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  • Day 46

    Klinkenveien - Kjølihytta

    July 15, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 12 °C

    An das neue Zelt muss ich mich erstmal gewöhnen. Ich habe hier drinnen deutlich weniger Platz. Vor allem am Kopf stört es mich, wo ich die Zeltinnenwand direkt im Gesicht habe. Trotzdem gelingt es mir ziemlich gut einzuschlafen. Um 2:00 Uhr werde ich wach und brauche sicher etwas mehr als eine Stunde bis ich wieder einschlafe. Das nächste Mal werde ich um 6:45 Uhr wach. Gar nicht mal so schlecht. Ich mache mir einen Kaffee und zum Frühstück mische ich Haferbrei und Müsli. Die Mischung hatte sich beim letzten Mal als gar nicht so verkehrt erwiesen. Draußen scheint die Sonne. Es sind viele Wolken am Himmel, aber es sieht nicht nach schlechtem Wetter aus. Gut, dass ich heute nicht im Zelt packen muss. Das wäre eine weitere Herausforderung auf diesem engen Raum. Also bringe ich alles nach draußen, baue dann das Zelt ab und packe meinen Rucksack. Heute ziehe ich wieder die Laufschuhe an. Ich möchte meine Druckstelle am rechten Fuß noch etwas schonen. Um kurz vor 8:30 Uhr mache ich mich schon auf den Weg. Ich fühle mich lange nicht so fit wie gestern Morgen. Trotzdem genieße ich den kompakten, leichteren Rucksack. Obwohl sich immer wieder Wolken vor die Sonne schieben, habe ich heute seit langem mal wieder mein Solarpanel am Rucksack angebracht. Mit dem Telefonieren gestern hatte ich mein Handy bereits einmal komplett entleert.

    Der Weg führt weiterhin allmählich bergauf. Es dauert nicht lange und ich erreiche die Klinkenberg Gruve. Hier wurde seit 1668 immer wieder Kupfererz abgebaut. So steht es bei Wikipedia. Hier oben gibt es gar keine Infos. Ein paar alte Zäune, teilweise schon selbst in die Abgründe gestürzt, vor denen sie eigentlich schützen sollen, sind das einzige hier, was Hinweis auf irgendeine Besonderheit gibt. Und natürlich die auffällig braunen Gesteinshalden, die man schon aus der Ferne erkennt. Ich bin neugierig und schaue mir das Gebiet etwas genauer an. Schnell finde ich den ersten Eingang zu einer Mine. Er ist mit Wasser vollgelaufen. Das Gestein des Eingangs wirkt extrem brüchig. Ein wirklich interessanter Ort. Ich schaue mir noch weitere Höhlen an, die alle ziemlich einsturzgefährdet aussehen. In Deutschland wäre das ganze Gebiet sicher abgesperrt. Hier setzt man auf Eigenverantwortung. Mein Glück. Ich kann die einsturzgefährdeten Höhlen also betreten. ;-) Ich gehe aber nur die ersten Meter rein. So ganz wohl ist mir hier nicht.

    Dann gehe ich weiter. Als ich einem Felsrücken folge, weil ich hier am besten gehen kann, muss ich wohl übersehen haben, dass mein Pfad viel weiter rechts verlaufen wäre. So gehe ich aber noch eine Weile geradeaus und glaube, dass die Steine die ich weiter oben sehe, Wegweiser wären. Erst als ich keinen Pfad mehr finde, schaue ich auf meine App. Tatsächlich bin ich ein ganzes Stück neben meinem Weg. Das macht aber nichts, da in dieser vegetationslosen Gegend das Querfeldeingehen nicht besonders anspruchsvoll ist. Als ich um einen Felsen herum gehe, hinter dem es gut zwei Meter runtergeht, erschrecke ich mich ziemlich. Aber ich bin nicht der einzige, der sich erschreckt. Auch das Rentierpärchen, dass dort gemütlich gegrast hat, galoppiert erschrocken davon. Nach einigen Metern bleibt es aber stehen und schaut mich an. Beide pinkeln gleichzeitig. Vermutlich etwas Angstpippi. Ich selbst kann aber an mich halten. Was für schöne Tiere. Und diesmal mit richtig großen Geweihen. Ich mache ein paar Fotos und filme kurz. Als das Rentiermännchen dann aber mit dem Kopf schüttelt, gehe ich meinen Weg weiter. Bergbauhöhlen und Rentiere - ganz schön viel Action für so einen Vormittag.

    Nach 20 Minuten bin ich wieder auf meinem Weg. Ich bin nicht wirklich einen Umweg gelaufen, sondern parallel zu meinem Weg in die richtige Richtung gelaufen. Die Gegend hier ist wunderschön. Ich frage mich, warum fast jeder die Hardangervidda kennt, ich von diesem Gebiet aber noch nie gehört habe. Auch zum Wandern ist es angenehm, dass die Berge sanft an- und absteigen. So hat man das Gefühl, in den Bergen zu sein, hat aber so gut wie gar nicht mit steilen Anstiegen zu tun.

    Von nun an geht es stetig bergab. Allerdings wird der Weg immer uneindeutiger. Als Wegmarkierung dienen kleine Steinhaufen, teilweise mit einem roten „T“ markiert. Allerdings finde ich diese nicht immer auf Anhieb. Aber selbst wenn ich sie finde, gibt es keinen eindeutigen Weg. Es geht einfach querfeldein von Wegmarkierung zu Wegmarkierung. Noch bevor ich den See unten erreiche, werden die Wolken erst dunkler und dann beginnt es zu regnen.

    Aus dem nordwestlichen Ufer des Sees fließt ein Fluss. Laut Karte soll hier eine Brücke oder eine Möglichkeit sein, diesen queren zu können. Die beste Möglichkeit hinüber zu kommen ist an der Stelle, wo der See in den Fluss übergeht. Hier sind große Steine, die meisten davon gar nicht tief unter Wasser. Genau in der Mitte aber fließt das Wasser kräftig und schnell. Ich ziehe meine Wasserschuhe an und mache mich fertig zum furten. An der Stelle, wo das Wasser so schnell fließt, bin ich hoch konzentriert. Ich platziere meine Trekking Stöcke, um mich abstützen zu können und tauche den ersten Fuß in die tiefe Stelle. Das Wasser geht mir fast bis zu den Knien und zieht mir beinahe das Bein weg. Es gilt ja nur einen Meter zu überwinden, aber der hat es in sich. Als das erste Bein gut steht, stütze ich mich auf die Trekking Stöcke und mache das gleiche mit dem zweiten Bein. Das ist wieder so eine Stelle, an der ich keinen Fehler machen möchte. Das ist sicher nicht lebensgefährlich, aber ich könnte mich verletzen und mit Sack und Pack ins Wasser fallen möchte ich auch nicht. Mit dem vierten Schritt bin ich wieder auf einem festen Stein mit knöcheltiefem Wasser. Geschafft.

    Auf der anderen Seite ziehe ich die Wasserschuhe wieder aus. Bei der Gelegenheit ziehe ich nun auch die Regenhose wieder an. Fester Sprühregen von der Seite. Da habe ich gerade gar keinen Bock drauf. Ich folge dem Pfad und passiere zunehmend mehr sumpfige Stellen. Der Regen lässt etwas nach, dafür schwirren zahlreiche Mücken um mich herum und versuchen, im Gesicht, an den Ohren und auf den Händen zu landen. Das gerade hier ist richtig anstrengend. Außerdem merke ich meinen linken Fuß wieder zunehmend mehr. Als der Regen ganz aufhört, kommt die Sonne wieder heraus. Gesicht und Hände sprühe ich mit meinem Mückenspray ein und dann mache ich wenigstens eine kurze Pause. Drei Stunden bin ich unterwegs und ich habe gerade mal 10 km geschafft. Gut, ich hab auch etwas Sightseeing in der Kupfererzgrube gemacht. Aber im Moment fühle ich mich energielos und müde. Ich muss mich richtig aufraffen, um weiter zu gehen. Nach zahlreichen Matsch- und Sumpfabschnitten erreiche ich eine kleine Siedlung von Wochenendhütten. Von hier aus führt ein Schotterweg weiter runter ins Tal zur Straße.

    Hier setze ich mich an den Straßenrand und mache noch eine Pause. Seit heute Morgen geht mir das Zeltthema nicht so ganz aus dem Kopf. Der Tausch zu etwas leichteren war wichtig. Aber ich glaube, dass ich vorschnell etwas gekauft habe, dass doch einige Nachteile hat. Und ich ärgere mich, dass es das Zelt, was ich eigentlich haben wollte, nicht gab. Tatsächlich überlege ich, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gibt, an dieses Zelt zu kommen. Allerdings ist heute Samstag, dass ich die Zeltfirma nicht einfach anrufen kann. Ich nehme mir fest vor, diesen Gedanken noch nicht ganz loszulassen. Immerhin bin ich noch sehr lange unterwegs. Außerdem ist Nicole Meisterin im Wiederverkaufen bei eBay Kleinanzeigen. Sollte ich in Storlien etwas bekommen, oder von Storlien mit dem Zug wohin fahren, wo ich mein Wunschzelt bekomme, habe ich den großen Vorteil, dass ich auf schwedischer Seite bin. Von hier könnte ich mein aktuelles Zelt ohne Zoll nach Hause schicken.

    Ich gehe weiter und versuche, an etwas anderes zu denken. Ich weiß nicht, wie viele Stunden, wie viele Nächte ich damit verbracht habe, nach Zelten zu recherchieren. Jetzt geht dieses Thema schon wieder auf. Vielleicht aber auch zurecht. Nach wenigen hundert Metern verlasse ich die Straße links auf den Wanderweg zur Kjølihytta. Ich überlege, ob ich hier heute die Nacht verbringe. Allerdings würde ich diese schon nach 21 Kilometern erreichen. Dafür bin ich gestern aber deutlich mehr als notwendig gelaufen. Mit jedem Schritt, den ich den Berg weiter rauf gehe, wird die Aussicht schöner und mein linker Fuß beleidigter. Ich mache noch eine Pause, ziehe den linken Schuh aus und massiere etwas den Fuß. Das tut für den Moment gut, wird ihn aber auch nicht fit für weitere 10 Kilometer machen.

    Dann gehe ich weiter und entdecke die Hütte an einem See. Die Lage ist traumhaft. Ich hoffe, dass noch niemand da ist. Als ich an der Hütte ankomme, hängt das Schloss abgeschlossen vor der Tür. Zum ersten Mal hole ich meinen DNT-Schlüssel aus dem Rucksack und schließe auf. Ich habe bisher nur auf einem Video vom Wanderverband gesehen, welche Regeln es für die Nutzung einer Selbstbedienungshütte gibt. Die Hütte hat einen kleinen Vorraum, gleich links vom Eingang eine kleine Speisekammer und geradeaus geht es in den Hauptraum. Rechts geht es in den großen Raum mit Küchenzeile, großen Tischen, Bänken und Stühlen und auch zwei Betten. Dann gibt es noch zwei kleine Zimmer. Eins mit einem Doppelbett und eines mit zwei Doppelbetten. Ich sichere mir das Zweierzimmer. So ist die Chance groß, dass selbst wenn noch andere Leute kommen, ich heute Nacht meine Ruhe habe.

    Es ist irgendwie ein seltsames Gefühl. Es ist, als ob ich bei jemandem Fremden in der Wohnung bin und ich brauche meine Zeit, um hier anzukommen. Als erstes inspiziere ich die Speisekammer, um zu schauen, ob es hier etwas besseres gibt als das, was ich im Rucksack mit mir herum trage. Man kann sich hier nehmen was man will und bezahlt es wie die Übernachtung über eine App. Alles auf Vertrauensbasis. Auch sonst muss man die Hütte so verlassen, wie man sie vorgefunden hat. Durchputzen, Feuerholz nachfüllen, das in einem Extraschuppen gelagert ist und frisches Wasser vom See holen. Fließendes Wasser gibt es hier nicht. Dafür kann man einen Gasherd nutzen und sein Handy aufladen. Es gibt Strom, der über eine Zeitschaltuhr eingeschaltet wird, die man auf eine, zwei oder mehr Stunden aufziehen kann.

    Aus der Speisekammer nehme ich mir einen heißen Kakao, der mit heißem Wasser aufgegossen werden muss. Parallel dazu mache ich den Ofen an. Es ist schon ziemlich kühl in der Hütte. Als das Feuer brennt und mit ausreichend Holz für nächsten ein bis zwei Stunden versorgt ist, lege ich mich ins Bett. Hier gibt es Bettdecke und Kopfkissen. Normalerweise hat man einen dünnen Hüttenschlafsack, in dem man schläft und so die Berührung mit der Bettwäsche vermeidet. Ich lege beides auf das obere Bett und nutze meinen Schlafsack und mein aufblasbares Kopfkissen. So schlafe ich entspannt ein. Draußen ist es richtig windig und kühl. Für meine erste Hüttenübernachtung habe ich mir gute Bedingungen ausgesucht.

    Nach dem Mittagsschlaf ist immer noch niemand anderes da. Da wäre ich aber auch sicherlich von wach geworden. Mit Waschlappen und Handtuch gehe ich runter zum See. Der kalte Wind bläst und es kostet mich viel Überwindung. Dann wasche ich mich gründlich von oben bis unten ab. Zurück zur Hütte renne ich, da es wirklich kalt ist. Dann hole ich noch weiteres Feuerholz und bereite mir eines meiner Trekkinggerichte zu. Während der Wind um die Hütte pfeift und das Feuer im Ofen knistert, schreibe ich den heutigen Tagebucheintrag. Mittlerweile ist es 19:30 Uhr. Ich habe große Hoffnung, dass ich die Hütte heute für mich habe. Das einzige, was fehlt, um das hier noch perfekt zu machen, wären ein oder zwei Döschen kaltes Bier. Einen Grund zum Feiern hätte ich. Wenige Kilometer nach dem Start heute Morgen habe ich die tausender Marke geknackt. 1.015 Kilometer bin ich bis hierhin gelaufen.
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