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  • Day 187

    Verloren in der Vergessenen Welt

    August 6, 2019 in New Zealand ⋅ ⛅ 12 °C

    Es ist stockdunkel. Ich habe keinen Handyempfang, schon seit Stunden nicht mehr. Meinen Van habe ich von innen verriegelt, die Vorhänge zugezogen. Stirnlampe aufm Kopf, Pfefferspray und den Taschenalarm griffbereit in der einen, den Autoschlüssel in der anderen Hand.
    Ich habe mitten im Nichts auf einem kleinen Parkplatz direkt neben der Straße mein Nachtquartier aufgeschlagen, weil ich keinen Campingplatz gefunden habe.

    Nun fährt ein Auto vor, ein Mann steigt aus. Gut, denke ich, der muss wohl mal pinkeln. Wenige Minuten später hält ein zweites Auto, Musik dröhnt aus dem Inneren, ein weiterer Typ steigt aus. Ich luke durch meine Vorhänge. Dann ein drittes Auto und ein dritter Mann. So, denke ich, jetzt wird‘s komisch. Trifft sich hier die Landjugend zum Besäufnis? Im Kopf gehe ich verschiedene Möglichkeiten durch. Soll ich aussteigen und mich bemerkbar machen? Sie bitten, ruhiger zu sein, weil mein Mann da im Auto schlafen will? Gibt es eine App mit bösem Hundegebell? Ach nee, hab ja keinen Empfang! Soll ich mich nach vorne durch quetschen, auf den Fahrersitz und das Weite suchen? Aber wohin dann? Hier gibt es ja nix! Außderdem hab ich schon meine Tablette für die Nacht eingenommen und es wird nicht mehr lange dauern, bis ich nicht mehr fahrtüchtig bin.

    Einige Stunden vorher: ich habe in New Plymouth an der Westküste übernachtet. Gerade habe ich meine Vorräte aufgefüllt und den Wagen vollgetankt. Ich werde den Forgotten World Highway fahren - die Straße der vergessenen Welt. Eine 150 km lange Strecke durch das Landesinnere. Keine Tankstellen und keine Supermärkte. Auch kein Handyempfang. Dafür verspricht er grandiose Landschaften, einen Wasserfall, alte Tunnel. Schnell schicke ich noch meiner Mama und meiner Freundin eine Nachricht, in der ich sie über meinen Plan informiere. Damit auch jemand weiß, wo ich ungefähr bin, falls ich nicht wieder auftauche (ja, ich leide immernoch an den Folgen der Videos).

    Ich habe eine grobe Straßenkarte aus einem Flyer dabei und Screenshots von (angeblichen) Campingmöglichkeiten gemacht. Ach, und ein Youtube-Video geschaut, wie man Reifen wechselt. Denn ein 12km langer Abschnitt ist Schotterpiste. Darf ich laut Mietbedingungen eigentlich gar nicht fahren, aber das Risiko gehe ich ein. Denke an Namibia zurück, da gibts kaum geteerte Straßen und da platzt auch nicht ständig ein Reifen.

    Ich mache mich also auf den Weg und schon bald entfaltet diese Route ihre fasziniernde Wirkung. Es geht steil bergauf, es ist kurvenreich, ich fahre im Durchschnitt wohl so 30kmh. Und bleibe natürlich wieder oft stehen zum gucken. Im Reiseführer steht, man soll etwa vier Stunden einplanen. Ich bin um zwei Uhr gestartet. Es vergeht eine Stunde und noch eine. Ich fahre, gucke, mache Pause, fahre weiter. Dann ist es fünf, die Dämmerung setzt ein und ich habe höchstens die Hälfte der Strecke geschafft. Noch ein paar Kilometer weiter, dann beginnt die Schotterpiste. Die möchte ich im Dunkeln nicht fahren. Außerdem liegt hier auch noch ein Abstecher zu dem zweitgrößten Wasserfall, den will ich gern sehen.

    Ich erreiche den Tunnel und mir kommt ein Wohnmobil entgegen. Andere Autos sieht man hier selten. Die Gelegenheit ergreife ich und mache den beiden Insassen Zeichen zum anhalten. Ich frage sie, ob sie einen Campingplatz gesehen haben. Sie haben eine App, die auch offline funktioniert und dort sind noch mind. zwei eingetragen, einer davon angeblich direkt an der Straße. War ja auch meine Information. Also fahre ich weiter, um den zu finden. Aber an der Straße ist weit und breit kein einziger. Gut, dann ist die Entscheidung getroffen und ich drehe um, steuere zurück auf den kleinen Parkplatz mit der grandiosen Aussicht. Werde ich morgen früh wenigstens mit einem schönen Panorama wach.

    Und nun lieg ich hier und weiß plötzlich wieder, warum ich eigentlich nicht wild campe. Ich beobachte das Geschehen draußen weiter. Interesse an meinem Auto oder mir scheinen die nicht zu haben. Die Situation ist mir zwar nicht angenehm, aber mein Bauchgefühl rät jetzt auch nicht zur panikartigen Flucht. Ich verhalte mich also ruhig und warte ab. Zu trinken scheinen sie auch nicht. Nach vielleicht 20 min macht sich einer wieder auf den Weg. Etwas später startet ein anderer sein Auto und fährt ebenfalls weg. Jetzt steht nur noch eins dort. Mit laufendem Motor, Licht an. Und ein paar Minuten später dann endlich - auch der letzte düst ab. Ich bin erleichtert. Doch dann kommt ein neuer Gedanke: jetzt wissen die ja, dass hier ein einsamer Campervan steht. Was, wenn die sich jetzt doch besaufen und im Suff wiederkommen? Aber das würde doch schon einiges an krimineller Energie voraussetzen und dafür sind die Neuseeländer allgemein jetzt nicht bekannt. Ich beschließe, auf das Gute zu vertrauen. Das hat mir mal eine Freundin gesagt.

    Am nächsten morgen wache ich auf. Es ist alles gut gegangen. Ich genieße einen herrlichen Ausblick auf die vom Morgennebel umwobenen Hügel und lausche dem Gesang der Vögel.
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