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  • Day 135

    Wenn ich ein Vöglein wäre...

    May 12, 2019 in Peru ⋅ ⛅ 15 °C

    Hui, das geht aber ganz schön steil runter. Sehr steil sogar. Ich blicke in ein tiefes Tal hinunter, welches mehr als 1000 m (!!!) unter mir liegt. Etwas schwindelig wird mir bei dem Anblick schon, meine Höhenangst kann ich nicht gänzlich verstecken. Aber dann fokussiere ich meinen Blick wieder nach vorne, ich bin zum Glück abgelenkt. In nur knapp 10 Meter Entfernung befindet sich ein scharfer Felsvorsprung direkt über dem Abgrund. Und auf diesem Felsen sitzt es friedlich, dieses absolut majestätische Tier, der größte Vogel unserer Erde, stolz, fast regungslos. Wie aus einem Bilderbuch. Nur ab und zu bewegt es sanft seinen schmalen Kopf, begutachtet die Umgebung, zupft sich mit seinem Schnabel die Federn zurecht und wartet auf den richtigen Auftrieb, um in die Lüfte zu steigen. Um mich herum Stille, leises Flüstern, Spannung, alle warten auf den ersten Flügelschlag. Ich bin nicht alleine, viele Reisende haben sich an diesem frühen Morgen an diesem Ort versammelt, um dieses wundervolle Naturereignis zu erleben. Die meisten befolgen brav die Anweisungen ihrer Guides, möglichst still zu sein, um die Tiere nicht zu verschrecken. „Silencio!!!“ ruft immer wieder einer der Besucher in die Menge, als im Hintergrund mal wieder ein paar ältere Amerikanerinnen wie die Hühner vor sich hergackern. Unbelehrbar. Dann ist es endlich soweit. Der Condor bringt sich in Position, öffnet seine meterbreiten Flügel und stürzt in die Tiefe. Doch der Fall ist kurz, der Auftrieb packt ihn instantan und lässt ihn elegant durch die Lüfte gleiten, scheinbar mühelos und ohne Kraftaufwand. Ein Staunen der Ehrfurcht geht durch die Menge. Die Szenerie könnte kaum packender sein, als der Condor durch den tiefen Canyon schwebt und seine Runden vor den gigantischen Felswänden dreht. Immer und immer wieder dreht er in langen Bögen seine Runden durch das tiefe Tal, fliegt teilweise in nur wenigen Metern Abstand an uns vorbei und über unsere Köpfe hinweg. Dann sichten wir weitere Condore, zwei, drei, teilweise bis zu zehn Condore, die sich hier für ihren Frühsport versammelt haben. Ein absolut unvergesslicher Anblick! Was muss es wohl für ein Gefühl sein, einmal so durch die Lüfte zu schweben...

    Ich habe einen zweitägigen Ausflug zum Colca Canyon gebucht, der zweittiefste Canyon der Welt (nach dem Grand Canyon). An seiner steilsten Stelle erreicht der Abgrund eine Tiefe von knapp 1200 Metern, insgesamt erhebt sich das Gebirge um den Canyon herum auf bis zu mehr als 4500 Metern. Durch das Tal schlängelt sich der Rio Grande, der diese Landschaft mühselig über Millionen von Jahren geformt hat. Alles hier ist grün, ganz anders als man das von den roten Felswänden am Grand Canyon kennt. Die Inkas haben dieses Land bereits vor hunderten von Jahren bewohnt und bewirtschaftet. Überall sieht man noch die Vermächtnisse dieser bemerkenswerten Kultur, insbesondere in Form der vielen Terrassen, die in die steile Landschaft geformt wurden, um bewirtschaftbare Fläche zu vergrößern. Noch heute lebt die Region hauptsächlich von der Landwirtschaft und natürlich vom Tourismus. Besonders letzteren spürt man deutlich. An jedem Ausblickspunkt reihen sich die Souvenirstände, verwaltet von peruanischen Frauen in traditioneller Tracht, meist begleitet von einem süßen bunt geschmückten Alpaca, um den Kaufwillen der vielen Ausflügler positiv zu beeinflussen. Ich kann zum Glück den süßen Blicken der Alpacas gerade noch widerstehen und verlasse den Colca Canyon mit leeren Einkaufstüten 😀 (bei allen Überfluss an Souvenirs muss man den Verkäuferin aber auf jeden Fall zu Gute halten, dass alle sehr freundlich und nicht aufdringlich sind. Wer nichts kaufen mag, wird auch in Ruhe gelassen...).

    Wir sind bereits gestern Nachmittag in Chivay, der kleinen kommunalen Hauptstadt der Region angekommen, mit unserem kleinen Reisebus angekommen, der uns in knapp 5 Stunden Fahrt aus Arequipa über vulkanische Hochebenen hierher befördert hat. Meine Reisegruppe besteht aus 80% Asiaten, die überwiegend mit sich selbst beschäftigt sind. Aber ich finde Anschluss bei zwei jungen Holländerinnen, mit denen ich den Großteil des Ausflugs gemeinsam verbringen werde. Die kurvige Busfahrt und der mangelnde Sauerstoff in zwischenzeitlich 5000 Metern Höhe fordert allerdings seinen Tribut und einige der Fahrgäste müssen sich spontan im Bus übergeben. Lecker!!! Zumindest die Plastiktüte hat gehalten. Nicht jeder ist halt wie ich bereits aus den vergangenen Wochen an die Höhe gewöhnt und knabbert so diszipliniert wie ich kontinuierlich Coca-Blätter 😄

    Der gestrige Nachmittag verlief entspannend. Nachdem ich auf den Ausflug zu den heißen Quellen verzichtet habe (heiße Quellen hatte ich jetzt schon ein paar Mal auf meiner Reise und es war ja auch warm genug draußen 😉), habe ich mich alleine auf den Weg gemacht, um das Dorf und die Umgebung etwas zu erkunden (die beiden Damen wollten lieber etwas relaxen, da ihnen die Höhe etwas zu schaffen macht). Ich schlendere also ein bisschen durch den idyllischen Ortskern, entdecke auf einem kleinen Inka-Trail eine hohe Inkabrücke und ein paar alte Ruinen und lasse mir von einem Einheimischen ein bisschen was zur Inkageschichte erzählen (und versuche so gut wie geht seinen spanischen Erläuterungen zu folgen). Am Abend wartete dann noch ein lokales Essen mit traditioneller Musik und Tanz auf uns. Mit ca. 20 Gästen wirkte das große Lokal etwas verlassen, aber die Musiker und Tänzer haben ihr bestes gegeben, trotzdem die Stimmung ein wenig anzuheizen (was auch bitter nötig war, denn der Speisesaal war natürlich mal wieder eiskalt). Um die Künstler entsprechend zu würdigen, bin ich dann nach jedem Stück der Aufforderung brav nachgekommen, doch gerne Fotos zu machen. Ich habe das als wertschätzend empfunden 🙂 Zu guter letzt bin ich dann auch nicht drumherum gekommen, mir zum Abschluss noch ein peruanisches Gewand überzuwerfen und fröhlich im Kreis mitzutanzen. Was tut man nicht alles zur Völkerverständigung... aber war schon auch ganz lustig 😄

    Heute hieß es dann aber mal wieder früh aufstehen, 5 Uhr morgens Frühstück. Wer denkt, Reisen wären rein erholsam, den kann ich gerne eines besseren belehren 😉 Viele Naturereignisse lassen halt nicht auf sich warten, so auch unser heutiges Ziel, das Cruz de Condor, ein Ausblickspunkt, Heimat von etwa 30 Condoren, die hier täglich zwischen 8 Uhr und 10 Uhr ihren Frühsport absolvieren, bevor sie auf Nahrungssuche gehen und bis zu mehrere hundert Kilometer zurücklegen. Am Morgen scheint nämlich außerdem die Thermik besonders günstig zu sein, so dass die bis zu 14 kg schweren Tiere trotz ihres stolzes Gewichts mit äußerst geringem Aufwand durch die Lüfte gleiten können. Trotz des eher bewölkten Wetters am heutigen Morgen, werden wir nicht enttäuscht und erleben das absolute Highlight dieser Tour.
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