• Ein Balkon der besonderen Art

    October 23, 2024 in Argentina ⋅ 🌬 14 °C

    Unsere Entscheidung fällt am Morgen: Wir bleiben eine weitere Nacht in der Hosteria Cortaderas und werden den Tag nutzen, um zum Balcon de Pisses fahren.

    Wieder gibt es zur Fahrzeit bei gleicher Strecke unterschiedliche Angaben zwischen GoogleMaps und der OSM-App. GM zeigt pro Strecke vier Stunden Fahrzeit an. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Wogegen wir mit OSM schon in zwei Stunden da wären.

    Wir vereinbaren eine Kehrtwende, sollten wir nicht in zweieinhalb Stunden annähernd das Ziel erreicht haben.

    Los geht’s.
    Neun Kilometer geht’s auf der gepavten Ruta 60 bevor wir die Rumpelstrecke erreichen. Wegen der vielen spitzen Steine und dem teilweise argen Waschbrett sind nicht mehr als 20 bis 30 km/h drin. Nach etwa einer halben Stunde kommt uns das erste Auto entgegen. Doch bald entpuppt sich die Piste als „very busy“. Es sind Tourenveranstalter und noch mehr Minenautos. Eigentlich wurden diese Pisten nämlich nicht für Touristen gemacht. Es sind Verbindungen zu den Minen, die, wie wir auf Schildern lesen können, von argentinischen und chinesischen Firmen betrieben werden.
    Egal wie und warum. Uns gibt es Sicherheit, im Falle einer Panne nicht allein in dieser unwirklichen Gegend zu sein.
    Eine ganze Stunde fahren wir bis zur einer weitläufigen Ebene, die bei etwa 4.300 Höhenmetern liegt.
    Hier beginnt der recht gut präparierter Abschnitt und Rainer atmet auf. Schließlich leidet er bei jedem Stein, als wenn er selbst barfuß unterwegs wäre 😉

    Linkerhand lockt die Laguna de los Aparejos in der Flamingos waten. Den Besuch verschieben wir auf den Rückweg. Erst wollen wir sehen, wie weit wir kommen.
    Plötzlich kreuzen meterhohe Sandverwehungen unseren Weg. Noch denken wir, es sei ein interessantes Naturphänomen.

    Nach insgesamt eindreiviertel Stunden erreichen wir die Laguna mit dem Doppelnamen Celeste/Azul. Das Ziel ist also fast erreicht.
    Ganze zwölf Touren-Pickups stehen am See.

    Bis zum Balcon del Pisses, dem Ziel, brauchen wir eine weitere Viertelstunde. Ein gut gemachter Weg führt uns zur freiliegenden recht kleinen Parkplatzfläche.
    Zwei Drittel der Fläche ist begrenzt von einem Nichts 🙈
    Der Balkon mit der grandiosen Rundumsicht ist erreicht.

    Der Wind hat an noch nie erlebter böiger Stärke zugenommen. Hier oben wird er auch von Nichts gebremst.
    Das Auto wackelt fürchterlich. Mir ist überhaupt nicht wie aussteigen. Rainer verlässt als erster das Auto. Ich traue mich erst später raus.

    Es ist schwierig die Balance zu halten. Es fühlt sich an, als wenn mir der Wind die Klamotten vom Laib reißen würde. Mein Smartphone habe ich an einer kurzen Schlaufe safe. Aber es still zum fotografieren zu halten, ist illusorisch. Ich versuche es mit dem Fotoapparat. Das funktioniert besser. Aber mir reißt es den fast aus der Hand. Es fehlt die Ruhe beim Auswählen des Motivs. Die Sinne sind gefordert! Am Ende des Tages werde ich leider feststellen müssen, dass es nur ein IPhone-Foto gibt und fünf Kameraaufnahmen. Die restlichen Bilder habe ich im Sinn gespeichert. Im Grunde genommen will ich nichts wie weg hier. Schade eigentlich. Es ist eine sensationelle Stelle, die ich gern als „Top of the World“ genießen würde. Schade auch, dass wir nicht noch den weiteren Weg fahren. Zur nächsten Lagune. Aber der Aufenthalt ist alles andere als angenehm!
    Als die Tourenautos hoch kommen gibt es einen Platzwechsel. Nun haben wir die Laguna Celeste/Azul für uns allein. Doch auch hier ist von Genuss keine Spur. Es macht eben auch hier kaum Freude draußen zu stehen und vielleicht etwas spazieren zu gehen.
    Der Wind trägt ne Menge Sand mit sich. Und der tut echt weh im Gesicht.

    Wir machen uns auf den Rückweg. Der Sturm wird immer stärker und teilweise fahren wir wie im Nebel.
    Wenn der Sand auf die Karosserie trifft, hört es sich an, als wenn das Auto sandgestrahlt würde.
    So geht es die gesamte Zeit bis zur der Ebene, wo die riesige Lagune mit den Flamingos ist.
    Hier versuchen wir hinter einer Erhebung in den Windschatten zu kommen, um den Blick auf die wohl letzte Lagune mit watenden Flamingos der diesjährigen Reise zu haben. Es ist schon interessant zu sehen, dass es einigen Flamingos mit ihren dünnen Beinchen, die so gar kein Widerstand darstellen sollten, die Beine wegreißt und sie ins Wanken kommen. Das Gefieder wird vom Sturm zerfleddert.
    Mit meinem Ofenrohr versuche ich ein schönes Bild einzufangen. Aber ich kann es kaum halten. Auch der Versuch aus dem Auto zu fotografieren ist eher ein Verzweiflungsakt. Denn nun hat der Sturm auch unsere Ecke entdeckt und es schüttelt uns durch.

    Als wir die nächste Schlucht erreichen, scheinen wir den schlimmsten böigen Sturm überstanden zu haben.

    Am Abend erreicht der Sturm das gesamte Gebiet. Die Fenster klappern die gesamte Nacht und der feine Sand kriecht durch jede Ritze. So kann ich nicht schlafen und suche im Netz nach Daten wie stark der Wind ist. Es sind Windböen von 135kmh. Und im Gebiet um den Balcon del Pisses sind es 180km/h.
    Als die Sonne wieder aufgeht, schwächt sich der Sturm ab. Die Heizung im Schlafraum und Bad sind bedeckt vom feinsten roten Staub, der durch die geschlossenen Fenster reingepresst worden ist.

    Was für eine Naturgewalt!
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