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  • Day 126

    Urgewaltiger Uluru

    June 6, 2019 in Australia ⋅ 🌬 16 °C

    „Gehst du heute nicht mehr raus zum spielen?“, fragt mich der Google-Sprachübersetzer, den mir mein chinesischer Zimmernachbar breit lächelnd ins Gesicht hält. Was genau er damit meint, weiß ich nicht, aber ich lächle zurück und nicke einfach. Passt schon. Sie sind überall, die Chinesen und sie reisen immer in Gruppen an. Sie rülpsen und pupsen recht ungeniert. Und ich spreche hier von den älteren Damen, mit denen ich in der zweiten Nacht eine Koje im 20-Bett-Zimmer teile.

    Ich bin ins rote Zentrum Australiens gereist, zum Ayers Rock. Hier ist alles so durchorganisiert, als hätte man eine Pauschalreise nach Malle gebucht. Vom Flieger in den Shuttlebus, der die Hotels abfährt inklusive Beschallung über Lautsprecher „Meine Damen und Herren, zu unserer Linken sehen Sie....“ usw. usw. Meine Unterkunft ist eine Mischung aus Hotel und Hostel. Es gibt ein Restaurant und eine Barbecue- und Entertainement Area, in der die Hits von heute gespielt werden (gerade läuft Despacito, gefolgt von Justin Timberlake). Zum Ayers Rock fährt ein Hop on Hop off Bus, den Fahrplan händigt man mir an der Rezeption aus. Richtges Outbackfeeling kommt hier nicht auf.

    Kontakt mit der indigenen Bevölkerung gibt es in Form von geführten Touren mit verschiedenen Themen wie Buschfood, Waffen, Didgeridoo Workshops oder von Frauen gemalten Bildern. Aber ich kann mir nicht helfen, mein Eindruck von denen, die wirklich noch nach Aborigine aussehen, ist nicht so angenehm. Sie kommen mir ungepflegt vor. Irgendwo habe ich gelesen, dass es eine No alcohol policy für Aborigines gibt, die den Verkauf von Alkohol beschränkt oder sogar ganz verbietet, das weiß ich jetzt nicht genau. Jedenfalls umgehen sie diese Regelung, indem sie Touristen bitten, ihnen welchen zu kaufen. Und dann erzählt mir der Backpacker aus Neuseeland, der im Flugzeug neben mir saß und im gleichen Hostel bleibt, dass er genau das grad getan hat. Im Cultural Center, dem Ausgangspunkt für Touren um den Rock, steht vor mir in der Schlange ein offensichtlich bereits betrunkenes Aboriginespaar, das laut und torkelnd die Bude aufmischt.

    Trotzdem ist es ein Erlebnis, sich den Felsen mal anzuschauen. Ich beschließe, ihn zu Fuß zu umrunden, eine Strecke von ca. 10km. Die Sonne strahlt, keine einzige Wolke am Himmel, dafür sorgt der teilweise recht strenge Wind. Er ist auch der Grund, weshalb der Aufstieg auf den Berg leider an diesem Tag geschlossen bleibt. Ich stapfe auf eigene Faust los, verlaufen kann man sich ja eh nicht wirklich. Mal kommen mir einige weitere Wanderer oder Radfahrer entgegen, mal bin ich streckenweise allein am Berg. An einer Rasthütte sitzt barfuß ein junger Backpacker mit seinem Tagebuch auf dem Boden und philosophiert über die Gestalt des Steins. Ob ich nicht auch die exakte Form eines menschlichen Schädels im Querschnitt erkennen könne, fragt er mich. Ich registriere, dass seine Fußnägel in einem zarten Lila lackiert sind. Im Gesicht ähnelt er dem geschminkten Johnny Depp in Fluch der Karibik. Ich steige ein wenig in die Unterhaltung ein, aber schnell wird mir das zu abgedreht. Mit einem Blick auf seine im passenden Farbton lackierten Fingernägel verabschiede ich mich.

    Ich brauche dann doch fast viereinhalb Stunden für die Umrundung, immer wieder bleibe ich stehen, um Fotos zu machen, den Felsen zu betrachten oder mein Sandwich zu essen. Ich versuche außerdem wieder Fotos mit Selbstauslöser zu machen und eine halbwegs lustige Pose zu finden. Dafür hüpfe ich allein mitten im Busch auf und ab, in der Hoffnung, den Moment des Auslösens zu erwischen - aber umsonst. Gebe schnell auf, weil mir das in Anbetracht des heiligen Ortes irgendwie unwürdig erscheint. Anfassen möchte ich den Stein dann aber doch gerne und vielleicht so ein kleines bißchen seiner Kraft auf mich wirken lassen. Tatsächlich ist es ein beeindruckender Ort und es ist gut, dass ich die Reise dorthin angetreten habe.

    Der Bus, der mich zurück zum Hotel bringt, hält speziell zum Sonnenuntergang nochmal an einem Aussichtspunkt und ich ergattere einen Stehplatz um das Spektakel aus erster Reihe anzusehen. Neben mir hat eine kleine Reisegruppe ihren Picknicktisch aufgebaut und ich werde eingeladen, mich ebenfalls zu bedienen. Im Austasuch gegen Cracker mit Käse und Salami schicke ich ihnen später mein Zeitraffervideo vom Sonnenuntergang. Mein chinesischer Nachbar wäre bestimmt zufrieden mit mir, dass ich heut so lange draußen war zum spielen.
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