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  • Day 138

    Somewhere on the rainbow

    May 15, 2019 in Peru ⋅ ☀️ 7 °C

    Absolut verrückt. Um 2:45 Uhr nachts klingelt mein Wecker. Um 3 Uhr fährt der Tourbus vor mein Hostal vor und lädt mich ein. Es ist eiskalt draußen und ich hülle mich auf dem Sitz im Bus in eine Decke ein, um der Kälte so gut es geht zu trotzen. Dann ca. 4 Stunden Fahrt in der Dunkelheit des frühen Morgens. Zwischendurch noch ein kurzer Stopp gegen 5:30 Uhr zum Frühstücken. Alle sind verschlafen, wenig Konversation am Frühstückstisch. Ich kann es niemandem verdenken, mir geht es genauso, auch wenn ich kein Morgenmuffel bin. Small Talk muss jetzt nicht sein. Warum ich mir das unmenschlich frühe Aufstehen überhaupt antue? Tja, es geht heute zu dem Rainbow Mountain, nach Machu Picchu die Hauptattraktion in der Gegend von Cusco. Um den Touristenmassen einigermaßen zu entgehen, müssen wir bereits mitten in der Nacht aufbrechen. Nur so können wir sicher sein, eine der ersten Gruppen am Gipfel zu sein und ein halbwegs schönes Foto ohne Menschmassen zu schießen. Soweit ist es hier mit dem Tourismus also schon gekommen, wahrscheinlich wird man zukünftig am Gipfel übernachten müssen, um am nächsten Morgen überhaupt noch ein wenig ungestörte Natur genießen zu können... 😉

    Der Rainbow Mountain, oder in der Landessprache auch „Montana de siete coloradas“ genannt, ist eine unwirkliche, fast schon außerirdisch wirkende Gebirgslandschaft, deren Gestein auf Grund der unterschiedlichen Mineralvorkommen in vielen verschiedenen Farbtönen erstrahlt und durch tektonische Verschiebungen und Gesteinskompression so aussieht, als hätte jemand dem Gebirge einen farbigen Streifenpulli übergezogen. Anscheinend gibt es ein solches Gesteinsvorkommen nur insgesamt drei Mal in der Welt, nämlich neben Peru noch in Argentinien und China. Interessant ist, dass diese Attraktion in Peru erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde. Wie kann das sein? Nun, dem Klimawandel sei dank: vor mehr als 10 Jahren war das Gebirge noch durch eine hohe Schneeschicht bedeckt, so dass man das eigentlichen Naturwunder nie zu Gesicht bekam. Inzwischen ist alles weggeschmolzen und nur noch in den Wintermonaten kann hier überhaupt ein bisschen Schnee fallen. Lobbyisten wie unser beliebter amerikanischer Präsident Donald Trump würden jetzt sicher sagen, dass der Klimawandel doch durchaus seine gute Seiten besitzt... 😂

    Gegen ca. 6:30 Uhr erreichen wir den Startpunkt unserer heutigen Wanderung auf knapp 4700 Metern Höhe. Die weiteren 350 Meter bis zum Gipfel müssen wir zu Fuß bewältigen. Immer wieder wird in einigen Reiseberichten vor den erheblichen Anstrengungen des Aufstiegs gewarnt. Nicht weil der Weg so extrem steil wäre, aber die Luft ist hier schon extrem dünn und jeder Schritt ist Hochleistungssport. Bevor es richtig losgeht, macht unser Guide mit uns einen 5-minütigen Probespaziergang, um unsere Konstitution zu testen. Die ersten Teilnehmer fallen bei dieser Prüfung bereits aus: Kopfschmerzen, Schwindel, Atemnot. Aber es wird keiner zurückgelassen. Einheimische stehen schon mit Pferden bereit, um die Gebrechlichen bis zum Gipfel zu transportieren. Ein ganz eigener und lukrativer Geschäftszweig für die Peruaner... 😀 Meine Lunge macht noch gut mit und ich kann auf die Vierbeiner verzichten. Im Gegenteil, ich fühle mich prächtig und werde den Aufstieg problemlos und ohne Beschwerden im Eilschritt absolvieren. Die lange Akklimatisation der letzten Wochen in den Hochebenen Südamerikas machen sich jetzt bezahlt, ich bin topfit (man darf nicht vergessen, dass viele andere Touristen häufig direkt nach Cusco fliegen und innerhalb von zwei Tagen mit einem Höhenunterschied von mehreren tausend Metern zurecht kommen müssen. Gesund ist das nicht, aber bei vielen steht dann doch der Zeitmangel und der Wunsch, trotzdem alles zu sehen, im Vordergrund).

    Ich kann jedenfalls den Aufstieg in vollen Zügen genießen. Und ja, das tue ich wirklich. Es ist wirklich schön hier, so idyllisch, so ruhig um diese frühe Uhrzeit. Tatsächlich sind momentan nur eine Handvoll Wanderer unterwegs und die Landschaft wirkt leer und unberührt. Entlang des Weges grasen immer wieder einige Alpacas , die sich von den Wanderern unbeeindruckt zeigen. Ein bisschen muss ich an meinen damaligen Annapurna-Trek in Nepal zurückdenken. Eine ähnliche Ruhe wie damals umgibt mich. Und wie damals steige ich auch gemeinsam mit einem Nepalesen zum Gipfel auf, den ich im Bus kennengelernt habe. Was für ein Zufall... 😀

    Nach etwas mehr als einer Stunde erreichen wir bereits den Gipfel. Die letzten 100 Meter waren tatsächlich nochmal steil und auch ich beginne heftig zu schnaufen. Auch wenn die Hänge nicht extrem steil abfallen, wird mir durch die Höhe und den Sauerstoffmangel doch ein wenig schwindelig. Meine Beine zittern etwas, als ich mich die letzten steilen Meter über einen Kamm zum Gipfel kämpfe. Ich atme tief durch und versuche mich auf den Weg zu fokusieren. Schließlich erreiche ich als einer der ersten den ersehnten Gipfel. Bis hierhin habe ich die Regenbogen-Landschaft noch gar nicht intensiv beachtet, zu sehr war ich mit mir selbst beschäftigt. Doch dann, am Gipfel angekommen, drehe ich mich um und da liegt er vor mir, der farbige gestreifte Regenbogen-Berg, den ich in den letzten Tagen schon so oft auf den Plakaten der unzähligen Reiseagenturen in Cusco gesehen habe. Sieht unwirklich aus, so künstlich, wirklich einmalig, was die Natur geschaffen hat. Trotz dieser wirklich beeindruckenden Ansicht, muss ich dennoch gestehen, dass ich nicht vollständig von diesem Moment überwältigt bin. Vielleicht habe ich einfach schon im Vorfeld zu viele Bilder dieses Panoramas im Kopf gehabt, die sich in diesem Moment lediglich in der Realität bestätigen. Manchmal kann man einfach nicht genau sagen, warum es einen in einem Moment emotional packt und im anderen etwas kalt lässt. Aber egal, ich genieße so oder so die Aussicht und schieße natürlich meine Fotos für die Ewigkeit. Das ist es doch, warum die meisten hier sind... 😉

    Nach einer knappen halben Stunde treten wir bereits wieder den Rückweg an. Eine kleine Gruppe (mich eingeschlossen) darf noch einen kurzen Abstecher zum Red Valley machen. Nach einem Umweg von ca. 20 Minuten über den benachbarten Bergkamm können wir in das benachbarte Tal blicken, dessen Anblick dem Regenbogen-Berg nur wenig nachsteht. Eine intensiv rote Felslandschaft, überzogen von einem satten Grün liegt uns zu Füßen. Wunderschön. (Die Naturwissenschaftler werden es wahrscheinlich schon erraten haben: in diesem Tal ist der Felsen hauptsächlich von dem rötlich schimmernden Eisen durchzogen 🙂).

    Beim Abstieg (so gegen 8:30 Uhr) werden wir dann schließlich Zeugen, warum das frühe Aufstehen tatsächlich so notwendig war. Herrscharen von hunderten Ausflüglern kommen uns schnaufend, schwitzend, schmerzverzerrt entgegen. Nicht jeder von ihnen wird den Aufstieg heute schaffen, das kann ich unschwer erkennen. Die Einheimischen eilen immer wieder mit Pferden herbei und bieten ihre Dienste an. Aber auch diejenigen, die im Laufe des weiteren Morgens den Gipfel noch erreichen werden, werden wohl eher ernüchtert sein. Wolken ziehen bereits auf und werden die Farbenpracht des Regenbogen-Berges erheblich trüben. Die einzigen Farben die später wahrscheinlich in Vielzahl erstrahlen werden, sind wohl die unzähligen kunterbunten Daunenjacken der sich zusammendrängenden Menschenmenge am Gipfel. Ich bin froh, dass mir das erspart bleibt. Ein weiteres Mal ein Hoch auf uns Frühaufsteher 😁
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