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  • Day 6

    GreatestWallOfAll

    August 21, 2019 in China ⋅ ☀️ 30 °C

    Ringeling! 6 U-huhr! Aufsteh-hen! Fertig machen und auf geht‘s zum McDonalds! Nein, nicht zum Frühstücken, never! Der liegt nur um die Ecke vom Hostel und vor dem holt uns der Tour-Bus ab, ein großer Reisebus mit bequemen Sitzen, yes.
    Unser Dim Sum Frühstück haben wir beim Resto geholt, wo wir schon öfter gefrühstückt haben.

    James Bond, Jackys Bruder, gibt sich nur mit einem kurzen Hello die Ehre und platziert uns nach einer kurzen Zubringerfahrt in einem anderen Reisebus. Nach ein paar Abholstopps ist er schließlich voll, nur acht Westler, der Rest Chinesen. Robert nennt sich unser Guide, wir nennen ihn Mampfred, weil er wie einer aussieht.
    Er ist entzückend. Wenn er Chinesisch spricht klingt er sehr hart und sachlich - so klingt Chinesisch generell in unseren Ohren, auch schnell mal aggressiv und motzig - wenn er dann Englisch spricht, eher ein Chenglish, dann fließen seine Worte weich und gefühlvoll aus seinem Mund. Vor allem, wenn er von seinem wunderbaren und geliebten Peking schwärmt, dann wirkt er wie ein Poet, der eine Ode vorträgt mit dem Titel ‚Melanscholie‘. Hinreissend, fehlt nur noch Pippi in den Augen. Er ist Pekinger und war mehrere Jahre Lehrer, bevor er Guide wurde. So ist auch sein Vortrag, ein Lehrer der seinen Lehrstoff liebt.
    Unser Abschnitt der Great Chinese Wall heisst Mutiyanu. Vom Parkplatz aus, wo wir praktischer Weise vor den WCs heraus gelassen werden, können wir sie einige hundert Meter weiter oben auf den umgebenden Hügelbergen schon erspähen. Sie schlängelt sich von Gipfel zu Gipfel über Berggrate in wilden Biegungen und Windungen, mal ganz geschmeidig, mal halsbrecherisch, die echte und livehaftige, tschinesische Mauer.
    Mampfred gibt uns eine kurze Einweisung, welche Wege es nach Oben gibt: Eine Stunde Laufen oder mit der Gondelbahn oder mit der Seilbahn fahren. Die Bahnen enden an jeweils unterschiedlichen Wachtürmen. In diesem begehbaren Mauerabschnitt gibt es 20.
    Wir entscheiden uns für die Seilbahn, vor allem aus dem Grund, weil es vom Wachturm Nr 6 nach Unten eine Sommerrodelbahn gibt. Klare Entscheidung.

    Die Seilbahn, wie wir sie vom Skifahren kennen, ist zwar schon etwas in die Jahre gekommen, vermittelt aber nicht, dass sie nicht sicher ist.
    Oben angekommen noch ein paar Stufen und wir stehen auf der Mauer aller Mauern, genau auf dem Ding, das wir schon seit jeher mit China verbinden, ein unfassbares Gefühl! Reiseglück.
    Zur Orientierung: Die Wachtürme, die in gewissen Abständen von einigen hundert Metern auf der Mauer lauern, sind durchnummeriert, in unserem Abschnitt von 1 bis 23, wir steigen bei Turm Nr 6 in die Erkundung der Mauer ein.

    Wir wollen erst von Wachturm Nr 6 zu Wachturm Nr 1 wandern. Die Steinstufen haben sehr eigensinnige, wechselnde Höhen, je nach Steigung. Zeitweise geht es richtig richtig steil nach oben, dann wieder sanft, dann knackig runter, fast schon schwindelerregend, um gleich wieder steil aufzusteigen. Die Baulinie folgt den natürlichen Steigungen der Landschaft, hier wurden die Berge für den Bau noch nicht vergewaltigt. Selbst die Zinnen stehen auf Teilstücken im rechten Winkel zum Berg, für uns also schief und nicht lotrecht.
    Die Begehung der Mauer von Wachturm zu Wachturm, das Auf und Ab ist wirklich anstrengend, hätte ich nicht gedacht. Noch anstrengender machen es die wolkenlosen 32 Grad Heute.
    Von unten gesehen wirkt die Mauer als Bollwerk nicht sehr effektiv, aber steht man erstmal darauf und blickt von ihr hinunter, ist sie wirklich hoch und hat sicher ihren ursprünglichen Zweck erfüllt. Ich würde gerne mal wissen, wievielen Angriffen sie Stand hielt, oder auch nicht.

    Wir erreichen nach einem ersten runter und wieder rauf Wachturm Nr 5, ein Schwergewicht unter den Wachtürmen. Er besteht nämlich aus gleich drei mehrstöckigen Häusern, bis zu 200 Soldaten haben hier gewacht und gehaust, das war dann trotz Größe schon ziemlich eng. Wir sind jetzt schon durchgeschwitzt. Was aber genial ist und die Rettung, ist der kühlende Luftzug zwischen den gegenüber liegenden Fenstern der dicken Gemäuer der Wachtürme. Was für eine Wohltat!

    Ein Ideechen abgekühlt wagen wir eine weitere Etappe. Und wieder sind es viele Chinesen, die hier anzutreffen sind, kaum Westtouristen. Allerdings sind es vergleichsweise wenig Menschen, die diesen Mauerabschnitt besuchen. Und davon sind die meisten mit der Gondel gefahren und somit in weiter, sicherer Entfernung, bei Wachturm Nr 17.

    Weiter geht‘s, niedrige Stufen, hohe Stufen, steile Stufen, Wachturm. Selfiewahnsinn, schmatzende Familien in groben Fensterbögen und auf Treppen, chinesisches Gewusel, Gruppenfotos, Treppenblockaden, erschöpftes Schnaufen, Hecheln, Staus - es ist einfach anstrengend, aber wunderschön und faszinierend.
    Bemerkenswert sind die vielen dicken, langen Tausendfüßler, die überall herum kriechen und nicht selten geplättet von diesen Touristenmassen sind.
    So geht das Etappe für Etappe, Turm für Turm, Tausendfüßler für Tausendfüßler. Bei Turm Nr 1 ist dann Schluss, zugemauert, die Mauer, die dahinter kommt, verwittert und zerfallen. So muss man sich im Klaren sein, dass man auf einem Rekonstrukt wandelt, einem sehr charmanten.

    Der Fernblick ist großartig, die unmittelbare Umgebung dicht gebüscht und waldig, in der Ferne felsige Hügel und Berge. Mit zusammengekniffenen Augen kann man den Verlauf der Mauer mit ihrer sehr eigenwilligen Route noch weit verfolgen, unglaubliche 7000 Kilometer war die mal lang.
    Wir gehen zurück zu unserem Ausgangsturm. Bei den steilen Treppen nach unten gibt es häufig Staus, der Blick in die Tiefe des Abstiegs ist durchaus psychologisch, aber halb so schlimm, wenn man mal auf den Treppen steht.
    Ich wundere mich über so manches Seniorenpärchen oder Schreibtischmännchen, das diesen Parcours tapfer bewältigt. Zum Brüllen sind manchmal die Outfits der Reisenden. Uns begegnen überzeugte Funktionsklamottenträger, von Kopf bis Fuß in Vollplastik, verwegene Hardcoreabenteurer, legere Streetwearer, süßliche Sommerkleidchen mit Duckface, große, dicke Mädchen in Puppenkleidung und ihre Wabbelbrüder in straff sitzenden Marvelhelden Plastik T-Shirts, so einige rote Selfiekleider mit großen Sonnenbrillen, Rot macht sich immer gut vor Grau, akkurat bekleidete Herren, mir-ist-wurscht-was-ich-trage-Puristen, der Klassiker in kurzen Hosen mit Socken in Sandalen, so einiges Wackelschuhwerk von scheinbar Lebensmüden und die obligatorischen Staubmasken. Es gibt da jetzt ganz schicke Modelle aus schwarzem Neopren, die mit Schlaufen hinter den Ohren über die Mundpartie gespannt werden, unübersehbar an der Ohrenstellung. So manches Teleobjektiv vor stolzer Brust macht mir Angst, es wird auf alles entfesselt geschossen, was bei Drei nicht von der Mauer ist. Ein buntes Völkchen.

    Wir wollen noch bis zu einem hübschen Ausleger der Mauer jenseits der Nr 6 gehen, unser Zeitlimit lässt uns aber nur noch bis zur Neun, dann müssen wir umdrehen. Die Entfernungen der Turm Etappen sind durchaus nicht zu unterschätzen. Wir sind auch ordentlich ausgepowert nach guten drei Stunden Stepper in der Sauna.

    Für den Weg runter ins Tal, die Belohnung, wir reihen uns in die Schlange der Wartenden bei der Sommerrodelbahn. Wir fahren Einzelbobs. In einer langgezogenen Kurve muss man unter strengem Blick der Aufsichtsposten seine Fahrtauglichkeit nachweisen, Bremse ziehen, Bremse wieder loslassen. Ein wohlwollendes Nicken und ab dafür.
    Die Bahn ist klasse, made in Germany, die Beschleunigung großartig, rein theoretisch. Denn entweder reisst man seinen chinesischen Vordermann mit den quietschenden Bremsgeräuschen aus dem Schlaf oder das Fahrbahnaufsichtspersonal alle paar hundert Meter mit Pfeife postiert sind, droht mit Erschießung bei zu schnellem Fahren, also sie pfeifen und zetern zumindest. Heimliche Geschwindigkeitsräuschche gibt es aber dann schon auch, wenn nämlich der eine oder andere Streckenposten wegen Krankheit oder Parteitag ausgefallen ist und man nicht befuchtelt und bezetert wird. A bisserl was geht halt immer und Spaß machts allemal.

    Zur Belohnung erwartet das Racingteam ein gedeckter Tisch in einem Vertragsrestaurant zwei Parkplätze tiefer. Vorher können wir riesigen weissen Plattpfirsichen nicht widerstehen, die ein kleines Vermögen kosten, aber auch ausgesprochen lecker sind. Im Restaurant setzen wir uns an ein Panoramafenster mir Ausblick auf den Busparkplatz, ein herrliches Plätzchen mit herrlichem Unterhaltungsprogramm. Die Verteilung der Reisegruppen auf ihre Busse und dazwischen aufgeregt Orientierungslose, die ihren Bus nicht identifizieren können, ist ein Spektakel. Das Ding ist, die Busse sehen alle gleich aus, nur in der Dekoration der Frontscheiben und einer Nummer unterscheiden sie sich. Wir waren so schlau und haben beides vor dem Aufbruch fotografiert.

    Serviert wird uns gegen halbdrei Schwein süßsauer, Fisch in mildsüßer Chillisoße und Gemüse und Kartoffeln mit Paprika, auch süßsauer. Das bekommen die Chinarestaurants bei uns Zuhause bestimmt auch so hin. Unser Lunch ist inkludiert, die Getränke nicht. Schmeckt trotzdem gut.
    Mampfred erscheint kurz vor halbvier und bittet uns zurück zum Bus, der uns in zwei Stunden wieder vor dem Fastfood in unserem Kiez absetzt. Es gab vorher noch einen kurzen Stopp beim Olympiagelände im schönsten Fotolicht, wir hätten aussteigen können, aber irgendwann ist Schluss, Batterien leer. Immerhin konnten wir so im Vorbeifahren einen Blick auf das Vogelnest und den olympischen Feuerturm erhaschen. Ein andermal.

    Im Hostel machen wir uns frisch und relaxen eine Weile, wie gut das das tut! Reisefertig packen müssen wir auch noch, denn morgen geht es sehr früh los zum Bahnhof. Gegen Abend stellen unsere leise knurrenden Mägen die Essensfrage.
    Die Antwort finden wir einmal mehr im Trommelturm Viertel. Es ist einfach schön da, die vielen Lichter, die kleinen Shops, die vielen Restaurants, der Fluss, das Streetlife. Die meisten Restaurants präsentieren die Highlights ihres Angebots in großen Leuchtkästen über dem Eingang.
    Wir landen in einem Resto mit mongolischer Küche. Die Kinder wollen eigentlich Ente, die ist aber aus. So landet auf unserem Tisch ein mongolischer Hotpot mit Lammfleisch in dünnsten Streifen und typisch asiatischen Kräutern, dazu Lamm mit Bambussprossen und nicht ganz mongolischer Algensalat. Zum Niederknien!
    Beim Essen haben wir eine Familien Diskussion, bei der wir einen besseren Umgang, Aufmerksamkeit, Verantwortlichkeit füreinander und teamorientierteres Denken und Handeln beschließen, das war in den letzten Tagen etwas auf der Strecke geblieben. Es gab immer wieder unnötige, pubertäre Konflikte darüber. Es kann sich ja jeder gerne abgrenzen, aber auf so einer Reise bitte Ego nur in Maßen, vier Schultern tragen leichter und acht Augen sehen mehr.
    Ich nehm‘s gleich vorweg: Ich habe ja eh die besten Kinder der Welt, unsere Abmachung wird ernst genommen und bringt uns promt allen ein viel entspannteres Miteinander und Reisen und jedem auch kleine Erfolgserlebnisse, wenn es gilt Informationen zu beschaffen oder Dinge zu besorgen oder Wege zu finden und ich spüre deutliche Entlastung bei der Reiseleitung.

    Ordentlich gesättigt und moralisch erbaut flanieren wir durch die kleine Geschäftsstraße, wo wunderhübsch gebundene Tagebücher geshoppt werden und noch ein weiterer Handventilator. Ein Must im chinesischen Sommer, nahezu jeder hat so ein Ding. Rosa, Schwarz oder Mint mit Hasen- oder Mickymaus- oder Katzenöhrchen, manchmal mit gleich drei Ventilatoren, mit USB Akku und LED Licht, tatsächlich ein wenig kühlend, großartig!

    Oben am U Bahneingang sitzen zwei juvenile Securityleute und rauchen und ratschen und lachen uns an - Chinesen, die anlachen - sehr mysterös. Wir ziehen unsere Tickets. Am leeren Bahnsteig kommt uns dann die engagierte Bahnsteigsaufsichtsbeauftragte und wedelt verneinend mit der Hand und schüttelt heftig den Kopf dazu. Eindeutige Scheuchgestik. What? Ein Blick auf die Uhr: 23. Die letzte U Bahn ist weg, um 23 ist Betriebsschluss. Raus hier jetzt. Kusch. Hinter uns Gitter runter. Die rauchende juvenile Security hat erneut was zu lachen und offensichtlich Feierabend.

    Wir stehen ratlos an der Straße. Räder Leihen ist wie so vieles, ein aufwändiger Prozess, den man schon im Vorfeld initiiert und erledigt haben sollte, habe ich nicht. Und hunderte Leihräder stehen in Reih und Glied herum, von Pekingern neben Elektrogefährten gerne genutzt, von uns heute leider nicht.
    Also Taxi. Herumstehende Touristen werden eh laufend von Taxifahren angesprochen. Aber, initiativ ein freies, fahrendes Taxi von der Straße zu fischen ist nahezu aussichtslos. Sobald ein Taxler uns vier winkende Westler wahrnimmt, geht das Licht vom Taxischild aus und es wird im Stealthmodus an uns vorbei gefahren.
    Dieses eine Mal reagieren wir also auf die direkte Ansprache von einem vorbeibremsenden Taxi. Der Preis ist lächerlich hoch, da laufen wir lieber. Ein anderer kommt auf uns zu, offensichtlich ohne offizielles Taxi, eher so Uber schätze ich, der Preis liegt weit unter dem vorigen, passt, Erleichterung, wir steigen ein.
    Ganz schön spät ist es für früh Aufstehen geworden, schnell schlafen jetzt.
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