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  • Day 29

    Tag 27: Von Gera nach Jena

    May 6, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 16 °C

    Auch das sind Begegnungen. Es ist warm, ich bin schon etliche Kilometer gestrampelt und wie gerufen ein riesiges Schild: Softeis. Wie lecker. Kindheitserinnerungen werden wach. "Original DDR-Softeis, nicht so ein neumodischer Kram, nur so darf es schmecken" erfahre ich. Plötzlich, als klar wird, woher ich komme: "Ihr Wessis habt mir meine schöne DDR kaputt gemacht..." Irgendwie schmeckt das Eis da nur noch halb so gut und ich seh zu, dass ich weiterkomme. Und es wird nicht besser. Als ich bei der Zimmersuche das Angebot ablehne, weil zu teuer, heißt es nur: "Wir leben nicht mehr im Sozialismus" und es wird sehr deutlich aufgelegt.
    Schon der Morgen ist eher semi. Mein altes Handy, das nur die Gesamttour aufzuzeichnen soll, hat sich aufgehängt...die bisherige Tour ist definitiv weg. Ist schon sehr schade.
    Egal. Dafür hatte ich gestern noch einen sehr schönen Abend. Es gab den für die Region typischen Mutzbraten (Schweinekamm mit verschiedenen Kräutern in Schwarzbier für mehrere Tage eingelegt und dann über dem offenen Buchenfeuer gegrillt). Ein dickes Lob an den Koch! Und ebenso an die Kellnerin, die scheinbar überall Augen hat. Sie rennt, macht, tut, und ist dabei superfreundlich. Das sag ich ihr dann auch und wir kommen ins Quatschen. Sie erzählt, dass sie direkt nach der Wende mit ihrem Mann mit dem Trabbi bis nach Korsika und Griechenland gefahren sei. Bis heute hätten sie Kontakte dorthin, es sei so toll überall in der Welt Freunde zu haben..
    Was mir gestern auch noch auffällt: Die Kneipen hier in der Region sind voll. Alt und Jung, Familien, Stammtische, eine wunderbare Atmosphäre, etwas, was es bei uns kaum noch gibt. Ob es an den bezahlbaren Preisen liegt? Für ein wirklich gutes herzhaftes Essen mit zwei Getränken zahlt man nie mehr als 20 Euro...
    In Gera bin ich dann mutig, ich gehe zu einem fremden Friseur...und komm echt manierlich wieder raus. Tut schon gut, auch auf diese Weise mal wieder was für sich zu tun.
    Rund um den Markt ist alles wunderbar restauriert, nur leider komme ich nicht in die "Höhler". Durch das Geraer Bierbrauerprevileg von 1487 waren alle Hausbesitzer berechtig, Bier zu brauen oder brauen zu lassen. Da die Hauskeller für die Lagerung nicht die idealen Bedingungen boten, grub man einfach unter die vorhandenen Keller noch weitere Keller...die Höhler.
    Sonst hat die Stadt fast einen mediterranem Charakter. Die Orangerie, herrliche, teils im römischen Stil erbaute Villen, große Parks und Alleen bekomme ich zu sehen.. und das mit etlichen Originalen ausgestattete Geburtshaus von Otto Dix (bedeutender Maler des 20. Jahrhunderts). Er war in seiner Zeit sehr umstritten, da er sich in seinen Bildern aber auch mit Worten immer wieder kritisch äußerte. Die ausgestellten Bilder sind oft sehr düster, handeln von Krieg und Verdammnis, dennoch bleibe ich an so manchem hängen. Ich werde von ihnen auf eine seltsame Weise berührt. Dabei hatte sein erster Kunstlehrer über ihn geurteilt: "Du wirst nie Maler, du bleibst ein Schmierer!" (seine Bilder werden für Millionen Euro gehandelt..)
    Tja, und dann verpasse ich meine Route, die "Thüringer Städtekette". Erst viel zu spät merke ich es, eine Rückkehr nach Gera ist einfach zu weit. Aber immer weiter an der Bundesstraße ohne Fahrradweg will ich auch nicht. Also die nächste Möglichkeit rechts ab...und 2 Kilometer mit 13 % Steigung geschoben. Meine letzten Müsliriegel und meine letzten Kräfte gehen dabei drauf, aber ich werde belohnt. Ich fahre danach durch kleine beschauliche Dörfchen mit Wasserkanälen, wunderschönen Fachwerkbauten und kleinen Straßen.
    Zum Schluss wird es mit dem Bergauf/Bergab noch mal ziemlich heftig, aber das ist jetzt schon vergessen.
    Ich denke eher noch darüber nach, dass ich beim Bezahlen meines Abendessens kein Trinkgeld geben durfte. Das sei "Familientradition seit der Oma". Da lässt sich auch nicht drüber verhandeln.
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