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  • Day 3

    Espinal nach Zubiri 15,7 km Es geht doch

    September 2, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 21 °C

    Nach dem gestrigen Fiasko habe ich beschlossen, bei Sonnenaufgang loszugehen, da ich keine Herberge reservieren konnte. Ich stehe um 6.15 Uhr auf und um 7.30 Uhr geht die Sonne endlich auf. Ich starte mit sehr gemischten Gefühlen. Was wird werden? Werde ich es heute schaffen? Es sind schon einige Pilger unterwegs. Nach kurzer Zeit kommt schon die erste Anhöhe und ich bekomme Angst wegen gestern. Was, wenn ich es nicht schaffe? Ich quäle mich den Weg hoch und oben angekommen, kommen mir die Tränen. Warum tue ich das überhaupt? Aber ich gehe weiter und schnell lässt das Gefühl nach. Die Strecke führt durch teilweise sehr dunkle Wälder, aber immer ist ein Pilger vor oder hinter mir. Meist der gleiche Pilger erst hinter und dann vor mir.
    Ich will nicht sagen, dass ich häufig überholt werde, aber ich fühle mich, wie ein kleiner überladener Traktor auf der Pilgerautobahn. Alle gehen an mir vorbei und grüßen freundlich, aber sind viel schneller und auch, die die älter und gebrechlicher und dicker sind, überholen mich mühelos. Wie machen die das nur? Ich bin sehr blauäugig in dieses Abenteuer gestartet.
    Ich treffe den Pilger, dem ich gestern 5 Euro gegeben habe. Sein Hund knurrt mich freundlich an. Er scheint draußen übernachtet zu haben.
    Nach ca. 2,5 Stunden habe ich das Gefühl, dass etwas unter meinem linken Zeh scheuert und aufgrund der Recherche, die ich im Vorfeld betrieben habe, weiß ich, dass sich eine Blase ankündigt. Ich zwinge mich zum Anhalten und schaue, was los ist.
    Die Socken sind komplett durchgeschwitzt und ich tausche sie aus. Vorher verarzte ich meinen Zeh noch professionell mit dem Blasentape. Während ich mich um meinen Zeh kümmere, kommt ein Fahrrad-Pilger vorbei. Ich grüße ihn mit "Holà" und wünsche ihm einen "Buen Camino". Er hält an und fängt an auf Spanisch zu erzählen. Ich sage, dass ich ihn nicht verstehe und er fragt, ob ich Italienisch spreche. Nein, auch nicht. Er fährt weiter. Ich packe meinen Rucksack und mache mich auf die frisch gewechselten Socken. Sofort merke ich, dass das Tape an dem danebenliegenden Zeh scheuert. Das geht so natürlich nicht. Eine Blase vermeiden und damit eine andere verursachen - das ist nicht die Lösung. Ich entscheide, dass die teuren Socken ja extra doppellagig sind und sie ja Blasen vermeiden sollen. Ich halte an und entferne das Tape. Die ersten Meter meine ich noch zu spüren, wie was scheuert, aber dann vergesse ich es und komme mit heilen Füßen in der Herberge an.
    Nach ca. 3 Stunden wandern, merke ich, wie mir wieder übel wird. Es kommt direkt nach einem steilen Anstieg. Ich suche mir eine Rastmöglichkeit und mache Pause. Ich google die Symptome und es wird mir angezeigt, dass mein Körper überhitzt ist. Das kann natürlich sein. Ich schwitze soooo viel. Überall. Die Träger meines Rucksackes sind ebenfalls naß und ich habe nicht genug getrunken. Das kann das auch gestern gewesen sein. Auch da war es sehr warm und ich hatte wenig Wasser zu mir genommen. Ich ziehe mein Langarm-Shirt aus und krempel meine Hose hoch.
    Ich kann verstehen, dass Pilger nach ihrem Weg die Klamotten verbrennen. Was anderes kann man damit nicht machen. Verkaufen geht auf keinen Fall mehr.
    Nach meiner Pause schnappe ich mir meinen Rucksack und gehe weiter.
    Wenn ich einem Pilger begegne, grüße ich ihn mit "Holà" und "Buen Camino". Denn immerhin sind wir in Spanien. Irgendwie scheinen einige dann zu denken, dass ich Spanisch spreche. Früher am Tag habe ich angehalten und etwas getrunken und ein Pilger kam den Berg hoch. Wir haben uns gegrüßt und er hielt an, massierte seinen Fuß und sagte was auf Spanisch zu mir. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich ihn nicht verstehe und plötzlich ging der Mann weiter. Der Fuß tat anscheinend nicht mehr weh. So schnell kann es heilen.
    Viele Pilger tragen ihre noch nicht komplett getrockneten Sachen an ihrem Rucksack, pinnen sie mit Sicherheitsnadeln fest, damit sie beim Wandern trocknen können.
    Meine Unterhose und mein Sportbustier waren noch nicht trocken, aber ich habe mich dagegen entschieden, beides zum Trocknen am Rucksack zu befestigen. Ich möchte nicht zu viele Einblicke gewähren und möchte auch keine Einladung aussprechen. Aber viele Pilger denken anders und stellen ihre Unterwäsche zur Schau. Ich habe es abgespeichert: Unterwäsche am Rucksack ist auf dem Jakobsweg in Spanien okay.
    Ich gehe weiter und plötzlich höre ich Gesang und Lachen hinter mir. Ich drehe mich um und sehe eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Beide schön bunt gekleidet und fröhlich. Die beiden können erst vor 10 Minuten gestartet sein. Niemand ist nach 12 Kilometer wandern noch fit und definitiv nicht fröhlich. Ich frage die Mutter, ob sie ein Bild von mir machen kann. Außer Selfies habe ich nichts. Sie kommt meiner Bitte nach und geht dann fröhlich mit ihrer Tochter weiter. Sie hält sie am Arm, denn der Abstieg ist nicht ohne. Der Weg hat die Bezeichnung "Weg" auf diesen Abschnitt nicht verdient. Es sind viele große Steine auf dem Weg und loser Schutt. Teilweise sind durch die Steine Stufen entstanden. Meine Stöcke sind in den letzten beiden Tagen meine besten Freunde geworden. Sie sind wie 2 Stützräder ... Wanderstützräder. Plötzlich lichtet sich der Wald und ich gehe auf einen Foodtruck zu. Er erscheint wie eine Oase in der Wüste. Einige Pilger sitzen da und ich lese auf dem Schild, dass es hier auch Stempel gibt. Ich kaufe 2 Bananen und was zu trinken und bekomme meinen ersten Stempel. Den gestrigen in SJPDP zähle ich nicht, da ich diesen ja vor dem Pilgern erhalten habe. Doch dieser hier ist toll. Ich bin stolz und auch ein wenig gerührt. Nun kann es weitergehen. Und da passiert etwas unerwartetes. Ich überhole jemanden. Also genau genommen, hat er mich auch schon überholt. Dann musste er anhalten, weil seine Waden vom Abstieg so weh tun und er macht eine Pause. Aber überholt ist überholt. Dann endlich kommt Zubiri und ich habe meine heutige geplante Tour geschafft. Ich gehe weiter und weiß nicht genau, wie ich nun an eine Unterkunft kommen soll. An allen Herbergen steht, dass sie ausgebucht sind. Ich folge einem Mann, der in einer Herberge war, die aber kein Bett mehr hatte und die ihn wohl augenscheinlich in eine andere geschickt haben, die noch ein Bett frei haben. Er geht zu einer Herberge. Diese öffnet um 13 Uhr also in 8 Minuten. Ich frage ihn, ob er eine Reservierung hat. Natürlich! Oh oh ... Da habe ich wohl was falsch verstanden. Dann öffnet die Herberge und eine Frau fragt mich, ob ich reserviert habe. Nein! Aber es sind noch 2 freie Betten. Eins reicht mir. Ich bekomme eine Karte und eine Einweisung. Dann gehe ich zu meinem Bett. Es ist im 2. Stock und direkt das erste unten. Es sind 8 Betten insgesamt und wir teilen uns 2 Duschen und ein Bad. Ich bin die erste. Dann kommt ein junger Asiate. Wir reden kurz. Er ist aus den USA. Dann gehe ich duschen. Eine wunderbare Wohltat. Nach und nach trudeln die anderen ein. Bisher nur Männer. Ich wasche meine Sachen von heute per Hand und bringe sie runter in den Garten. Dort gibt es Wäscheständer. Ich setze mich dorthin und lasse alles erst einmal Revue passieren. Dann gehe ich in die Stadt und schaue sie mir an. Ich gehe Getränke kaufen. Es gibt ein kleines Flüßchen. Dieses hat mich eingeladen, meine Füße drin zu baden. Na gut. Ich setze mich an den Fluß, wo auch andere Pilger sitzen und genieße die Aussicht. Eine Frau kommt mit 2 Hunden. Diese spielen miteinander. Wirklich schön. Dann gehe ich und komme an einem Café vorbei. Ich genehmige mir una Cafè solo und gehe dann wieder in die Herberge. Ich setze mich nach draußen in den Garten zu meiner Wäsche. Dann kommt eine ältere Frau und fragt mich auf deutsch, ob ich die ganze Zeit dort gesessen habe. Nein, ich war auch im Städtchen. Wir kommen ins Gespräch. Sie ist aus Eckernförde. Sie reserviert ihre Unterkünfte immer vorher. Okay, ich bisher nicht. Sie geht dann zum Essen in die Stadt. Ich habe Abendessen in der Herberge gebucht. 19 Uhr geht es los. Das Essen ist sehr gut. Salat mit Brot, eine Suppe, die ich aber ausgelassen habe, Sparerips mit ein paar Kartoffeln und einen Nachtisch. Auch diesen lasse ich weg. An meinem Tisch sitzen hauptsächlich Engländer. Sehr nett, aber es ist sehr laut und ich verstehe auch sprachlich nicht alles. Zwischendurch kommt immer wieder das Gefühl, fehl am Platze zu sein. Was genau mache ich hier? Nun sitze ich hier im "Wohnzimmer" der Herberge und schreibe meinen Tag auf und oben wartet ein Bett mit 7 anderen Leuten. Ist das wirklich was für mich? Für morgen habe ich ein Bett in einem Kloster in Arres gebucht. Es soll ein Frauenzimmer haben. Bis dahin sind es ca. 15 Kilometer. Pamplona ist noch 5 km weiter. Das will ich mir morgen nicht unbedingt antun. Pamplona ist sehr teuer und nur die öffentlichen Herbergen gehen nach der Devise: Wer zuerst da ist, bekommt das Bett. Bei allen anderen muss man reservieren.

    Ich fühle mich, als wenn ich heute schon den kompletten Camino gegangen bin. 16 Kilometer sind lang, abwechslungsreich und ziehen sich ewig. Was man alles sehen kann. Außerdem ändert sich meine Gefühlslage sehr häufig von aufsteigende Tränen, über Wut, weil ich nicht weiß, warum ich mir das antue, dann wieder das Gefühl, dass es schön ist zu wandern bis hin zu Freude, weil ich was Schönes erlebt habe.
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