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  • Day 14

    Allein

    May 4, 2019 in France ⋅ 9 °C

    Trip 5, Tag 14, Wandertag 11:
    Thauron - Les Billanges, Église de la Nativité de Saint-Jean-Baptiste, 30,7 km, Steigung 470 Meter, reine Gehzeit 5:42, Samstag, 4.5.2019

    Der heutige Plan ist zur gut dreißig Kilometer entfernten „Église de la Nativité de Saint-Jean-Baptiste“ in „Les Billanges“ zu marschieren, und von dort vom wartenden Taxi wieder zurück zur Abbaye gebracht zu werden.
    Morgen sollte es uns dann wieder zurück zur Église bringen, von wo aus wir die morgige Tour starten wollen. So können wir zwei Nächte in der Ebbaye genießen, ohne einen Wandertag zu verlieren.
    Zunächst aber galt es erst einmal diesen Tag gut zu überstehen, denn auch die über dreißig Kilometer heute waren ein echtes Brett.
    Marion sah das etwas anders, das zeichnete sich schon gestern Abend beim Dinner ab. Zum einen, weil ihr die fünfundsechzig Kilometer der letzten beiden Tage ordentlich zugesetzt hatten und zum anderen, weil dieser Ort einfach zu schön war um ihn nur an zwei Abenden, völlig erschöpft und viel zu kurz, kaum genießen zu können. Sie wollte sich die Außenanlagen und den Park ansehen, für Beides reichte die Zeit aber leider nicht.
    Die Erschöpfung traf grundsätzlich auch auf mich zu.
    Allerdings bin ich ein zutiefst bichromer Mensch, bei dem es meist nur zwei Zustände gibt, nämlich Null oder Eins, ganz oder gar nicht, weiß oder schwarz, das war (leider) schon immer so. Diese Charaktereigenschaft bringt einen zwar recht oft recht weit, verhindert aber andererseits auch den Blick auf die schönen Dinge des Lebens dazwischen, die Farbzonen oder Grauschattierungen, so auch heute.
    Einen ungeplanten Tag hier zu verbringen, bedeutete einen Abschnitt unserer Wanderung, nämlich die dreißig Kilometer heute auf unserem Weg nach Compostela, nicht gegangen zu sein. Mit diesem Keks im Kopf hätte unser Projekt für mich seinen Wert weitgehend verloren, alle bisherige Leistung wären so für mich unbedeutend geworden, der Keks hätte mich zutiefst demotiviert. Ja, ich bin komisch, ich weiß, aber jedem seine Macke.

    Nein, dies war insofern keine Option für mich, somit musste ich mich heute wohl allein vergnügen, kein Problem. Einzig der Gedanke heute schon wieder dreißig Kilometer auf den Beinen zu sein und morgen noch einmal über dreißig, zügelte meine Motivation etwas. Keine Ahnung wie ich die einhundertdreißig Kilometer vom letzten freien Tag bis zum Nächsten in Limoges, mit ordentlich Höhe dazwischen, in nur vier Wandertagen überstehen sollte. Die Planung war mangels Übernachtungsgelegenheiten leider nicht anders zu machen.
    Seit Beginn dieser Etappe in Vézelay, verschaffte sich Marion immer wieder Luft um ihren Unmut über meine „schlechte Planung“ mit den vielen Kilometern in diesen vier Tage auszudrücken, ich konnte jedoch nichts dafür. Frankreich zeigt eben in den ländlichen Gebieten fast schon kanadische Verhältnisse, viel Landschaft, kaum Menschen, noch weniger Übernachtungsmöglichkeiten.

    Die Nacht im herrschaftlichen Bett war fantastisch, trotz- oder gerade wegen der Erschöpfung fühlte es sich an, als ob mich das Bett in sich hinein saugen würde, wir verschmolzen (Das Bett und ich).

    Das Frühstück war zu unserer Freude nicht Französisch, sondern üppig amerikanisch, ganz nach meinem Geschmack. Mit einem vollen Bauch, gefüllt mit reichlich Baken und Spiegeleiern, sowie bewaffnet mit einem sorgfältig belegten Baguette im Rucksack, machte ich mich, trotz Resinat und Ibu noch arg vom Muskelkater gequält, auf den langen Weg,

    Bereits gestern, als wir kurz vor der Abbaye noch auf der Le Thaurion Brücke standen, stach mir in der Ferne ein stillgelegtes Eisenbahngleis in die Augen. Meine Recherchen ergaben, dass ich mir auf dieser Trasse eventuell mehrere Kilometer Wanderweg einsparen könnte, soweit die Idee.

    Nach zwei Kilometern beglückte ich die 254 Seelen in „Bosmoreau-Les-Mines“ (Ja, hier gab es sogar Einheimische zu sehen) mit meiner Gegenwart. Die einhundertfünfzigjährige Steinkohle-Bergbaugeschichte konnte man noch erahnen. Ein kleiner Museumsbahnhof mit den verrosteten Resten der ehemaligen Grubenbahn davor legten Zeugnis ab. Deshalb auch meine auserwählte, stillgelegte Schienentrasse.
    Hier wollte ich mein Schienenexperiment starten. Es gestaltete sich schwierig erst einmal dort hinzugelangen. Überall Gestrüpp durchsetzt mit Brombeeren das es zu durchdringen galt. Gut zerkratzt und leicht verschwitzt stand ich endlich auf dem alten Gleisbett, um von nun an Schwelle für Schwelle abzuschreiten, etwas nervig, weil deren Distanz so gar nicht meiner Schrittlänge entsprach. Ich assoziierte mein Tun mit dem einsamen Leben eines amerikanischen HoBos.

    Die Böschung rechts und links der Trasse wurde immer höher und das darauf wachsende Gestrüpp immer üppiger. Es beugte sich zunehmend über das Gleisbett, so als ob es mich anspringen wollte. Am Horizont zeichnete sich bereits ab, dass sich das Monster die Trasse ganz einverleiben würde.
    So kam es auch. Nach nur zweihundert Metern war Schluss, die Trasse wurde vom Monster einfach verschluckt, ein Durchkommen unmöglich. So viel Energieverschwendung bereits am Anfang meiner heutigen Wanderung, ätzend. Es blieb mir nichts anderes übrig als wieder zurückzugehen und den Kampf mit Brombeeren und Konsorten, hinaus zur Straße, wieder aufzunehmen.

    Ziemlich ramponiert und von oben bis unten zerkratzt, stand ich wieder auf meiner geplanten Route, deutlich geläutert von so viel Schnapsidee.
    Irgendwann passierte ich „Murat“ mit seinen zweihundertachtzig Franzosen.
    Das Wetter wurde spannender und schwankte latent zwischen Sonne und Regen. Die Folge war gefühlt jede halbe Stunde die Regenklamotten umständlich an- und auszuziehen. Die Regenjacke war weniger das Problem, die Regenhose war da schon umständlicher.
    Dennoch, ich war allein und konnte mein Wandertempo weitgehend selbst bestimmen. Getrieben vom Gedanken heute noch möglichst viel von der Abbaye mitzubekommen, schwebte ich mit sechs Kilometern pro Stunde über die kaum befahrene Landstraße. Für die schöne Landschaft hatte ich mittlerweile keinen Blick mehr, man verblödet im Paradies wenn man es zu lange genossen hat, ich wollte nicht weiter verblöden und so schnell wie möglich heim, zu Frau und Abbaye.

    Mit dem achtzehnten Kilometer wetzte ich in meinen Regenklamotten durch „La Forêt“. Von seiner Handvoll Einwohner begegnete mir keiner.

    Nach weiteren zehn Kilometer und drei weiteren mal umziehen stand ich zum dritten Mal am heutigen Tag auf einer Brücker über der „Le Taurion“. Dem Fluss machte es anscheinend Spaß sich in riesigen Bögen durchs Land zu schlängeln.

    Bis zur „Église de la Nativité de Saint-Jean-Baptiste“ in Les Billanges waren es jetzt „nur“ noch gute zweieinhalb Kilometer. Der vom Hotel arrangierte Rücktransport, ein Taxi mit einem marokkanischen Fahrer, wartete bereits. Für das mittelalterliche- und sicherlich nach Schimmel müffelnde Kirchlein hatte ich keinen Nerv mehr, es gab in Frankreich einfach zu viele davon.

    Das kommunikative Wesen des Fahrers und mein Sendungsbedürfnis ließ uns schnell Freunde werden, die Fahrt zurück verging dank angeregter Unterhaltung im Fluge.

    Endlich wieder in der Ebbaye.

    Marion empfing ihren leicht herunter gerissenen- und ziemlich ramponierten Mann sehr entspannt. Sie berichtete mir von Ihren Entdeckungen im Ebbaye-Park insbesondere vom imposanten Pool, der leider zu dieser Jahreszeit noch nicht in Betrieb war und ich von meinen heutigen Abenteuern, insbesondere vom Monster.
    Leider ging schon wieder die Sonne unter, so dass ich heute wohl wieder nichts vom umgebenden Park sehen würde, egal, ich wäre eh nicht mehr dazu in der Lage gewesen.

    Auch das heutige Tageshighlight war das Dinner am Kamin mit den leckeren fünf Gängen und den illustren Gästen die einmal mehr Mitleid mit mir hatten, musste ich doch heute schon wieder soweit wandern … Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Fernwandern auch ein Vergnügen sein kann.

    Mich freute es besonders, dass Marion mental wieder hergestellt- und für morgen wieder fit war.

    Ihre Entscheidung heute auszusetzen war die Richtige.
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