• Etappe 9 – mein persönliches Bergfest

    August 18 in France ⋅ 🌙 17 °C

    5:48 Uhr: Ich starte wieder bei Dunkelheit, aber im Hintergrund ist ein wunderschöner Sonnenaufgang zu sehen.

    Ich bin noch nicht auf dem Kamm oberhalb des Camps angekommen. Da habe ich schon meine Windweste ausgezogen und meine Arme hochgekrempelt.

    6:28 Uhr: 1,5 km liegen hinter mir und 450 m weiterer Anstieg noch vor mir. Das ist ein ganz schön anstrengender Morgen.

    6:47 Uhr: Noch 300 Höhenmeter nach. Ich bin ganz schön flott unterwegs, obwohl es sich anfühlt, als würde ich kriechen wie eine Schildkröte.

    7:11 Uhr: 140 Höhenmeter noch zu erklimmen. Schritt für Schritt einfach weiter.

    Warum es für mich keine Option war, nur die Hälfte des Weges zu gehen, liegt auch daran, dass mein Ziel nicht das Ziel ist, sondern der Weg. Mir geht es um das Wandern an sich und vor allem auch darum, dass über den Zeitraum von mehr als 14 Tagen das Wandern/das Gehen zum neuen Normal wird. Das finde ich eine spannende Erfahrung.

    Ich bin bei weitem auch nicht der Schnellste. Wahrscheinlich liege ich in meiner Altersklasse im oberen Durchschnitt oder so. Der große Unterschied ist, dass viele derer die deutlich schneller sind als ich, alle irgendwelche finnischer T-Shirts tragen aber nicht von einem Marathon sondern von irgendwelchen Ultra-Triathlon, Ultra-Marathons oder anderen Ultraläufen! Der GR20 ist der Ort, wo die Ultra-Läuferin Urlaub macht – könnte man sagen.

    7:14 Uhr: Der Anstieg ist geschafft, 744 Höhenmeter liegen hinter mir.

    7:45 Uhr: Weiter geht's.

    Meine Wasserplanung war diesmal aber sehr gut, denn der Liter in meiner Wasserblase war alle, als ich auf dem Gipfel ankam. Und jetzt habe ich noch zweimal 0,5 Liter Reserve.

    Uff, das letzte Plateau liegt hinter mir. Der Stein war zwar überhaupt nicht rutschig, aber die Platten waren für mein Empfinden extrem steil. Ich würde sagen dass man 45° bergab gehen musste, vielleicht sogar etwas mehr.

    Es ist heute insgesamt sehr still, kein Wind weht und nur gelegentlich höre ich Stimmen anderer Wanderer. Davon abgesehen hört man nur das beständige Klingeln der Schafglocken in der Ferne und das Läuten der einen oder anderen Kuhglocke.

    Wahrscheinlich ist das der schwerste Abstieg vom ganzen Trail. Ich finde vor allem die mindestens 45° geneigten Platten, die praktisch keine Möglichkeiten bieten, selbst aber relativ porös sind, so dass man nicht rutscht, sehr anstrengend herunterzugehen.

    8:55 Uhr: Ich mache eine Pause, um Wasser aufzufüllen beziehungsweise zu filtern und etwas zu essen (dieses Harry-Weißbrot mit Salami).

    9:14 Uhr: So, habe fertig. Leider muss ich diesen wunderschönen Platz schon wieder verlassen.

    9:25 Uhr: Ich betrete den lichten Erlenwald – der schlimmste Teil des Abstrieges sollte hinter mir liegen. Der Weg ist zwar immer noch sehr steinig und Weg kann man hier nur in Anführungsstrichen verwenden, weil er nicht vorhanden, aber es wird besser. Bestimmt.

    9:58 Uhr: Heute habe ich das erste Mal das Gefühl, dass der Weg mich schafft. Es zieht sich echt ganz schön hin, ein steiler Abstieg folgt auf den anderen und irgendwie hab ich kein Bock mehr oder andersrum: ich wäre froh, wenn ich jetzt am Ziel wäre. Aber gut vielleicht finde ich ja bald ein paar Gumpen und kann mich etwas erfrischen.

    10:03 Uhr: Ich mache jetzt einfach mal eine kleine Pause!

    10:11 Uhr: Weiter geht's. Immer noch knapp 400 Höhenmeter abzusteigen.

    10:24 Uhr: Eine Runde Venentraining – Unterschenkel in eiskaltes Wasser stecken an einem wunderschönen Bachlauf.

    Es ist so lustig, viele der jungen Franzosen, die ja fast ausschließlich in Gruppen auftreten, wirken so, als ob sie Angst hätten, aufhören zu existieren, wenn sie nicht mehr laut sind.

    10:39 Uhr.: Weitergeht‘s aber das hat jetzt richtig gut getan. Meine Beine sind total erfrischt!

    11:29 Uhr: Den wirklich steilen Abstieg müsste ich jetzt wirklich geschafft haben. Ganz am Ende ging es nochmal sehr steil bergab, das hatte ich nicht so lange in Erinnerung. Meine Herrn, die Tour heute geht ganz schön in die Knochen!

    Ich glaube, wenn das mit Europa klappen soll, müssen wir erst mal dahin kommen, dass alle eine Sprache sprechen. In Frankreich passiert es mir immer wieder, dass Leute richtig erschrocken oder angewidert reagieren, wenn man sie auf Englisch anspricht, und sie dann ganz erleichtert sind, wenn es doch auf Französisch geht.

    Ich verstehe das nicht. Wir sind doch Europäer – zumindest empfinde ich mich als einen, und da ist es doch selbstverständlich, dass man wenigstens ein bisschen Englisch kann und nicht davon läuft, sobald einer etwas auf Englisch will.

    12:11 Uhr: Das war beides unbeschreiblich lecker: das frisch gezapftes Bier genauso wie der Crêpe mit Schafkäse, Speck und Tomate, eine Geschmacksexplosion, einfach nicht zu beschreiben. Aber jetzt geht es weiter.

    Schon die ganze Zeit fällt mir auf, dass der Boden übersät ist von grünen, also jetzt nicht mehr ganz grünen Buchenblättern und Kiefernnadeln, auch abgerissenen Zweige. Entweder gab es eine große Trockenheit oder das kommt von einem Gewitter.

    11:45 Uhr: Hälfte geschafft oder anders ausgedrückt, Hälfte schon vorbei. Ich kehre hier erst mal ein in dem super netteren Ausflugsrestaurant und esse einen Crêpe mit Tomaten, Schafskäse und dem leckeren korsischen Schinken Speck. Dazu ein frisch gezapftes Pietra.

    12:30 Uhr: Angekommen. Und direkt noch die anderen Deutschen getroffen.

    Wir essen zusammen Mittag und quatschen. Um 14:00 Uhr meint Paul, dass es jetzt Zeit für sie sei, aufzubrechen (sie wollen doppeln), der Himmel würde (sofern man das unterm Efeu erkennen kann) gut aussehen. Und 10 Minuten später gewittert es und schüttet wieder aus Eimern. Da sich die Zellen lokal bilden, hilft einem der Regenradar gar nicht. Nur der Forecast. Und der war wieder 100% akkurat!

    Naja, wir verziehen uns in den Salon und irgendwann haben die beiden ein Einsehen und buchen ein Zimmer. Ich gehe auf mein Zimmer, um Wäsche zu waschen, zu schlafen und mit meinen Eltern zu telefonieren.

    Später treffen wir uns wieder im Salon. Die fünf Amerikaner sind auch angekommen. Als wir zum Essen gehen, kommt auch Harald an. Er ist wieder durch den Regen und Hagel gelaufen. Er denkt mittlerweile darüber nach, etwas zügiger durchzulaufen.

    Wir hatten dann einen sehr netten Abend. Dieser Ort, das Hotel Monte D'Oro, ist schon ein sehr spezieller Ort. Unbeschreiblich.
    Wenn das hier jemand von einer Agentur liest, die besondere Drehorte an Filmproduzenten vermittelt, unbedingt das Hotel, den Salon, aber auch die Besitzerinnen anschauen.

    6:34h
    4:14h in Bewegung
    1,3 km/h
    2,2 km/h
    736m Anstieg
    906m Abstieg
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