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  • Day 10

    Ein Stock ist besser als kein Stock!

    June 9, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Und wieder habe ich nicht so gut geschlafen. Aber auch zu Hause ist Schlafen nicht eine meiner großen Stärken. Als ich morgens wach werde, versuche ich, mich noch einmal umzudrehen. Aber einschlafen tue ich nicht mehr. Ich habe weder Lust liegen zu bleiben, noch habe ich Lust aufzustehen. Aber es nützt nichts. Ich mache mir einen Kaffee und schreibe mein Tagebuch von gestern zu Ende. Gestern habe ich nur noch Stichpunkte gemacht, weil ich einfach zu fertig war. Die ursprüngliche Idee, hier einen Ruhetag zu verbringen, verwerfe ich. Gleichzeitig nehme ich mir vor, heute nicht zu weit zu laufen. Wenn ich heute 15 km schaffe ist es super aber ich möchte nicht erst mein Zelt wieder um 21 Uhr aufbauen und so fertig sein wie gestern Abend.

    Als ich meinen Rucksack fertig gepackt habe, ist es schon kurz nach elf. Ich gehe hoch zu den drei Hütten, und erkenne zum ersten Mal, was eigentlich mit Ruinen gemeint war. Tatsächlich zeugen wenige Überreste von einer alten Hütte. Oben bei den drei Hütten war der Internetempfang am besten. Hier gelingt es mir auch, den Footprint von gestern hochzuladen . Dann rufe ich beim Campingplatz in Dalen an. Auf der Seite habe ich gelesen, dass sie auch deutsch sprechen. Ich habe zwar meine Scheu, Englisch zu sprechen weitgehend abgelegt, aber telefonieren tue ich doch lieber auf Deutsch. Der Mann der abnimmt, spricht nur englisch. Ich bin aber selbst überrascht, wie gut es mir gelingt, mein Problem zu schildern und mich mit ihm auszutauschen. Es ist doch gar nicht so viele Jahre her, da hätte mich allein die Nervosität beim Telefonat auf Englisch voll aus dem Konzept gebracht, dass ich wahrscheinlich einfach aufgelegt hätte. Wie bereits recherchiert gibt es in Dalen tatsächlich kein Sportgeschäft. Meine Idee, etwas zu bestellen und nach Dalen liefern zu lassen, scheint nicht so gut zu sein. Auf meine Frage nach Lieferzeiten sagt mir der Mann, dass man das in Norwegen nie so genau sagen kann. Manchmal dauert es drei Tage, manchmal dauert es drei Wochen. Aber er sagt, dass im nächsten Ort ein Sportgeschäft sein soll, circa 20 km entfernt. Da ich eh plane, einen Offday in Dahlen zu machen und zwei Nächte auf dem Campingplatz zu verbringen, wird das also dann meine Tagesaufgabe. Einmal nach Åmot trampen und einmal zurück. Aber mit der Lösung kann ich leben, so kann ich mir die Trekkingstöcke auch vor Ort anschauen. Erste Recherchen haben ergeben, dass die hier mindestens 50-60 € teurer sind als in Deutschland. Aber: es ist, wie es ist.

    Um kurz vor 11:30 Uhr gehe ich los. Wie auch die letzten Tage laufen sich die ersten Kilometer relativ leicht. Heute habe ich keinen Druck. Wenn ich 15 km schaffe, bin ich zufrieden. Wenn dann noch Luft ist, gerne auch 20. Wenn ich die 20 schaffe, ist es sogar sehr realistisch, dass ich übermorgen die Etappe nach Dalen in einem schaffe. Es wäre knapp über 30 km, aber der Großteil davon Straße. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie bin ich getrieben. Hier draußen möchte ich keinen Ruhetag machen. Ich freue mich einfach auf den Campingplatz, unter ein paar Leute zu kommen, einkaufen zu gehen und den ganzen Tag geile Sachen zu essen.

    Die zweiten 5 km sind ebenfalls wie gewohnt wieder etwas zäher. Aber heute gelingt es mir leichter, diszipliniert zu sein und bedächtig weiter zu gehen. An unzähligen Stellen, wo es bergauf oder bergab geht, durch Sumpf oder schwieriges Gelände, denke ich mir, ohne den einen Trekkingstock wäre ich echt aufgeschmissen. Anstatt mich über den Verlust des zweiten Stocks zu ärgern, gelingt es mir hier leicht, positiv zu denken. Ein Stock ist viel besser als kein Stock.

    Ziemlich genau bei 10 km liegt die Nutevasshytta. Hier plane ich meine Pause. Als ich ankomme, sehe ich aus der Ferne, dass auch hier ein paar Wanderschuhe zum Trocknen in der Sonne stehen. Es ist also jemand da. Auf der einen Seite möchte ich gerne meine Ruhe haben, während ich Pause machen, auf der anderen Seite würde ich mich auch freuen, wenn ich hier wieder so einen netten Austausch hab wie vor zwei Tagen. Während ich vor der Hütte meinen Rucksack absetze und meine Schuhe ausziehe, um sie zum Trocknen in die Sonne zu stellen, geht die Tür auf. Ein blonder, recht dicker Mann schaut raus und beginnt, ohne mich anzusehen, irgendetwas auf Norwegisch zu sprechen. Ich unterbreche ihn: „Sorry? English?“Er switched auf brüchiges Englisch und erzählt mir, weiterhin ohne mich anzusehen, dass er nur den Tag über da sein wird und heute Abend wieder weg ist. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich hier eh nur eine Pause mache. Dann geht er wieder rein und die Tür fällt ins Schloss. Vielleicht tue ich ihm unrecht. Aber sympathisch war er nicht. Und ich muss mich wirklich fragen, wie der seinen riesigen Bauch hierher bekommen hat. Denn egal aus welcher Richtung man kommt, es sind einige Meter und Höhenmeter zu absolvieren.

    Ich lege mich draußen in der Sonne bauchwärts auf meine dünne Isomatte und lege mir meine Kappe zum Schutz vor der Sonne seitlich auf den Kopf. Die Sonne trocknet schnell den verschwitzten Rücken. Ich schlafe immer wieder ein und werde nur zwischendurch von etwas auflebendem Wind wach. So verbringe ich hier eine Dreiviertelstunde.

    Ich gehe weiter und merke, dass ich noch ganz schön in den Seilen hänge. Das Mittagsschläfchen hat zwar gut getan, aber der Kaffee danach hat gefehlt. So werde ich langsam wach, während ich mich einen kleinen Hang hocharbeite. Die ersten zweieinhalb Kilometer sind wieder richtig Arbeit. Dann komme ich an einen Sattel und mir öffnet sich ein Blick in ein wunderschönes, neues Tal. Ein malerischer See mit einer kleinen Hütte am Ufer. Die Norweger wissen einfach wie und wo man schön baut. Ich durchquerte zunehmend mehr Schneefelder. Das schöne Tal verlasse ich wieder über einen weiteren Anstieg. Am höchsten Punkt mache ich eine Pause und nehme mir Zeit für ein paar Drohnenaufnahmen. Hier habe ich auch zum erst mal wieder Empfang. Als ich den Flugzeugmodus ausmache, kommen gleich fünf WhatsApps herein. Tobi, ein anderer NPLer, hat sein Tagesziel heute schon erreicht. Er ist mir aktuell 40 km voraus. Er schreibt, dass mit zunehmender Höhe, auch der Schnee zunimmt und er überlegt, morgen auf die Straße auszuweichen. Auch was die Hardangervidda betrifft, ist er nicht optimistisch. Mein Plan ist es, meine nächsten geplanten Abschnitte, die ebenfalls durch schneereiches Gebiet gehen, mir an meinem of Day in Dalen genauer anzuschauen, und gegebenfalls, umzuplanen. Am Ende kann ich hier da lang aufen, wo ich will. Schade wäre es natürlich um die schönen Gegenden, die ich mir ausgesucht hatte. Auch die Straßenkilometer dürften sich deutlich erhöhen. Aber es macht keinen Sinn, eine Gefahr einzugehen, oder nach zwei Tagen wieder umdrehen zu müssen und so wertvolle Zeit zu verlieren.

    Ich mache das Handy wieder aus und gehe weiter. 6 km sind es noch bis zu dem Punkt, den ich mir ausgesucht habe. Während es in den letzten Tagen oft durch waldiges Gebiet ging, bewege ich mich zunehmend in höheren Lagen, wo es deutlich leichter ist, ein Zelt aufzustellen. So habe ich mir für die Nacht auch einen Punkt auf der Karte herausgesucht, wo ich optimistisch bin, mein Zelt aufbauen zu können. Die letzten Kilometer sind wieder sehr hart. Ich komme noch an einer Hütte vorbei, die scheinbar von zwei Anglern bewohnt ist. Ich lasse die Hütte links liegen und gehe weiter. Noch einmal fülle ich alle Wasserreserven auf. Die letzten Kilometer sind jedes Mal die härtesten. Nicht nur, weil ich mit meinen Kräften eh schon am Ende bin, sondern weil ich zusätzlich 3 kg Wasser dabei habe. Während des Anstiegs kommen mir zwei Jungs entgegen, auch mit Rucksack und Angelzeug bewaffnet. Wir unterhalten uns kurz auf Englisch. Dann gehe ich die letzten Meter hoch. Es ist anstrengend, aber heute bin ich sehr diszipliniert und auch mental stark. Es dauert ein wenig, bis ich eine Stelle für mein Zelt gefunden habe, die halbwegs eben ist. Noch bevor ich das Zelt aufbauen, gehe ich zu einem kleinen See 30 m weiter, um mir mit dem Waschlappen wenigstens Gesicht und Oberkörper zu waschen. Mehr ist heute nicht drin. Es ist kühl hier oben und der Wind weht spürbar. Ich baue das Zelt auf, verstaue alle meine Gegenstände und lege mich ins Zelt, um mein Abendessen fertig zu machen. Als ich mein Handy, das fast leer ist, an meiner Powerbank laden möchte, stelle ich fest, dass meine Powerbank nicht lädt. Ich habe noch 10 % Akku. Die Powerbank scheint voll zu sein. Aber auch googeln nach einer Problemlösung, bringt mich nicht weiter. Ich habe noch eine kleine Ersatzpowerbank, die aber ebenfalls gerade leer ist, weil ich damit zuletzt meine Drohne geladen habe. Mein letzter Wetterbericht hat zwei Wochen Sonnenschein vorhergesagt und so muss ich morgen schauen, dass ich die kleine Powerbank geladen bekomme. Dennoch ärgert es mich, dass die große Powerbank nicht funktioniert. Naja. Es ist, wie es ist. Ich esse zu Abend und versuche dann einzuschlafen. Selbst um 22:30 Uhr scheint die Sonne noch auf das Zelt. Dass es nie so richtig dunkel wird, macht das Schlafen nicht einfacher.
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