oaxaca machen. Vorher aber schauen wir uns den Lucha Libre, das mexikanische Wrestling, an. Hierzu morgen mehr.
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