• Bike und Meer

    16. März 2024 in Neuseeland ⋅ ☀️ 5 °C

    Still war es hier die letzten Tage im Reiseblog. Und trotzdem war es nicht ruhig. Im Gegenteil, bei uns ging mächtig die Post ab. Die Kutsche war sozusagen schnell unterwegs. Wobei die Kutsche in unserem Fall ein Mountainbike war. Um genau zu sein, zwei Mountainbikes.

    Wir sind mal wieder fremd gegangen und haben uns abseits des Te Araroa Trails bewegt. Bei unserem Kurztrip nach Greymouth entdeckte Danny eine Broschüre über den sogenannten „Alps 2 Ocean Cycle Trail“. Er ist mit 315 Kilometern der längste durchgehende Radweg Neuseelands und führt, wie der Name schon sagt, von den neuseeländischen Alpen der Südinsel bis zum Meer. Wir teilen uns die Strecke auf entspannte 6 Tage auf.

    Doch ganz so einfach ist es nicht. Wir haben zwar zwei Mountainbikes, aber keine Gepäcktaschen, geschweige denn einen Anhänger. Wie also sollen wir unsere Siebensachen transportieren? Danny lässt nichts unversucht und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um irgendwie an eine Gepäck-Transport-Möglichkeit zu kommen. Er sucht im Internet und stellt zig-tausend Anfragen rein. Am Ende bekommt er nur ein Kaufangebot für einen Kleinkind-Fahrrad-Anhänger. Wir überlegen und wägen ab. Sollen wir das Ding wirklich kaufen? Als wir uns für „Ja“ entscheiden, hat es bereits jemand anderes gekauft.

    „Ok“, denkt Danny. „Dann also die harte Tour“ und setzt sich kurzentschlossen seinen schweren Wander-Rucksack auf und fährt damit los. Ich selber habe nur das Nötigste in einem kleinen Tagesrucksack dabei.

    Wir starten am Lake Tekapo in Richtung Twizel bei frischen herbstlichen Temperaturen. Der Abschnitt gehört sogar noch zum Te Araroa Trail und viele Wanderer nutzen das Angebot und fahren das Teilstück mit dem Fahrrad. Die Strecke entlang des Kanals in Tekapo ist einfach zu fahren, denn sie ist weitestgehend flach und - anders als die meisten anderen Teilstücke - geteert. Der Gegenwind, vor dem wir gewarnt wurden, bleibt glücklicherweise aus. Die Sonne strahlt und der Mount Cook taucht aus einem Bergpanorama vor uns auf. Wir halten kurz an und machen eine kleine Rast.

    Alles ist perfekt an unserem 1. Tag auf dem Rad. Fast alles. Denn einer hat plötzlich keinen Bock mehr und fängt an, zu nerven. Nein, nicht Danny. Es ist ein Zahnnerv, der mich ärgert und im wahrsten Sinne des Wortes „nervt“. Ich versuche es zunächst mit Ignoranz und radele einfach weiter.

    Von Twizel geht’s am nächsten Tag zum Lake Ohau. Der Wind hat heute richtig Fahrt aufgenommen und wir strampeln uns bei Gegenwind Meter für Meter über Schotterwege dem Ziel entgegen. Wir zelten an der Ōhau Lodge mit Blick auf den See und das Bergpanorama und gönnen uns zum Ausgleich für unsere einfache Unterkunft (wir sind die einzigen Camper) am Abend ein 3-Gänge-Menü im Hotel-Restaurant.

    Nach einer kalten und klaren Nacht im Zelt gibt’s ein kaltes Frühstück: Jogurt mit Obst und Weet-Bix (ein Vollkorn-Weizenkeks). Autsch! Jetzt ist der Zahn wieder wach und beginnt zu trommeln. Aber zum Rumjammern bleibt keine Zeit, wir haben 43 Kilometer vor uns, die gleich mit einem steilen Anstieg über felsiges Gestein beginnen. Ich strampele, trete und schiebe mich nach oben. Nach 2,5 Stunden körperlicher Anstrengung, begleitet vom Trommelwirbel meines Zahns, stehen wir endlich am höchsten Punkt des Weges in 900m Höhe. Kleiner Snack, kurze Pause, zwei Fotos - ab jetzt geht’s nur noch bergab. Zumindest für die heutige Etappe. Abends im Zelt frage ich Herrn Google: „Gibt es einen Zahnarzt in der Nähe?“ Ich höre ihn herzhaft lachen, als er mir das Suchergebnis präsentiert: Ja, im 117 Kilometer entfernten Oamaru! Dort enden wir ohnehin in drei Tagen. Also weiter mit dem Trommelwirbel leben. Und durchhalten. Ein Engel schickt mir ein Gedicht zum richtigen Zeitpunkt. Es gibt mir Kraft und Mut.

    Die nächsten zwei Etappen „verschlanken“ wir, um vielleicht doch eher als geplant beim Zahnarzt zu sein. Kurzum: Wir machen zwei Etappen zu einer. Dafür müssen wir uns mächtig ins Zeug legen, das heißt, in die Pedale treten. Von Omarama fahren wir direkt durch bis nach Kurow. Die knapp 70 Kilometer (!) entlang der Küstenlandschaft des Lake Benmore fahren sich erstaunlich gut, trotz eines horrenden Höhenprofils und endlosem Gegenwind. Wieder kommen wir an großen, tiefblau leuchtenden Seen vorbei, nur, dass die diesmal als Talsperren fungieren. „Energie aus Wasserkraft“ lautet das Motto, während wir Kraft unserer Wassersuppe über drei riesige Staumauern radeln.

    In Kurow gönnen wir uns eine Cabin und damit ein richtiges Bett. In dem kleinen Ort gibt’s einen Pub, in dem wir uns mit deftigem Essen und „geistigen Getränken“ belohnen. Der Rotwein macht nicht nur mich etwas ruhiger, mein kleiner Trommler im Mund wird ebenfalls etwas leiser.

    Nach lang kommt kurz. Die nächste Etappe von Kurow nach Duntroon hat nur 28 Kilometer. Entlang dem Waitaki River fahren wir durch alte, ausgetrocknete Flussbetten, grüne Wiesen und Weinberge. Das hat fast schon mediterranes Flair. In Duntroon leisten wir uns ein Hotel und sind bereits am frühen Nachmittag dort. Wir erkunden den winzigen Ort, der aus einer Handvoll Häusern, einem Café, einer alten Schmiede und einer großen Kirche besteht, in der aus irgendeinem unerfindlichen Grund tausende tote Fliegen rumliegen. Aber so ist das nun mal: die einen fallen vom Glauben ab und die anderen von der Decke.

    Zurück im Hotel treffen wir ein paar neuseeländische Radfahrer, die uns spontan auf ein Bier einladen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht man hier ins Gespräch kommt und wie herzlich die Menschen sind. Wenn nur mein puckernder Zahn nicht wäre. Aber gut, nur noch einmal schlafen, dann werden wir in Oamaru sein.

    Der nächste Morgen: 54 Kilometer bis zu unserem Etappen-Endziel: Oamaru. Zwei Berge und ein abgelegener Tunnel ohne Licht sind zu überwinden. Aber es gibt auch Belohnungen auf dem Weg: Die Elephant Rocks, die tatsächlich ein bisschen wie Elefanten aussehen und aus verwittertem Kalkstein bestehen. Dazu diese unglaubliche Landschaft. Der Weg führt durch Felder und Wiesen und zum Teil sogar über eine ehemalige Bahnstrecke. Sie liegt fernab aller Straßen und Stromleitungen. Im Tunnel müssen wir deshalb unsere Taschenlampen am Handy nutzen, die Stirnlampen haben wir nach Deutschland zurück geschickt. Zum Glück sehen wir nach einer Weile Licht am Ende des Tunnels - und es ist nicht das eines entgegenkommenden Zuges. Doch die fahren hier schon lang nicht mehr. Statt Dampflokomotiven dampfen hier nur noch Radfahrer über die Trasse. Die nächsten Kilometer geht’s beständig bergab und wir stoppen erst wieder an einer Kneipe, wo wir uns mit Burger, Bier (Danny) und Kürbissuppe (ich) stärken. Die letzten Kilometer liegen vor uns. Jetzt nochmal ordentlich reintreten!

    Es ist Donnerstagnachmittag 15 Uhr, als wir in Oamaru ankommen. Am Hafen steht ein großer Bilderrahmen, wir stellen uns rein, halten diesen feierlichen Moment fest - und dann geht’s ab zum Zahnarzt. Der stellt fest: irreversible Zahnnerv-Entzündung. Da hilft nur eine Wurzelbehandlung. Pik Ass ♠️! Die Belohnung für 6 Tage Durchhalten auf meinem wahrscheinlich längsten und gleichzeitig schönsten Weg (315 km) zum Zahnarzt.
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