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  • Day 8

    Oaxaca - una fiesta grande

    October 31, 2022 in Mexico ⋅ ☀️ 25 °C

    „Ich habe heute ein paar Freunde zu Besuch", sagt Tino, als er uns morgens netterweise mit seinem Auto in die Altstadt von Oaxaca mitnimmt, "Wir sitzen im Hof und machen ein bisschen Musik. Wir hören aber spätestens um Mitternacht auf."
    "Klingt nach einer spaßigen Veranstaltung", sagen wir.
    "Wenn ihr wollt, dann kommt doch später auch vorbei. Die meisten unserer Gäste wollen bloß gern ihre Privatsphäre haben."
    Privatsphäre, haben wir schon gelernt, gibt es in einem Homestay nicht. Jedenfalls fänden wir es schwierig, darauf zu bestehen, allein unter uns bleiben zu wollen. Und das ist auch gar nicht unsere Intention. Tino, Aneira und Silwana sind so herzlich, dass wir uns nach nur zwei Tagen wie ein Teil der Familie fühlen.

    Die Sonne brennt heute in Oaxaca vom Himmel. Mittags lässt es sich in der Altstadt selbst im Schatten kaum noch aushalten. Und so entscheiden wir uns, eine Siesta einzulegen, Tinos Musikerfreunde zu begrüßen und am Abend in die Stadt zurückzukehren.

    Wir dachten, Tino trifft nur ein paar Freunde und sie sitzen zusammen im Hof und spielen Gitarre. Tatsächlich sind Tische und Stühle für zwanzig Menschen aufgebaut. Während ich dusche holt Joe in der Nachbarstraße unsere Wäsche ab und schaut nochmal schnell beim Kiosk vorbei. Mit zwei Sixpacks Cerveza entern wir Tinos Party. Tino stellt uns als seine deutschen Freunde vor und alle fordern uns auf, Platz zu nehmen. Wir sitzen noch nicht, da haben wir schon zwei Plastikbecher mit reichlich Mezcal vor uns stehen. Die Frauen möchten, dass ich unbedingt herüber komme und bei ihnen sitze. Eine von ihnen hat einen Sohn, der in Frankfurt lebt und mit einer Koreanerin verheiratet ist.
    „Stimmt es, dass man bei euch mit einem Bier in der Hand über die Straße geht?“, fragt sie.
    „Si, claro“, sage ich, „Das heißt ‚Wegbier‘ bei uns.“
    „Seht ihr?“, ruft sie ihren Freundinnen zu, „Ich hab’s euch doch gesagt, dass die Deutschen mit einem Bier in der Hand durch die Straßen ziehen!“
    Ich muss diese Geschichte noch ein paar Mal bestätigen, ehe sie mir geglaubt wird.

    Ich kriege Fotos von Kindern und Enkelkindern gezeigt und spinkse immer wieder zu Joe hinüber, der bei den Herren der Schöpfung sitzt und mit einer Mischung aus Händen, Füßen und Google Translate unterhält.

    „Wie heißt eine Frau, die in Colonia, also Köln, wohnt?“, fragen meine neuen Freundinnen, „Coloniana?“
    „Nee, eine Frau aus Köln ist ein ‚Kölsches Mädche‘“, sage ich, „Und ein Mann aus Köln ist ein ‚Kölsche Boor‘.“
    Sie wiederholen die Namen und lachen sich kaputt.

    „Anna Maria kann Gitarre spielen - und singen!“, höre ich da plötzlich Joe auf Spanisch sagen und noch während ich ihn fragen will, wieso er das sagt, drückt mir jemand eine Gitarre in die Hand und fordert mich auf, zu spielen. Mit allen Blicken auf mich gerichtet kriege ich es aber beim besten Willen nicht hin, meine Finger zu koordinieren und gleichzeitig einen passenden Ton anzuschlagen. Also übergebe ich die Gitarre kurzerhand wieder an meinen Nebenmann, der sofort ein mexikanisches Lied anstimmt, bei dem alle mitsingen.

    Die meisten Lieder handeln von Liebe, schönen Frauen und Sehnsucht und alle können die Texte. Mir gegenüber sitzt eine spanische Frau aus Malaga, deren zu Ehren sie auch spanische Volkslieder singen und die dazu im Rhythmus klatscht. Es ist eine mitreißende Stimmung. Und nach einer halben Tasse Mezcal stehe ich plötzlich auf den Füßen und verkünde, dass wir jetzt alle gemeinsam ein kölsches Lied singen werden.
    „Joe und ich brauchen ein bisschen Hilfe“, sage ich, „Könnt ihr E-o-e singen?“
    Das ist wie erwartet kein Problem. Also stimmen wir ‚Alle Jläser huh‘ von Kasalla an, was zur Stimmung und zum Tag der Toten am besten passt und alle singen mit.

    Den ganzen Nachmittag wird gesungen und reichlich gegessen. Wir bekommen den Unterschied zwischen einer Tortilla, einem Taco und einer Quesadilla erklärt, indem einer von Tinos Freunden seine Tortilla samt Inhalt immer wieder umfaltet.

    Als ich mich mit einem Mezcal neben Joe niederlasse, trägt der ein neues Halstuch, das ihm einer von Tinos Freunden geschenkt und umgebunden hat. Es ist ein fröhlicher und ausgelassener Abend und wir haben kein Bedürfnis, zurück in die Stadt zu fahren.

    „Das ist doch schön, oder?“, fragt Joe.
    „Ja“, sage ich und halte ihm meinen Mezcal hin, „Alles, was wir brauchen, sind Musik, Licht und ein bisschen Alkohol.“

    Als alle aufbrechen, gibt es Umarmungen und Küsse, als würden wir uns alle seit Jahren kennen. Alle bedanken sich, dass wir hier waren und wir werden nicht müde, uns zu bedanken, dass wir Teil dieser Gemeinschaft sein und diesen Abend mit ihnen erleben durften. Obwohl wir erst seit zwei Tagen hier sind fühlen wir uns als Teil der Familie, der aus weiter Ferne angereist ist. Als wären wir genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
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