• Die ersten Tage in der Türkei

    11. juni 2023, Tyrkiet ⋅ ⛅ 26 °C

    Trotz der ärmlichen Gegend fühlen wir uns auf den türkischen Straßen wie in einer anderen Welt – die Wege sind gut ausgebaut, keine Bodenwellen oder Schlaglöcher mehr, und viele Autos sehen hier längst nicht mehr so ramponiert aus.
    Am Vansee treffen wir Kai und Karola wieder und können nun unsere Tour gemeinsam fortsetzen. 👍
    Die Landschaft wird zunehmend gebirgiger und schroffer. In den nächsten Tagen erwarten uns immer höhere Pässe, die aber nicht mit denen unserer Alpen vergleichbar sind.
    Das ostanatolische Hochland ist halt keine Gebirgskette, sondern ein Hochplateau mit bis zu 4000 m hohen Bergen, auf denen es beständig mehr oder weniger sanft bergauf und bergab geht.

    Immer wieder begegnet uns der Euphrat, dieser legendäre Fluss, an den ich allenfalls noch blasse Erinnerungen aus dem Erdkunde- und Religionsunterricht habe.
    Nach dem alten Testament waren Euphrat und Tigris zwei der vier Flüsse, die das Paradies bewässerten.
    Beide Ströme zusammen bilden Mesopotamien oder das „Zweistromland” .
    Im 4. Jahrtausend vor Christus entstand in Mesopotamien eine der ersten Hochkulturen der Menschheit – möglicherweise sogar DIE erste Hochkultur überhaupt.
    Das Gebiet ist deshalb unglaublich reich an historischen Spuren und niemand weiß genau, welche Schätze der Boden noch birgt.
    In den letzten Jahren ist jedoch das Interesse des türkischen Staates an der Kraft des Euphrat gestiegen. Mit gigantischen Talsperren wurde sein Wasser aufgefangen, in Rohre gepresst und in Megawatt verwandelt.
    Als Konsequenz werden immer mehr bedeutende Monumente, viele noch weitgehend unerforschte archäologische Stätten, ganze Dörfer und sogar Kleinstädte nach und nach in riesigen Stauseen vom Wasser verschlungen.
    Angesichts der Rückständigkeit der Region und der ungeheuren Armut ist der Bau von Kraftwerken, Staustufen und - dämmen durchaus verständlich.
    Der Südosten der Türkei hat auf diese Weise in kurzer Zeit bereits einen unglaublichen Fortschritt erfahren, unter anderem die Landwirtschaft gefördert und die extrem hohe Arbeitslosigkeit von 40 bis 60 % reduziert.
    Die Verlierer jedoch sind auch die Staaten im alten Zweistromland Mesopotamien, denen durch die Stauseen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben wird.

    Tunceli, eine kleine und beschauliche kurdische Provinz im Osten der Türkei, ist eine schwer zugängliche Bergregion, etwa 800 Kilometer östlich von Ankara.
    Gerade einmal 86.000 Menschen leben hier auf einer Fläche, die halb so groß ist wie Thüringen.
    Keine andere Provinz ist so vom Alevitentum geprägt.
    Doch der türkische Staat erkennt diese Glaubenssrichtung nicht als eigenständige Religion an. Kulturelle und religiöse Vielfalt passen nicht in die Vorstellung der türkischen Nationalisten.
    So sticht Dersim, (so der alte Name der Region) in der langen Geschichte der Verfolgung, Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung des kurdischen Volkes besonders hervor.

    Wirtschaftlich ist die Region unbedeutend, Tourismus spielt keine Rolle, denn viele Jahre war das gesamte Tal touristisches Sperrgebiet. Eine Art Ausnahmezustand machte den Zugang für Ausländer praktisch unmöglich.
    Und doch umgibt ein Mythos die Region und ihre Kultur: Sie gilt als ein Ort des politischen Widerstandes, aber auch als Heimat einer alten Religion voller Mystik und Naturglauben.

    In den letzten Jahren trieben touristische, zumeist auf persönliches Engagement Einzelner gegründete Initiativen zarte Blüten.
    Das blaue Wasser des Munzur ist dabei das größte Kapital der Region.
    Ich kann ruhigen Gewissens behaupten, selten ein solch wunderschönes, klares Blau in einem Fluss gesehen zu haben.
    Der nach diesem Fluss benannte Munzur-Vadisi-Nationalpark ist einer der größten und schönsten der Türkei mit einer Fläche von 420 km².
    Die Gegend ist atemberaubend schön, doch meine Bilder können nur einen Bruchteil von dem abbilden, was wir hier erleben dürfen.

    Die Menschen Anatoliens sind überwältigend freundlich, hilfsbereit und warmherzig. Ganz egal woher man kommt, wer man ist, woran man glaubt - man ist zuerst einmal Mensch und Gast.
    So liest man es in allen Reiseberichten.
    Wie schon beschrieben sind wir an diversen Straßensperren und - Kontrollen freundlich empfangen und behandelt worden. Doch haben wir darüber hinaus noch wenig Berührungspunkte mit der Bevölkerung gehabt.
    Am Abend des 10. Juni 2023 landen wir auf einem kleinen Campingplatz in der Nähe von Santosun.
    Außer uns gibt es keine anderen Gäste, und noch ahnen wir nicht, dass sich das in den nächsten zwei Stunden radikal ändern wird.
    Zunächst fahren nur ein paar PKW mit einer überschaubaren Anzahl an Leuten vor. Kein Problem.
    Leider hat es inzwischen angefangen, in Strömen zu regnen, und der Rasenplatz verwandelt sich zunehmend in eine sumpfige Fläche.
    Da hören wir Donnergrollen - aber nicht vom Himmel, sondern von der Straße kommend.
    Ein riesiger Bus wälzt sich den Abhang zum Campsite hinunter. Der wird doch jetzt nicht weiter in den Schlamm und Modder fahren?😱
    Doch, leider wird er das!
    Aber nur einige wenige Meter, dann hängt er fest. Der Busfahrer aber gibt so schnell nicht auf, tritt aufs Gaspedal, bis der Motor qualvoll aufheult.
    Jetzt sitzt der Koloss richtig fest.
    Eine mindestens 40 köpfige Gruppe ( wir erfahren später, es sind alles junge, türkische Lehrer) springt heraus und schaut sich das Desaster fassungslos an. Niemand, auch nicht der Busfahrer, hat einen Plan.
    Indes prasselt der Regen weiter ohne Pause vom Himmel.
    Ich liege oben im Alkoven, trocken und relaxed und schreibe an meinem Reiseblog.
    Da plötzlich gibt es einen solchen Schlag, dass ich fast aus dem Bett katapultiert werde. Hat uns wieder der Blitz getroffen? Bebt etwa die Erde?
    Ein Blick aus dem Fenster und ich ahne das drohende Unheil. Viktor hat den Camper vor dem Bus positioniert und unsere Winde an dessen Stoßstange oder wo auch immer angebracht.
    Schon der Anblick lässt mich erschaudern. Das kann nicht gut gehen.....das wird ein Kampf zwischen David und Goliath!!!
    Doch mein hilfsbereiter Mann und sein Bruder wollen wieder eine gute Tat vollbringen und geben nicht auf. Der Motor schreit und heult gequält, die Winde strafft sich bis zum Anschlag, unser Wagen hebt vorne vom schlammigen Boden ab, der Bus bewegt sich einen halben Millimeter und.............dann reißt das Stahlseil.
    Wir haben Glück im Unglück, dass die Enden nicht unkontrolliert durch die Gegend fliegen und sämtliche türkische Lehrer verletzt oder gar geköpft werden.
    Viktor packt unser kaputtes Seil wieder ein😪 und gibt auf mein äußerst vehementes Drängen das Unternehmen "Rettet den Bus" auf.
    Später rückt ein großer Traktor an 🚜 ( den hatte der Typ vom Campingplatz geordert) und schleppt den Bus
    mühsam aus dem Schlammloch heraus.
    Zur Dusche müssen wir nun durch den übelst aufgepflügten Acker knöcheltief im Modder waten. Am Ende kommt man schmutziger wieder beim Auto an als man los gegangen ist.
    Ziemlich erschöpft legen wir uns schließlich ins Bett. Doch an Schlaf ist nicht zu denken. Da haben wir die Rechnung ohne die feierwütigen, türkischen Junglehrer gemacht.
    Zunächst singen und klatschen sie nur zu ihrer extrem lauten Musik. Dann holen sie Trommeln und Tröten heraus und trompeten, singen und tanzen sich regelrecht in Ekstase.
    Dank meiner Ohrenstöpsel höre ich relativ wenig von diesem Spektakel ( man kann kaum glauben, dass 40 Leute so einen ohrenbetäubenden Radau verursachen können), doch Viktor, Karola und Kai machen bis um 4 Uhr morgens kein Auge zu.
    Wir sind froh, als wir am nächsten Tag den wenig beschaulichen Platz und die (2!!!!) zugeschissenen Toiletten verlassen können.
    Solche Zusammenkünfte brauchen wir jetzt nicht jeden Tag!
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