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  • Zeitsprung

    May 8, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 14 °C

    Der Frühling hat die Flüsse und Felder vom Eis befreit. Während der der April meteorologisch der kälteste seit Jahrzehnten war kann ich jetzt im Mai förmlich dem Graß beim wachsen zuschauen. Getreu dem Motto 'Es sei falsch zu glauben wir lebten nur einmal! Voraussichtlich sterben wir einmal - doch bis dahin leben wir jeden Tag!' nutze ich das Wochenende für eine längere Ausfahrt die Erhohlung und Training zugleich sein soll. Raus! Hauptsache grün! Die vielen Einschränkungen der letzten Wochen nehme ich ernst und doch hinterlassen Sie Spuren die es aufzuarbeiten gilt. Ich kann damit gut leben auf mich allein gestellt zu sein solange ich mein Fahrrad und Lastenesel als treuen Begleiter habe. :-) Und so kommt es dass ich am späten Samstag Nachmittag auf gut Glück einfach losfahre.

    Vor einiger Zeit habe ich bereits einen Artikel gelesen warum es in Deutschland Fernradwege gibt die jeden Tag überfüllt sind und wieder andere die kein Mensch kennt oder nutzt. Einer davon ist der Mulderadweg in Sachsen. Die Mulde hat sich über viele tausend Jahre tief in die Landschaft eingeschnitten und bietet viele sehenswerte alte Mühlen, Schlösser, Hügel, Wälder, Feld und Land. Weites Land. Gleich neben dem Fluss beginnt nach Norden das Sächsische Tiefland, ein weißer Fleck auf fast jeder Straßenkarte.
    Es dauert nicht Lang und ich gelange bei Wernsdorf zu einem ehemaligen Außenposten des Konzentrationslager Buchenwald im letzten Weltkrieg. Die Geschichte vieler hier inhaftierten Frauen blieb nach dem Krieg ungewiss. Viele wurden 1945 noch bis Kriegsende weiter nach Böhmen und bis nach Ungarn verschleppt. Doch dieses Unrecht in einem Lager so nah vor der Haustür war mir bis heute weitgehend unbewusst. Ein kleines unscheinbares Denkmal erinnert noch daran. Die Baracken wurden durch mehrere Reit- und Turnierplätze ersetzt. Doch in Zeiten Corona steht auch hier alles mahnend still.
    Hier beginnt auch das 'Kohrener Land'. Die Landschaft ist sehr stark geprägt durch den Hochadel zu Altenburg. Wenn ich ein was gut finde dann, dass die deutsche Kleinstaaterei unzählige Burgen, Schlösser, Rittergüter und Landhöfe entstehen ließ die sich malerisch in die Landschaft einpflegen. An einer alten Pferdetränke gibt es eine zünftige Brotmahlzeit. Ich könnte noch lange bei den Pferden bleiben. Die sind hier in Sachsen genau so neugierig auf Fahrräder wie seinerzeit in Kanada. Doch mein spätes starten bringt es mit sich dass es jetzt schon dunkel wird. Und irgendwie habe ich mir in den Kopf gesetzt heute will ich noch 20km fahren bis dorthin wo ich in Ruhe die Nacht verbringen kann. Doch mit der Ruhe hat es sich ziemlich schnell, denn jetzt in der Dämmerung ist Jagdzeit und gefühlt alle Jäger ringsumher scheinen zu einem Dienstausflug in den umgebenden Wäldern zu lauern. Ständig knallt es und donnert es. Erst nach über einer Stunde ist dann Ruhe. Solange bis - zwei Stunden später eine Eule und ein Habicht sich in der Wolle haben. Hier draußen auf dem Land ist abends action! Hier kannst du was erleben! Jäh ist die Nacht zu Ende als es um fünf wieder hell wird und die Jäger machen fleißig weiter. Bald verabschiede ich mich von den Jägern und den Vogelscheuchen und trete beschwingt in die Pedale. Bereits kurz darauf finde ich mich wieder in einer anderen Zeit. Einer Zeit als die Postkutsche noch durchs Königreich pflügte und der König in Auftrag gab sein Land zu vermessen. Zunächst funkionierte das so, dass die Postkutsche für den Personen- und Nachrichtentransport zwischen festen Stationen, den Postmeilen-Säulen fuhr. Darauf war die Entfernung zu Nah und Fern in Stunden und Tagen angegeben die es brauchte über die gefühlt schon immer mit Schlaglöchern übersähten Straßen des Königreiches dorthin zu gelangen. Zugegeben war das ziemlich ungenau. Mit der Blüte der Mathematik in Sachsen bediente man sich der Triangulation um das Land zu vermessen und Entfernungen genauer einschätzen zu können. Die sächsische Landvermessung galt dabei als Vorreiter im ehemaligen deutschen Raum. Heute erinnern diese Triangulationspunkte in ganz Sachsen immer noch daran welche Pionierarbeit hier oft geleistet wurde. Mit einem scharfen Schnitt in der Landschaft verlasse ich bald das Kohrener Land. Nach den Königen und Adeligen steht der nächste Zeitsprung an.
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