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  • Day 113

    Geflochtene Flüsse

    March 11 in New Zealand ⋅ ☁️ 11 °C

    Es ist noch ziemlich dämmrig in der Hütte, aber alle sind schon auf den Beinen und wuseln rum. Wir sind die letzten, die aufstehen. Dabei ist es gerade mal 7:15 Uhr. Ok, für Te Araroa Wanderer ist das schon mehr als ausschlafen. Die meisten brechen um diese Zeit bereits auf. Ich bin froh, dass die allgemeine Geschäftigkeit in der Hütte aber eher der Frühstückszubereitung dient. Wir schließen uns an und kochen Kaffee. Den Rest vom heißen Wasser schütte ich über mein kleines Haferflocken-Päckchen. Porridge mit heißem Wasser statt Milch schmeckt richtig traurig 😞.

    Wie so oft drehen sich die Gespräche am Frühstückstisch ums Essen. Jeder versucht, vom anderen den ultimativen Tipp abzugreifen, wie man etwas Kulinarik in den Trail-Alltag bringen könnte. Lara und Lucas erzählen von einer leckeren Nussmischung, die wir unbedingt probieren müssen: Cashew-Nüsse mit Dill, getrockneten Essiggurken und Cheddar Käse. Schmeckt angeblich wie ein Cheeseburger bei McDonald’s. Danny tropft schon vom Zuhören der Zahn und er will unbedingt probieren. Lucas kramt im Essensbeutel und holt die Packung raus. Dann der Schock: Ein Loch ist reingefressen. Das verheißt nichts Gutes. Lara bekommt die Krise. Jeder Artikel wird akribisch untersucht und somit weiterer Mundraub aufgedeckt. Auch an den OSM Riegeln haben sich die Mäuse bedient. Dabei haben Lara und Lucas ihren Rucksack ordnungsgemäß aufgehängt. Das soll eigentlich vor Fraß-Schäden schützen. Die beiden haben nur eine Erklärung: Sie haben von allen die besten Snacks. Das kann gut sein, denn an meinen langweiligen Kräckern, die geöffnet im Rucksack lagen, waren die Mäuse nicht interessiert. Ich habe ihn nicht mal aufgehängt.

    Das Wetter ist heute Morgen etwas durchwachsen. Es nieselt und dunkle Wolken ziehen am Horizont herauf. Wir hoffen das Beste und brechen auf. Auf einer alten eingefahrenen Fahrspur folgen wir dem Harper River flussabwärts. Er ist übrigens ein Nebenfluss des Rakaia Rivers und gehört damit zu den „braided rivers“ (geflochtenen Flüssen). Bei niedrigem Wasserspiegel entstehen hier immer wieder neue kleine Kanäle, die sich weiter verzweigen und das breite, steinige Flussbett stets und ständig neu prägen und verändern.

    Viele solcher Kanäle müssen wir heute mehrfach überqueren. Mehrfach heißt ungefähr 30 Mal. Leider gibt es keine Steine, über die man sich zum anderen Ufer bewegen könnte. Das An- und Ausziehen der Schuhe würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem macht das so gut wie kein Te Araroa Wanderer. Alle laufen einfach durch. Nasse Schuhe und Socken gehören auf der Südinsel einfach dazu. Deshalb werden auch keine Lederschuhe oder Gore-Tex Schuhe empfohlen. Die trocknen nämlich schlecht oder gar nicht. Da ist es ja gut, dass Danny Lederstiefel von Meindl trägt und ich Gore-Tex-Schuhe von Lowa. Alles richtig gemacht, tada 🎉! Während bei den anderen das Wasser aus den leichten Trailrunner-Schuhen schnell wieder rausläuft, haben wir kleine Pools drin, in denen unsere Füße baden. Zwischendurch geht’s durch ein kleines Wiesen-Sumpfgebiet und ich versinke bis zu den Waden im Schlamm. Macht aber nichts - die nächste Flussüberquerung steht an und schwups ist alles wieder sauber.

    NOBO‘s kommen uns entgegen und erzählen was von irgendwelchen „Pinnacles“ im Felsen, die es ein Stückchen weiter zu bewundern gibt. Wir laufen fröhlich quatschend weiter und hätten sie fast verpasst. Im letzten Moment fallen sie Oliver auf. Jetzt sehe auch ich sie, große, helle Felsspitzen, die wie riesige Kleckerburgen aus Ostsee-Sand aus dem Felsen ragen. Der Boden wird durch Regenwasser und Erosion weggespült, so dass über einen langen Zeitraum diese außergewöhnlichen Spitzen entstehen.

    Am frühen Nachmittag kommen wir an unserem Campingplatz an, der ziemlich „exposed“ (ausgesetzt) liegt. Der Wind kommt aus allen Richtungen gepfiffen. Selbst im Unterstand spüren wir seine Kraft. Wir überlegen kurz, dort zu schlafen, verwerfen den Gedanken aber schnell wieder. Der Zeltaufbau bei Sturmböen gestaltet sich dennoch schwierig. Aber irgendwann steht es dann doch wie ne Eins.

    Beim Abendessen mit den anderen entdecke ich ein Schild. Es ist ein Hinweis auf die Powerhouse Lodge, in der wir einen Tag später übernachten werden. Dort gibt es Cookies, Cola, Pommes und eine heiße Dusche. Die Lodge wird privat von ehemaligen Te Araroa Wanderern betrieben. Mit diesen positiven Aussichten lege ich mich ins Zelt. Aus Angst, zu sehr zu frieren, ziehe ich meine wärmsten Sachen an und mache den Schlafsack fest zu.

    Nachts wache ich auf. Ich schwitze wie ein Schwein. Es ist windstill und alles, was zu hören ist, sind die Mäuse vor dem Zelt, die sich über Dannys Schokoriegel-Krümel hermachen, den er vor dem Schlafengehen noch genascht hat.
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