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  • Day 101

    Von Hausbesetzern und Aussteiger

    February 12 in Spain ⋅ 🌙 10 °C

    Die Nacht am Strand unter der Palme hat sich gelohnt, der Sonnenaufgang ist umwerfend. Ich frühstücke gemütlich und durchdenke meinen Tagesplan. Ich bin neugierig, was es mit dem besagten Stefan auf sich hat und was sich hinter dem Menschen wohl für eine Geschichte verbirgt. Nach dem Essen packe ich also meine Sachen und unternehme einen zweiten Versuch, ihn ausfindig zu machen.

    Ein weiteres Mal umrunde ich das von außen doch ziemlich verfallen aussehende Haus - kann mein eine Ruine überhaupt besetzen? Ich steige die Treppe in den Hinterhof hinab, klopfe an die Tür und rufe hallo, hello, hola. Ich bin mir unsicher, ob ich eine Stimme höre und rufe nochmal. Jetzt höre ich sie deutlicher. Er komme gleich, sei noch auf Toilette, was auch immer das in einem solchen Haus für eine Toilette sein mag.
    Eine Minute später öffnet sich die Tür, im Inneren ist es ziemlich dunkel, nur die nun offene Tür lasst etwas Licht herein. Ein Mann mit grünem Rollkragenpullover, leichtem Bart und etwas längeren Haaren, die unter einer schwarzen Mütze hervorstechen, begrüßt mich, als hätte er bereits einen Gast erwartet. Er stellt sich als Stefan vor und läd mich ein, auf einen Kaffee hereinzukommen. Im Wohnzimmer, das gleichzeitig als Küche dient, nehme ich Platz. Der Raum besitzt keine Fenster und auch sonst keine elektrische Lichtquelle. Lediglich in der mitte des Raumes hängt eine erloschen Laterne, sodass nur über den Flur und die geöffnete Eingangstür ein paar schwache Lichtstrahlen herein gelangen. Vielleicht ist es etwas heller, wenn über dem Holzherd gekocht wird, für den Kaffee wird allerdings ein Gaskocher verwendet. Der Raum wirkt aufgeräumt, organisiert und besitzt alles, was eine Kombination aus Küche und Wohnzimmer erwarten lässt. Im schemenhaften Licht erkenne ich Gewürzdosen auf einem Sims, Pfannen auf dem Herd, Bilder an der Wand, einen Teppich, darauf Stühle und ein kleiner Tisch und eine Art Sofa.
    Beim Erzählen geht der Kaffee in ein Frühstück über. Stefan kramt alles mögliche aus seiner Vorratskammer, ich steuere etwas Käse bei und scheue nicht zurück, zu fragen, wie er denn hier gelandet sei. Long story short: Stefan war über 20 Jahre Unternehmensberater, dann kam Corona, eine persönliche Krise, Burnout wie auch immer. Er lies alles stehen und liegen und fuhr mit dem Fahrrad nach Spanien, lernte Charly aus dem "besetzten" Nachbarhaus kennengelernt, fuhr weiter. Zwischenzeitlich wurde das Rad geklaut, die Reise ging mit einem Ersatzrad und Rucksack weiter. Später war er nochmal in Deutschland, stellte ein neues Fahrrad zusammen inklusive kleinem Kochgestell für den Gepkträger und es ging wieder los. Nun wurde Pfannenpizza verkauft, irgendwann kam er wieder am Strand bei Charlie an, der sagte ihm, dort drüben sei noch ein unbewohntes Haus, naja und dort ist er jetzt. Verrückt? Ja, das denke ich auch.

    Im Anschluss an die Erzählungen folgte eine Führung durch Haus und "Garten", währenddessen Stefan unermüdlich Zigaretten raucht und penibel darauf achtet, immer in eine kleine Blechdose zu aschen. Auch sonst fällt mir auf, wie ordentlich alles ist. Der ganze Müll, der einmal im Haus gelegen haben muss, ist verschwunden, Bauschutt, alte Steine, Fliesen oder Dachziegel sind feinsäuberlich aufgereiht. Selbst der Innenhof sieht wie gefegt aus, ebenso die Höhlen, die sich ganz hinten im Garten befinden. Als er hierher kam, sei hier noch alles überwuchert und voll mit Gestrüpp gewesen. Respekt, wie er das innerhalb eines guten Jahres bewerkstelligt hat, wo er doch gleichzeitig noch ab und an in die Stadt geht, um seine Klamotten und Lebensmittel zu containern, die Stadtgeschichte von Águilas zu studieren oder Leuten Führungen durch Haus, Garten oder eben Àguilas zu geben. Ich bekam übrigens Führung Numero zweihundertnochwas durch das Gebäude. Überhaupt wirkt Stefan organisiert und als hätte er alles genaustens durchdacht. Jedes kleine Detail, jeder Gegenstand zu gefühlt allem hat er sich bereits Fragen gestellt oder Antworten gefunden. Was bedeuten die Kerben in der nach hinten versetzten Wand? Warum sind die Fliesen in Raum A in schlechterer Qualität verlegt als in Raum B? Was die Metallstifte in den Höhlen? ...

    Der Tag war inzwischen schon weit fortgeschritten, sodass ich das Angebot, eine Nacht zu bleiben und mein Zelt hinten bei den Höhlen aufzubauen, gerne annahm. So konnte ich auch nochmal in die Stadt Àguilas fahren, bekam von Stefan eine Stadtführung und hatte die Gelegenheit den Karnevalsumzug am Abend anzuschauen. Und dann kam der Moment, der diesen spannenden und erlebnisreiche Tag für mich nochmal in eine unangenehme, nachdenkliche Richtung brachte. Während der Erzählungen ließen mich ein paar Äußerungen aufhorchen, die subtil ein absolutes Unverständnis bezüglich bestimmer politischer Entscheidungen andeuteten. Ich konnte nicht umhin, noch einmal nachzuhaken und so ging es plötzlich um Corona, Coronamaßnahmen, Russland, die Ukraine und die USA - und zwei Ansichten, die absolut gegensätzlich waren.
    Wie geht man nun damit um, wenn man mit Meinungen konfrontiert wird, denen man zu Hause nur auf der anderen Seite einer Demo begegnen würde? Zuhören, Schweigen, Gegenargumente liefern, postulieren, dass man die Dinge anders sieht? Ich glaube, an diesem Abend habe ich all dies probiert, zufrieden war ich nicht. Muss man überhaupt probieren, andere von ihren - aus meinen Augen absolut fragwürdigen - Ansichten abzubringen? Oder ist es nicht egal, was irgendein Deutscher, der ein Haus in Spanien "besetzt" hat, denkt? Das Kuriose ist, dass solche Begegnungen auf (Rad-)reisen gar keine Seltenheit sind. Im letzten Sommer gab es zwei ähnliche Situationen mit sonst gastfreundlichen, netten Menschen, mit denen man sich gut unterhalten konnte, bis es um politische Ansichten oder Ähnliches ging. Den Weg für den optimalen Umgang damit suche ich noch.
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