• Offline in (vermeintlicher) Stille

    July 14 in Turkey ⋅ ☀️ 31 °C

    Nicht unser Wecker ist es, der uns heute aus dem Schlaf reißt, sondern ein Traktor, der auf "unser" Stoppelfeld geknattert kommt. Wie üblich stört man sich nicht daran, dass wir hier die Nacht verbracht haben, sondern ruft uns ein freundliches "Günaydın - Guten Morgen" zu. Während die Männer in aller Herrgottsfrühe ihrer Arbeit nachgehen und Strohballen einsammeln, duftet es vor unserem Zelt bald nach Tee und Kaffee. Auch ein Hirte mit seiner Schafherde zieht im Sonnenaufgang vorbei, unser heutiges Frühstück wird nicht langweilig. Sieben Uhr ist es, als wir uns auf die Straße begeben. Heiko fühlt sich heute ziemlich schlapp und kommt nicht so richtig in den Tritt. Daher passt es ganz gut, dass wir zwar bergauf fahren müssen, die Steigung sich aber sehr milde präsentiert. Ungefähr fünfzehn Kilometer sind wir unterwegs, als wir die Stadt Digor erreichen. Hier füllen wir unsere Vorräte auf, um für heute und morgen ausreichend versorgt zu sein. Es ist zwar heute dezent kühler als gestern, dennoch freuen wir uns über jeden Schatten. Als 27 Kilometer und 500 Höhenmeter absolviert und wir reichlich pausenbedürftig sind, muss mal wieder die Notlösung des Selfmade-Schattens herhalten, da weit und breit kein Sonnenschutz verfügbar ist. Auf der Weiterfahrt eröffnet sich nach Überqueren der Passhöhe ein wunderbarer Blick in die Weite, hinunter in das vor uns liegende Tal und die hügelige Landschaft. Immer mal wieder sehen wir Greifvögel durch die Lüfte segeln. Ein letztes Mal am heutigen Tag führt unsere Route bergauf, den höchsten Punkt erreichen wir jedoch nicht mehr. Im Schatten einer Felsabbruchkante in einer Senke neben der Straße wollen wir eigentlich nur eine Pause machen, kommen am Ende aber nicht viel weiter. Die Gegend hier, durch die sich auch eine kleine Schlucht zieht ist ganz hübsch und wir stellen fest, dass wir unseren Fahrrädern auch gut und gerne Feierabend geben könnten. In etwas Entfernung ist eine Baumreihe an einem Feld zu sehen, das könnte uns in doppelter Hinsicht nützlich sein: Schatten für den Rest des Tages und ein Plätzchen für die Nacht. Nachdem Claudia die Örtlichkeiten aus der Nähe inspiziert hat, packen wir unser Picknicklager am Straßenrand zusammen und poltern einen knappen Kilometer über die Felder an der Schluchtkante zur Baumreihe hinauf. Schnell sind vor Ort Tisch und Stühle wieder aufgebaut. Wir genießen einen kleinen Salat mit Brot sowie Aussicht und Stille. Stille? Leider währt diese nicht lange...! Erst kommt noch ein Traktor mit Anhänger auf das benachbarte Feld gefahren und es werden in Seelenruhe Strohballen eingesammelt (das haben die Jungs heute in der Frühe deutlich schneller erledigt...), danach stellen zwei Kinder unsere Nerven auf eine Probe. Die beiden Jungs, wir schätzen sie auf etwa acht und fünf Jahre, tauchen in unmittelbarer Nähe mit einer Kuhherde auf. Wir erleben nicht das erste Mal, dass Kinder hier ganz selbstverständlich große Tierherden über die Wiesen führen, diese beiden jungen Hirten sind aber doch sehr speziell. Sie ziehen nicht mit den Tieren lediglich an uns vorbei, sondern halten sich ziemlich lange in Sicht- und vor allem Hörweite auf. Und zu hören bekommen wir deutlich. In schöner Regelmäßigkeit dringt der schrille Schrei des jüngeren Kindes in unserer Ohren: "Abiiiii, Abiiii...!" Abi heißt (Großer) Bruder und der Kleine wird nicht müde, immer wieder lauthals nach diesem zu rufen. Wir machen drei Kreuze, als Kühe und Kinder sich nach einer gefühlten Ewigkeit über einen Hang entfernen und endlich wieder Ruhe einkehrt an diesem Ort, der zudem noch ein absolutes Funkloch ist. Unser mobiler WLAN-Router hat keinerlei Empfang, so dass wir zunächst mal offline sind. Inzwischen ist die Sonne untergegangen und es ist an der Zeit, das Zelt aufzustellen. Da ausnahmsweise mal sehr wenig Mücken und nervige Fliegen unterwegs sind, hocken wir noch einen Moment vor dem Zelt auf unseren Stühlen, bevor wir die Nachtruhe antreten.Read more