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  • Day 140

    Als einer von Millionen am Machu Picchu

    May 17, 2019 in Peru ⋅ ☀️ 23 °C

    Hier stehe ich nun, so wie etwa 6000 andere Besucher pro Tag auch, wie etwa 1,5 Millionen andere pro Jahr. Ich blicke durch den Sucher meiner Kamera, auf der Suche nach dem perfekten Bildausschnitt, um ein Foto mit diesem wunderschönen Ausblick zu schießen. Diesen einen Ausblick, auf welchen man bei einer Google Suche in ähnlicher Weise als allererstes stoßen würde. Ich weiß in diesem Moment, dass wahrscheinlich schon Millionen Menschen vor mir exakt das gleiche Foto geschossen haben. Dieses Bild, welches sich gerade vor meinen Augen aufbaut, könnte kaum näher an dem Postkartenmotiv sein, welches ich in den letzten Tagen schon so oft in den vielen Souvenirläden Perus gesichtet habe. Und trotzdem kann ich der Versuchung nicht widerstehen, eine eigene Aufnahme zu schießen. Zu schön ist einfach dieser Ausblick, zuviel Glück haben wir heute mit dem strahlend blauen Himmel und der langsam aufsteigenden Sonne. Vielleicht ist es einfach ein verzweifelter Versuch von mir, diesen Moment durch ein Foto irgendwie für immer festzuhalten. Wenn ich später irgendwann mal auf dieses Foto zurückblicken werde, werde ich nicht die frische Luft atmen, die mich gerade umgibt, ich werde nicht außer Atem sein von den vielen steilen Treppenstufen, die ich zuvor zurückgelegt habe, ich werde nicht vom Licht der aufgehenden Sonne geblendet sein und nicht die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren, ich werde nicht die vielen Menschen um mich herum hören, die über die Terrassen wuseln und nach dem perfekten Fotospot suchen, und ich werde nicht dieses unglaubliche 270° Panorama erfassen können, welches sich gerade vor mir zeigt. Ich werde wohl Freunden, Verwandten und Kollegen dieses Foto zeigen und ein höfliches „Oh ja, das sieht echt schön aus!“ ernten, aber wer nicht in einem ähnlichen Moment hier gewesen ist, wird kaum verstehen können, welche Magie von diesem Ort ausgeht, welches einmalige Plätzchen sich die Inkas für dieses großartige Wunder menschlichen Schaffens ausgesucht haben. Wenn mir eines auf meiner Reise bewusst geworden ist, dann die Erkenntnis, dass kein Foto meine Erinnerung jeweils ersetzen wird. Ich habe trotzdem die Hoffnung, dass mir das Foto in vielen Jahren einmal hilft, meine Erinnerung an diesen Moment wieder aus meinen tiefen ergrauten Gehirnzellen hervorzuholen, einen Hauch des jetzigen Gefühls wiederzubeleben und dann ein kleines Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Klick! Ich betätige den Auslöser meiner Kamera...

    Wenn man an Südamerika denkt, wird man zwangsläufig als einen der ersten Gedanken auch an Machu Picchu denken. In allen Reiseführern „das“ absolute MustDo und Highlight einer jeden Südamerika-Reise. Je weiter man sich Cusco nähert, umso mehr steigt die Dichte an Information, Angeboten und Gesprächsstoff um das selbsternannte „achte Weltwunder“ (ich möchte gar nicht wissen, wie viele „achte Weltwunder“ es eigentlich auf dieser Welt gibt 😂). Der Hype um Machu Picchu ist überall zu spüren und gerade das macht mich skeptisch. Ist es wirklich so schön, wie von allen gesagt wird? Ist es der Aufwand und die Kosten wirklich wert? Ist es nicht bereits viel zu sehr überlaufen, um es überhaupt noch genießen zu können?

    Seit dem Start meiner Busreise vor etwa zwei Wochen habe ich erstmals begonnen, mich überhaupt intensiver mit dem Thema Machu Picchu auseinanderzusetzen und Optionen für eine Besichtigung der Ruinen zu recherchieren. Cusco gilt ja als Ausgangspunkt für eine Tour zum Machu Picchu und ist ohnehin bereits als Reiseziel bei mir fest eingeplant. Unwissend und vielleicht auch etwas naiv bin ich davon ausgegangen, dass ich von Cusco aus ohne besonderen Aufwand und Vorplanung kostengünstig mit einem bequemen Tagesausflug Machu Picchu jederzeit besuchen können werde. Dann hörte ich aber erste Stimmen, dass man die Tickets Wochen, wenn nicht gar Monate im Voraus buchen müsste. Unbeeindruckt ging ich davon aus, dass dies nur für die Hauptsaison (ab etwa Ende Mai) gelte, wir befinden uns aber ja schliesslich noch in der Nebensaison. Als ich dann einen ersten Blick auf die Tour-Angebote warf, war ich in zweierlei Hinsicht überrascht. Erstens, ganz schön teuer der Spaß. Eine Tour per Zug geht bei etwa 250 Dollar (!!!) los. Zweitens, selbst mit dem nötigen Kleingeld, waren für den Zeitraum meines Cusco Aufenthaltes tatsächlich keine Tickets mehr verfügbar. Werde ich Südamerika also ohne Machu Picchu verlassen müssen?

    Zum Glück machte mich Christoph auf eine weitere Option aufmerksam: angeblich kann man mit einem Kleinbus von Cusco zu einem nahegelegenen Wasserkraftwerk (Hydroelectrica) gebracht werden, von da etwa drei Stunden entlang der Zuggleise in den kleinen Ort „Agua Caliente“ laufen (der sich am Fuß des Machu Picchu befindet) und dann am nächsten Morgen zusammen mit anderen Touristen zum Machu Picchu hochlaufen bzw. fahren. Klingt ein wenig umständlich, aber zumindest gibt es hier tatsächlich noch einige Verfügbarkeiten. Das Bottleneck eines Machu Picchu Besuchs scheint nämlich weniger die begrenzte Anzahl an Eintrittskarten zu sein (6000 pro Tag) als vielmehr die limitierte Anzahl an Zugfahrkarten. Nach etwas weiterer Recherche finde ich in Reiseforen allerdings viele negative Erfahrungsberichte für solche Bustouren: unzuverlässiger Bus-Transfer, unverantwortliche Busfahrer, unverschämte Agenturen. Ich bin skeptisch und schreibe direkt mal zwei Agenturen an, die in den Foren zumindest einigermaßen gutes Feedback erhalten haben. Ich warte noch heute auf eine Antwort. Meine wiederholten Versuche der Kontaktaufnahme scheitern. Ich muss erkennen, dass Kundenservice für Touren zu Machu Picchu wohl nicht existiert. Die Agenturen müssen nicht großartig für Touren werben, denn die Nachfrage ist ausreichend hoch. Jeder will schließlich zum Machu Picchu. Wer nach Cusco kommt, wird mit praktischer Gewissheit eine Tour buchen müssen. Ich gebe schließlich auf, meine Tour im Vorfeld zu organisieren, und beschließe bei meiner Ankunft in Cusco die Agenturen direkt vor Ort aufzusuchen. Ein Besuch des Machu Picchu steht bis dato für mich also noch in den Sternen.

    „Here you make a short stop with the bus to refill your water and to visit the toilets. Afterwards it is about 5-6 hours drive to Hydroelectrica.“ erzählt mir die junge Angestellte in der Reiseagentur in Cusco. Auf meine Nachfrage, ob es danach keinen Toilettenhalt mehr gäbe, schenkt mir die Dame nur ein kleines Lächeln. Eine Antwort bekomme ich nicht und rechne mal lieber mit dem Schlimmsten. Für 125 Dollar halte ich schließlich meine Tickets für eine zweitägige Tour zum Machu Picchu in den Händen inklusive der Busfahrt, eines Mittagsessens, der Eintrittskarte zu Machu Picchu (alleine schon mehr als 50 Dollar), einer zweistündigen Führung mit einem englischsprachigen Guide und einer einfachen Übernachtung in Agua Caliente. Mit dem Preis bin ich zufrieden. Zwei Tage später soll es losgehen... In der Zwischenzeit habe ich einen ersten Erfahrungsbericht von Lisa, meiner amerikanischen Bekannten, erhalten, die gerade mit einer anderen Agentur auf einer ähnlichen Bustour zum Machu Picchu ist. Klingt wenig ermutigend: auf der Hinfahrt hatte sie nur einen halben Sitzplatz, ihr Fußmarsch nach Agua Caliente wurde von strömendem Regen begleitet und auf dem Rückweg wurde sie kurzzeitig aus dem Bus geworfen, um Platz für zwei andere Reisende zu machen. Das kann ja heiter werden...

    Dann beginnt mein Abenteuer zum Machu Picchu. Trotz halbstündigen Wartes auf meinen Bus am frühen Morgen, bin ich erstmal erleichtert. Ich sitze im Bus und habe einen eigenen Sitzplatz, sogar einen ganz bequemen. Und der Bus wirkt in gutem Zustand. Einziges Manko: ich bin nur von spanischsprechenden Reisenden umgeben und bekomme die Durchsagen des Busfahrers nur rudimentär mit. Aber ich verstehe auch ohne viele Worte, wann wir ein Pinkelpäuschen machen und aussteigen dürfen. Ich teile mir anfangs noch meinen Wasserkonsum gut ein, schließlich weiß ich nicht, wie viele Pinkelpausen wir tatsächlich einlegen und mit voller Blase stundenlang über eine Holperstrecke zu rütteln erzeugt bei mir wenig komfortable Gedanken. Meine Bedenken stellen sich allerdings als unberechtigt heraus. Wir machen ausreichend Pausen und ich kann ohne Bedenken literweise Wasser in meinen Rachen schütten. Die Busfahrt ist lang und kurvig, abenteuerlich, aber teilweise auch spektakulär. Wir schlängeln uns zunächst über einen 4000 m hohen Pass, um anschließend wieder 2500 m in einem dichten Nebelfeld ins Tal abzusteigen. Dann endet die gut befestigte Straße und wir bewegen uns die letzten 1,5 Stunden auf einer schmalen staubigen unüberschaubaren und kurvigen Geröllstrasse an einem einige hundert Meter steilen Abgrund entlang. Einige Mitreisende ziehen bei dem Anblick bewusst den Vorhang vors Fenster, um den Anblick dieser dramatischen Fahrt nicht ertragen zu müssen. Auch ich mache drei Kreuze als wir Hydroelectrica schließlich wohlbehalten erreichen. Ein echtes Hoch auf unseren Busfahrer, mit dem ich mehr als zufrieden bin. Während andere Busse immer wieder äußerst gefährliche Überholmanöver an den unmöglichsten Stellen starten, bleibt unser Fahrer ruhig und gelassen. Ich fühle mich einigermaßen gut aufgehoben. Dem Busfahrer gilt mein vollster Respekt: er scheint jeden Tag diese Strecke hin- und zurückzufahren (also knapp 12 Stunden Fahrt pro Tag mit einer halbstündigen Pause zwischen Hin- und Rückfahrt), die Fahrt ist teilweise echt warm im Bus, die Sonne blendet, die Sicht ist manchmal auf Grund von Staub oder Nebel schwierig, die Straße mit Schlaglöchern übersäht und hinter jeder Kurve lauert die Gefahr eines entgegenkommenden Fahrzeugs. Das ist kein Zuckerschlecken!!!

    Gegen 14 Uhr erreichen wir Hydroelektrika und nach einem kurzen eher mittelmäßigen Mittagessen starte ich meinen Fußmarsch entlang der Gleise nach Agua Caliente. Der Weg ist flach, teilweise sogar mit schönen Ausblicken auf die umliegenden hohe Berge (ich laufe praktisch einen Bogen um den Machu Picchu herum) und nur gelegentlich bin ich gezwungen dem entgegenkommenden Zug auszuweichen. Ich bin gut zu Fuß und erreiche bereits nach zwei Stunden Agua Caliente, der nur so von Touristen wimmelt. Hier werde ich nicht alt und gehe nach einem kurzem Abendessen früh zu Bett. Um 5 Uhr morgens wartet nämlich bereits der Aufstieg zum Machu Picchu auf mich. Natürlich hätte ich auch bequem den Bus zum Gipfel nehmen können, aber ich möchte mir das Erlebnis verdienen. Wie so oft auf dieser Reise habe ich gemerkt, dass es ein besonderes Gefühl ist, für einen gewissen Aufwand belohnt zu werden. Außerdem sehe ich nicht ein, mich in eine lange Ticketschlange zu stellen und dann auch noch 24 Dollar für die kurze Busfahrt zu zahlen. Es ist noch stockdunkel draußen, als ich mit Stirnlampe gerüstet die ersten Stufen zum Machu Picchu besteige. 1800 steile Stufen liegen insgesamt vor mir, ich schwitze ordentlich, muss gut schnaufen. Immer wieder überhole ich andere Fußgänger, die rasten müssen, um ihre Energiereserven zu schonen. Ich ziehe mein Ding durch, schaffe es ohne merkliche Pause und erreiche in einer Rekordzeit von ca. 45 Minuten den Gipfel. Außer Atem, mit nassem T-Shirt und ein wenig schmerzenden Knien. Ich bin nicht der Erste, vor dem Eingang zum Machu Picchu wartet bereits eine Schlange von ungeduldigen Besuchern, die sich heute Morgen bequem per Bus haben chauffieren lassen. Aber das ist mir egal. Ich habe das gute Gefühl, es mir verdient zu haben, hier am Gipfel zu stehen, und weiß, dass ich den Anblick, der mich in einer knappen Stunde erwarten wird, nun umso mehr zu schätzen weiß. Ich bin zufrieden und glücklich, ich bin am Machu Picchu!
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