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  • Day 10

    Himmel und Hölle

    April 3 in Italy ⋅ ☁️ 15 °C

    Um 9 Uhr gab es Frühstück, und zwar typisch italienisch mit süßem Gebäck und frischem Orangensaft. Mit am Frühstückstisch saß Tom, der zweite Gast in Gennaros Haus. An seinem letzten Tag wollte er ebenso wie wir entlang der Amalfiküste auf dem "Sentiero degli Dei", dem "Weg der Götter", wandern. Da er kein Mietauto hatte, nahmen wir ihn kurzerhand mit.
    Nachdem wir das Auto auf einem kostenlosen Parkplatz abgestellt hatten, folgten wir den Hinweisschildern. Leider übersahen wir ein entscheidendes Schild und wanderten zunächst 30 Minuten auf einem ganz anderen Wanderweg, der steil und steinig und alles andere als göttlich war.
    Nachdem wir den gesamten Weg wieder hochgestapft waren, waren wir schon kurz davor, aufzugeben und uns in eine nahegelegene Pizzeria zu setzen: Wir waren durchgeschwitzt und überdies war das Wetter wieder einmal nicht sonderlich vielversprechend. Was sollte man bei dieser Wolkendecke schon Großartiges sehen?
    Doch unser Begleiter Tom, der mit seinen zarten 20 Jahren über die Steine sprang wie eine junge Bergziege, motivierte uns. Er war optimistisch, dass der Weg weniger anspruchsvoll als der erste sei und dass sich die Wolken noch verziehen würden. Norman und ich dachten nur: "Dein Wort in Gottes Ohr!" und folgten ihm. Während die Wanderung auf dem "Weg der Götter" im Vergleich zu der Wanderung auf dem "Weg des Teufels" in der Tat ein Spaziergang war, änderte sich das Wetter vorerst nicht. Die Aussichten, die sich uns boten, waren dennoch spektakulär.
    Da Norman und ich später noch Neapel besichtigen wollten, entschieden wir uns, uns nach einem Erfrischungsgetränk in einem Café, das auf dem Wanderweg lag und im DIY-Stil an ein Baumhaus erinnerte, von Tom zu trennen und den Rückweg anzutreten. Und während wir genüsslich unseren frisch gepressten Orangensaft schlürften, passierte das, was wir schon gar nicht mehr für möglich gehalten hatten: Stück für Stück klarte der Himmel auf und die Sonne ließ sich immer häufiger blicken, sodass wir uns sogar gezwungen sahen, unsere Sonnenbrillen aus den Untiefen unserer Taschen zu kramen. Die Gunst der Stunde nutzend packten wir auch gleich die Drohne aus und ließen diese an der Amalfiküste entlangfliegen.
    Mit einem Lächeln im Gesicht traten wir den Rückweg an. All das, was wir wenige Minuten zuvor im Wolkendunst fotografiert hatten, wurde nun erneut bei strahlender Sonne festgehalten. Herrlich!
    Glücklich fuhren wir schließlich zurück zu unserer Unterkunft, wo uns Gennaro erklärte, dass er es um diese Uhrzeit für zumutbar hielte, mit dem Auto nach Neapel zu fahren. Der Verkehr sei aktuell ruhig, und wenn wir das Auto in einem von ihm empfohlenen Parkhaus parkten, sei die Chance, dass wir auch mit dem Auto wieder zurückkehren könnten, hoch.
    Da Gennaros Empfehlungen bislang immer Gold wert waren, stiegen wir ins Auto und wagten das Experiment. Um es kurz zu fassen: Je näher wir Neapel kamen, umso verrückter wurde es. Die mit Schlaglöchern übersäten Straßen waren dabei noch das geringste Problem. Es waren vielmehr die Autos und Motorrollerfahrer, die aus allen möglichen und unmöglichen Öffnungen geschossen kamen, auf mehrspurigen Straßen - selbstverständlich ohne zu blinken - von der einen äußeren Spur zu anderen wechselten, uns und anderen mit einer an Arroganz grenzenden Selbstverständlichkeit die Vorfahrt nahmen, im Kreisverkehr in die entgegengesetzte Richtung fuhren, um aus der dritten die erste Ausfahrt zu machen, und ungeduldig alles von der Straße zu hupen versuchten, was sich ihnen in den Weg stellte. Wir sahen Motorrollerfahrer, die sich das Handy unter die Helmschnalle klemmten, um telefonieren zu können, und zahlreiche Fußgänger, die sich bedankten, wenn sie unbeschadet über den Zebrastreifen kamen.
    Es dauerte nicht lange, bis Norman feststellen musste, dass Thailand im Vergleich zu Neapel ein Autofahrerparadies sei.
    Dieses Gefühl, ständig um dein Leben fürchten zu müssen, änderte sich auch als Fußgänger nicht wirklich, weil man in den kleinen engen Straßen des Spanischen Viertels jederzeit mit Rollerfahrern rechnen musste, die aus den Seitengassen geschossen kamen. Schon nach wenigen Minuten war uns klar, dass wir hier nicht allzu viel Zeit verbringen wollten. Die hohen, dicht beinanderstehenden Häuser, deren Fassaden zum Trocknen aufgehängte Wäsche schmücken, die Trikots, Denkmäler und Wandmalereien Maradonas, der in Neapel wie ein Gott verehrt wird, machen Neapel definitiv zu einer einzigartigen Stadt, uns war es jedoch viel zu laut, zu wuselig, zu hektisch und zu schmutzig, sodass wir nach einem kurzen Besuch der Diego-Maradona-Gedenkstätte, eines Regenschirm-Ladens, in dem wir einen handgefertigen Messi-Regenschirm kauften, und einer Pizzeria, die uns Tom empfohlen hatte, wieder den Heimweg antraten.
    Was für ein Tag! Innerhalb weniger Stunden hatten wir Himmel und Hölle kennengelernt.
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