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  • Day 94

    Hinter Dividalshytta - Dærtastua

    September 1, 2023 in Norway ⋅ 🌧 10 °C

    Die Nacht habe ich mal wieder richtig schlecht geschlafen. Lange lag ich wach. In den Morgenstunden war es ein einziges hin- und herdrehen. Obwohl es morgens besonders gemütlich im Zelt ist und ich keinen Zeitdruck habe, gelingt es mir einfach nicht, noch einmal einzuschlafen. Als ich aus meinem Zelt krabbel, hängt dichter Nebel im Tal unter mir. Ich zelte über den Wolken. Leider auch unter. Aber die Stimmung ist eine ganz besondere und ich mache ein paar Fotos. Dann mache ich mir einen Kaffee und schreibe meinen Footprint. Gestern war ich einfach komplett fertig. Als ich mit dem Schreiben und dem Frühstück fertig bin, ist es halb acht. In der Nacht hat es ein paar mal kräftig geregnet. Aber durch den stetigen Wind hat sich kein Kondenswasser gebildet. Nur mein Schlafsackende muss ich noch trockenbügeln. Wenn sich etwas Kondenswasser am Zeltfußende bildet, was meistens der Fall ist bei kühleren Temperaturen, wird mein Schlafsack regelmäßig nass. Wenn ich morgens meinen Topf mit kochendem Wasser von meinem kleinen Gaskocher nehme, streiche ich mit dem heißen Topfboden mehrfach über das nasse Ende meines Schlafsacks. So verdunstet in kurzer Zeit ein Großteil der Feuchtigkeit und ich kann meinen Schlafsack trocken einpacken. Um kurz nach 08.00 Uhr ist alles verpackt und ich mache mich auf den Weg.

    Mittlerweile ziehen Nebelschwaden auch auf meiner Höhe vorbei. Der kalte Wind hat zugelegt und es ist richtig ungemütlich. Die ersten Meter führen relativ steil nach oben. Auf halber Höhe kommt mir jemand entgegen, ein Holländer, der von Kilpisjärvi nach Abisko läuft. Er ist überrascht, dass er so früh schon den zweiten trifft. Einige Zeit vorher hat er schon Daniel getroffen, der oft früh unterwegs ist. Wir unterhalten uns eine Weile und dann gehe ich weiter. Unten, wo ich die Nacht gezeltet habe, kommt schon eine weitere Person in meine Richtung. Ich vermute, dass es Daina ist. Ich folge meinem Pfad und komme bald oben an. Von hier aus schaue ich in ein riesiges, weites Tal. Die Wolken hängen tief und vorbeiziehende Nebelschwaden sorgen für eine besondere Stimmung. Ich merke, dass mir Schlaf fehlt. Der Rucksack kommt mir heute wieder schwerer vor und ich merke, dass meine Schritte unkonzentriert sind. Als ich auf einen schrägen, nassen Stein trete, rutsche ich weg und kann mich gerade noch abfangen.

    Ich folge dem Weg durch ein kleines Tal über eine weitere Kuppe und wieder erschließt sich ein unfassbar schöner Blick in die Ferne. Ich mache ein paar Fotos, dann hat Daina mich eingeholt. Wir unterhalten uns und gehen ein paar Meter gemeinsam. Dann lasse ich mich zurückfallen. Daina ist deutlich schneller unterwegs als ich. Mir fehlt heute jegliche Energie. Die Berge um mich herum wirken fast bedrohlich mit ihrer schwarzen Färbung und den Nebelschwaden. Von nun an geht es eine ganze Weile bergab in das Skaktardalen. Hier unten ist der Wind ein bisschen weniger und ich mache eine Pause. 6,5 Kilometer, die sich nach deutlich mehr anfühlen. Die Gegend hier ist dafür echt wieder ein Highlight. Hier komme ich gerne noch einmal wieder. Doch heute fällt es mir schwer, mich in Begeisterung zu verlieren. Zu sehr kämpfe ich mit der Antriebslosigkeit. Nach der Pause geht es mir ein klein wenig besser. Nun muss ich ein sehr breites Flussbett queren, sicher 30 Meter breit. Ich bin froh, dass der Fluss nicht so viel Wasser führt. Ich finde eine Stelle, an der ich den Fluss von Stein zu Stein überqueren kann. Und wieder bin ich unkonzentriert. Ich rutsche von einem Stein und lande mit meinem Ausfallschritt mit beiden Füßen im Wasser. Schnell schaffe ich es, mich zurück auf einen trockenen Stein zu retten und ich freue mich, dass weniger Wasser im Schuh gelandet ist, als ich geahnt hätte. Ein paar Meter weiter steige ich auf einen wirklich großen Stein, der zur Seite kippt und wieder stehe ich mit beiden Schuhen im Wasser. Jetzt reicht’s dann aber. Ein paar Minuten später bin ich mit halbnassen Füßen auf der anderen Seite des Flusses. Hier geht es wieder bergauf und ich schleppe mich richtig. Es geht wieder vorbei an einem steil in den Himmel ragenden Felsmassiv. Nachdem das umrundet ist, stehe ich wieder voll im Wind. Es ist einfach ungemütlich. Müde kämpfe ich mich gegen den Wind vorbei an einem See. Dann mache ich spontan eine Pause und lege mich einfach auf den Boden. Boah, bin ich platt! Aber es dauert nicht lange, dann friere ich richtig. Es hilft nichts, weiter geht‘s. Zu allem Überfluss geht es jetzt noch einige hundert Meter durch sumpfiges Gebiet. Den Sumpf hatte ich für Norga på langs eigentlich schon abgehakt, aber diese kleine Zugabe ließ er sich wohl nicht nehmen.

    Ein kleiner Anstieg führt mich auf eine Ebene. Der Pfad ist wieder fest und ich komme gut voran. Zum ersten Mal bin ich mit meinen Gedanken mal dauerhaft nicht bei meiner Müdigkeit. Mir fällt auf, dass heute der erste September ist. Gestern vor drei Monaten bin ich losgelaufen. Wahnsinn! Diesen Monat werde ich am Nordkap ankommen. Ich denke über den Tag nach, an dem ich meine Wanderung beinahe abgebrochen hätte. Ich suche auf meinem Handy nach der Sprachnachricht, die ich Nicole an dem Nachmittag geschickt habe. Tatsächlich finde ich sie und kann sie sogar abhören, obwohl ich offline bin. In der Nachricht fange ich zu weinen an, als ich zum ersten Mal den Gedanken des Abbrechens ausspreche. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mich da gefühlt habe und die Emotionen kommen direkt wieder hoch. Diesmal aber gemischt mit einer großen Portion Stolz, dass ich mich „damals“ so gut gemanagt habe und nun nur noch wenige Etappen vom Ziel entfernt bin. Das gibt mir kurzfristig einen richtigen Boost und ich ziehe das Tempo etwas an. Ich gehe vorbei an einer Rentiergruppe, nun allmählich wieder bergab. Der Wind ist wieder stärker und im Lee eines großen Felsbrockens mache ich eine weitere Pause. Von hier sind es noch ungefähr fünf Kilometer bis zur Dærtahytta. Hier will ich eine richtige Pause machen, mein Handy etwas laden und dann noch drei Kilometer bis zu einem See machen.

    Die Strecke bis zur Hütte kommt mir wieder unglaublich lang vor. Mein Rucksack fühlt sich an, als hätte ich Steine eingepackt. Gegen halb drei erreiche ich endlich die Hütten, die ich schon von weitem sehen konnte. Vor der Haupthütte stehen die Schuhe von Daniel und Daina. Auch die beiden machen eine Pause hier. Zusammen sitzen wir am Tisch und unterhalten uns über die einzigartige Landschaft hier. Dann brechen die beiden auf. Daina möchte versuchen, Kilpisjärvi schon am Sonntag zu erreichen und Daniel möchte einfach noch ein paar Kilometer machen, da es sich heute gut läuft. Morgen soll es wohl wieder regnen. Ich scherze, dass wenn ich die Hütte für mich allein habe, einfach hier übernachte. Der Gedanke arbeitet tatsächlich in mir. Zum Spaß frage ich, ob es hier extra lange Betten gibt. Daniel zeigt mir ein Familienbett, das 1,40 m breit ist und am Ende keine Fußleiste hat. Mehr Zeichen brauche ich nicht. Ich bleibe hier. Selbst, wenn noch jemand kommt, gibt es noch zwei andere Zimmer. Einziger Nachteil hier ist, es gibt keinen Strom. Die meisten Hütten haben Solarpanel und man kann Handys und Powerbanks laden. Für Morgen reicht es noch, dann geht mir aber der Saft aus. Ich hoffe, dass die nächste Hütte über Strom verfügt, dass ich hier bei einer Pause laden kann.

    Daniel und Daina machen sich nacheinander auf den Weg. Wir verabschieden uns. Spätestens in Kilpisjärvi werden wir uns wiedersehen. Bevor ich mich einrichte, gehe ich noch zum Bach, um mich zu waschen. Es ist arschkalt! Kaltes Wasser bei Wind und Schlafmangel macht nicht so richtig Spaß. Dann lege ich mich in meinen Schlafsack ins Bett, aber richtig warm wird mir nicht mehr. Ich döse mal kurz ein, aber auch der geplante Mittagsschlaf gelingt nicht. Noch während ich im Bett liege, poltert es draußen auf der Holztreppe und ich höre Stimmen. Den Geräuschen nach wird der Nachbarraum aufgeschlossen, wo man auch mit Hunden übernachten darf. Dann wird der Raum wieder verschlossen und die Stimmen entfernen sich. Vorerst bleibe ich also allein, was mein größter Wunsch für heute Abend ist. Fröstelnd gehe ich in den Hauptraum. Ich bin echt froh, dass ich in dem Zustand nicht im Zelt bin. Ich setze Wasser für Kaffee und ein Trekkinggericht auf und feure den Ofen an. Es dauert eine Zeit, dann wird es richtig warm und das Frösteln hört auf.

    Irgendwie habe ich ein bedrückendes Gefühl, das ich nicht einordnen kann. Wenn ich abends im Zelt liege, bin ich zufrieden. Hier fühle ich mich irgendwie einsam. Und trotzdem möchte ich nicht, dass noch jemand kommt. Vielleicht ist es das ungewohnte Gefühl, in einer fremden Behausung zu sein, ein Gast zu sein. In meinem Zelt bin ich richtig zuhause. Dieses Gefühl fehlt mir hier. Und es ist seltsam, nicht zu wissen, ob in der Nachbarhütte jemand ist oder nicht. Ich lasse den Abend bei Kerzenschein ausklingen. Mittlerweile ist es etwas zu warm in der Stube. Die Hütte habe ich tatsächlich den ganzen Abend für mich allein.
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