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  • Day 154

    Sciacca

    January 30 in Italy ⋅ ☀️ 14 °C

    Sciacca (phonetisch: schagga) zeigt sich uns sehr authentisch, lebhaft und widersprüchlich wie im richtigen Leben. Vom Belvedere beim - schon längere Zeit geschlossenen - Thermalbadkomplex aus ein fantastischer Ausblick auf das weitläufige Hafengelände und die Unterstadt.
    Eine Kurve weiter der riesige Betonbau des Teatro Popolare (erinnert fern an das Stadttheater St.Gallen), das jedoch seit einer pompösen Eröffnungsfeier 2015 (nach rund 40jähriger Bauzeit mit langen Unterbrüchen) wieder leer steht, wie wir heute von einem Einheimischen erfuhren.
    Nochmals 100 Meter weiter stehen wir auf einem grünen Pärkchen zwischen zwei Boulevards, schmucklos zwar aber dafür lebhaft: an verstreut stehenden Plastiktischen sitzen/stehen Gruppen älterer Männer, ins Scopa-Spiel vertieft und leidenschaftlich diskutierend.

    Sciacca sei der drittgrößte Fischereihafen Siziliens, ein Zentrum der Töpferkunst und der Schmuckherstellung aus (echten) Korallen - und bekannt für seine grossen Karnevalsumzüge.

    Der grosse Platz vor dem Gemeindehaus wirkt wie ein gemeinschaftlicher Balkon, der zum Meer hinaus ragt. In der Altstadt wechseln sich eindrucksvolle alte Paläste, enge Gassen und manch nahezu baufälliges Haus. Ein schönes ungeschöntes Ensemble.

    Dann die keramikverzierte Zig-Zag-Treppe zum Hafenviertel. Und viele originell und persönlich gestaltete Winkel, Nischen und Innenhöfe. Man scheint hier ein unverkrampftes Verhältnis zur Kreativität zu haben,

    Unser Stellplatz/Parkplatz am alten Fischerhafen liegt ideal, ruhig und in unmittelbarer Nähe zur Pescheria. Wunderschöne Sonnenuntergänge inklusive. Und wenn's beizeiten am Morgen an die Campertür klopft, dann ist es ein Fischer, der seinen frischen Fang unter die Leute bringen möchte. Handeln erlaubt.

    Beim Eindunkeln spazieren wir noch zum neuen bzw im Bau befindlichen Sportboothafen. Das zufällige Gespräch mit einem Hundebesitzer auf Gassigang zieht sich dann sehr in die Länge: Francesco/Franco, 61, ist gebürtig aus Sciacca, lebte jedoch über 30 Jahre in Deutschland, Österreich und noch einigen anderen mitteleuropäischen Ländern, spricht deutsch, französisch, englisch und arabisch und amtet als Freiwilliger in der Guardia Nazionale Ambientale, also sozusagen einer Umwelt- und Naturschutzpolizei, die ebenfalls hierarchisch gegliedert und mit allen Dienstgraden und Uniform ausgestattet sei.

    Das allgegenwärtige Abfallproblem, die mafiösen Machenschaften bei Bauprojekten, das mangelnde Respekt- und Verantwortungsgefühl in der breiten Bevölkerung, die grassierende Bigotterie - er zeichnet ein sehr düsteres und desillusioniertes Bild von Sizilien (95% seien dumm und 5% seien schwer mafiös), wohl gerade weil er das Wertebewusstsein in DL, A und CH kennen und schätzen gelernt hat. Und steckt selbst in diesen Widersprüchen drinn, wenn er etwa erklärt, in manchen beobachteten Situationen sage er selbst als Guardia Ambiente lieber nichts, damit er nicht Opfer von Vergeltungshandlungen werde.

    Von da aus ist es nicht weit zum frustrierten Rundumschlag, bei dem allerlei Generationen, Geschlechter und Moden beklagt und "die gute alte Zeit " besungen werden. Das allerdings kennt man doch ... nicht bloss in Sizilien. Eigentlich sehr sehr schade, denn aus einer negativen Erwartungshaltung (und aus formalistisch-autoritären Anweisungen) kann wohl schwerlich etwas Positives wachsen.

    PS: Die 6,1 Millionen für den Sportboothafen mit Lungomare seien in den Sand gesetzt worden bzw die korrupten Unternehmer hätten "das Geld gegessen". Nun stehe das Projekt seit mehreren Jahren still; deshalb die zerfledderte Baustellen-Abschrankung und die riesigen Deponie-Becken (einst für den ausgebaggerten Schlamm gedacht), die jetzt ihrerseits wieder zu vermüllten Nicht-Orten werden. Wahrlich eine Herkules-Aufgabe, in der Bevölkerung wenigstens einen Hauch von Selbst-und Mitverantwortung zu säen.

    PS2: Für das Theater, seit 1973 geplant, von 1979 bis 1982 im Bau und dann als unfertige Baustelle vor sich hin gammelnd - habe der deutsche Intendant Werner Herzog 2009 vorgeschlagen, Wagners "Ring der Nibelungen" zu inszenieren und als Finale das gesamte Betongebäude zu sprengen. Endlich ein "konstruktiver" Vorschlag, dem aber wegen Sicherheitsbedenken nicht stattgegeben wurde. Lieber wollte man den Bau pro forma fertigstellen, feierlich eröffnen und bereits drei Tage später wieder schließen. Jetzt gammelt auch diese Anlage vor sich hin, bis ...??? (Nachzulesen in Wikipedia, Suchbegriff "teatro popolare samonà")

    PS3: Unser Gesprächspartner trägt nicht bloss den selben Namen wie der Erschaffer des "castello incantato", dieser sei auch über drei Generationen zurück verwandt mit ihm.
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