Satellite
Show on map
  • Day 106

    Alta - Hestryggen

    September 13, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 7 °C

    Um halb sechs werde ich wach. Im Vergleich zur letzten Nacht habe ich aber richtig gut geschlafen. Am liebsten würde ich mich wieder umdrehen und noch einen weiteren Tag hier verbringen. Draußen ist es grau, kalt und regnerisch. Hier drinnen ist alles so wunderbar trocken, weich und warm. Erst jetzt fange ich an, meinen Rucksack zu packen. Gestern hatte ich keine Lust dazu. Überhaupt war gestern ein seltsamer Tag. Um vier Uhr war ich mit starken Verspannungskopfschmerzen wach geworden, die erst nach dem Frühstück wieder ganz weg waren. Den ganzen Tag war ich mit Einkaufen und weiteren Planungen beschäftigt. Nach Olderfjord habe ich ein Paket mit Trekkingnahrung geschickt, damit ich Gewicht spare. Mit den Kopfhörern gab es Probleme, dass ich zurück zum Laden musste. Am Nachmittag hatte ich mich nochmal hingelegt, aber auch nicht so richtig geschlafen. Im Supermarkt habe ich bei dem Gedanken daran, dass meine Reise nun dem Ende zu geht um ein Haar zu weinen angefangen. Ähnlich ging es mir gestern Morgen beim Frühstück. Heute fühle ich mich stärker und fokussierter. Um sieben Uhr gehe ich zum Frühstück. Wegen irgendwelchen Umbaumaßnahmen ist das Frühstück in einem Restaurant 50 Meter vom Hotel. Jetzt ist ein klein wenig mehr los als gestern. Ich freue mich über frischen Kaffee, ein Glas Saft und Rührei mit Speck. Zwei Tische weiter sind zwei Männer, der Kleidung nach Arbeiter. Beide ziehen so oft die Nase hoch, mit einem viel zu lauten Schnattern und husten dann in ihre Pullis. Rücksichtsvoll aber ekelig. Heute nehme ich keinen dritten Kaffee. Ich habe absolut keine Lust, jetzt noch krank zu werden. Gestern Abend hatte ich schon das Gefühl, dass es ganz leicht im Hals kratzt. Und jetzt sitzen diese beiden laufenden Nasen in meiner Nähe. Schnell weg.

    Zurück im Hotel geht es mit dem Packen weiter. Meine Snacktüte ist wieder ein richtig schwerer Klumpen, sicher das schwerste Modul in meinem Rucksack. Dicht gefolgt von meiner Frühstückstüte, wo rund 1,2 Kilogramm Müsli drinnen sind. Aber kein Früchtemüsli, sondern Knuspermüsli. Zum Knuspermüsli habe ich heißen Kakao gekauft, der sich mit Wasser anrühren lässt. In der Kombi werde ich mir mein Trekkingfrühstück einfach selbst machen. Auch hier wird‘s vermutlich nur wenig „crunchy“. Beim Packen sortiere ich einiges aus. Das Solarpanel hilft mir mittlerweile eh nichts mehr. Die kurze Hose brauche ich nicht. Kappe kann auch weg. Ich spare sicher schnell ein ganzes Kilo ein, das ich insbesondere auf der letzten Etappe nicht mehr benötige. Alles Zeug, was ich nicht brauche, kommt in einen Karton, den ich später an der Rezeption abgebe. In 11 Tagen komme ich ja wieder her. Als alles gepackt ist und ich abmarschbereit bin, lege ich mich noch etwas ins Bett. Draußen ist es so ungemütlich. Ich habe echt keine Lust, loszugehen.

    Es hilft nichts. Ich mache mich um viertel vor neun auf den Weg. Heute bin ich nicht so emotional, wie ich es sonst oft war, wenn es nach einem Ruhetag wieder weiter ging. Heute denke ich daran, dass ich in einigen Tagen ja wieder hier sein werde. Draußen ist es immer noch am nieseln, der Wetterbericht verspricht aber Besserung im Laufe des Tages. Eigentlich wollte ich ja die letzte Etappe viel Straße laufen, weil es zwei Tage einsparen würde. Doch erst als die Etappe konkret wurde, wurde mir klar, dass das keine Option ist. Lange habe ich die letzte Etappe als eine Art Pflichtetappe nach der „Königsetappe“ durch Nábár gesehen. Jetzt möchte ich noch einmal so viel Zeit wie möglich in der Natur verbringen. Dafür laufe ich 50 Kilometer mehr. Die ersten 50 Kilometer gehen gefühlt in die komplett falsche Richtung, Richtung Ostsüdost. Zuerst muss ich wieder raus der Stadt. Es geht vorbei an der Universität von Alta in ein Waldgebiet. Zahlreiche kleine Pfade führen hier entlang, es ist wie eine Art Park. Allerdings muss ich an jeder Gabelung auf mein Handy schauen und schaffe es zwei Mal, falsch zu gehen. Dann habe ich es irgendwann wieder an eine Straße geschafft. Aus dem Nieselregen ist mittlerweile richtiger Regen geworden und ich ziehe die Regenhose an. Jetzt ist es wirklich maximal ungemütlich.

    Meine Route führt wieder über einige Straßen und bringt mich schließlich wieder auf eine Loipe. Mein Tempo heute ist absolut gemäßigt. Ich bin nicht so getrieben wie vor zwei Tagen. Dass ich heute nur 24 Kilometer schaffen muss, entspannt mich. Außerdem zwickt das rechte Knie immer wieder und meine rechte Hüfte schmerzt. Was das Knie jetzt noch will, weiß ich nicht. Bei der Hüfte bin ich mir sicher, dass ich sie vorgestern überbelastet habe mit den vielen und schnellen Kilometern. Ich hoffe, das läuft sich die Tage irgendwie raus. Die ersten Meter der Loipe lassen sich sehr gut gehen. Dann kommt ein Abschnitt, der frisch bearbeitet zu sein scheint. Eine reine Schlammschlacht. Immer wieder sinke ich tief ein. Meine heute morgen noch durch und durch trockenen Schuhe sind mittlerweile komplett durchnässt und im linken Schuh steht das Wasser. Hätte ich jetzt gleich am ersten Tag der Etappe nicht unbedingt gebraucht. Aber ich sehe es locker. Ein bisschen freue ich mich auch auf den Moment, wenn ich die Schuhe nach Erreichen des Nordkaps in die Tonne kloppe! Der schlammige Abschnitt zieht sich. Dafür hört der Regen auf und von Westen her wird es immer heller und blauer Himmel wird sichtbar. Dann bin ich irgendwann wieder auf einem festen Weg. Nach 12,5 Kilometern mache ich meine erste Pause bei einem Fluss. Noch immer laufe ich durch ein Tal mit vielen Höfen und landwirtschaftlich genutzten Wiesen. Dann geht es für einige Kilometer auf die Straße. Mittlerweile scheint die Sonne. Im Schatten ist es richtig kalt, aber in der Sonne spüre ich die Wärme. Auf der Straße komme ich gut voran, bekomme aber auch einmal mehr vor Augen gehalten, wie unrund ich mit meiner Hüfte laufe. Nach 16 Kilometern verlasse ich die Straße und endlich ist wieder ein Wanderweg vom DNT ausgeschildert.

    Von nun an geht es leicht bergauf. Der Abschnitt ist eher unemotional, aber ich habe Lust, meine neuen Kopfhörer zu nutzen. So geht es mit Musik einige Kilometer durch eine Art Schlucht. Hier kommt die Sonne nicht rein und es ist richtig frisch. Er dauert, bis ich endlich die Höhe erreicht habe, wo auch die Sonne hinkommt. Es wird zunehmend steiler und bald habe ich es geschafft. Ich bin wieder im baumlosen Fjell unterwegs. Die bodennahe Vegetation ist nur noch gelb und rot. Die Weite hier oben ist wieder das, was ich in Norwegen so sehr liebe. Nach einigen Minuten habe ich mein Tagesziel erreicht. Ich schaue auf die Karte und sehe, dass zwei Kilometer weiter noch ein See kommt. Die sind heute noch drin. Ich merke deutlich, dass ich heute nicht noch mehr hätte laufen wollen. Das wäre nur Quälerei geworden. Ich bin richtig zufrieden mit meiner Entscheidung, weniger Kilometer zu machen. Um viertel nach vier liege ich im Zelt und habe bereits Wasser vom See geholt. Zum Waschen ist es mir einfach zu kalt und da ich mich nicht hundert Prozent fit fühle, will ich meinen Körper nicht mit zusätzlicher Kälte stressen. Aber die letzte Dusche war ja erst heute morgen. Das ist für mich ok. Ich höre ein Hörspiel und schlafe schnell ein. Immer wieder werde ich kurz wach, schlafe aber direkt wieder ein. Herrlich. Um halb sieben beende ich meinen „Mittagsschlaf“. Endlich mal wieder ausgeruht schreiben. Um 20.00 Uhr bin ich fertig und ich esse zu Abend. Im Zelt ist es jetzt schon richtig dunkel und im Schein meiner Stirnlampe sehe ich wieder meinen Atem.

    Meine App sagt für heute eine hohe Wahrscheinlichkeit für Nordlichter voraus. Ich stelle mir einen Wecker auf kurz vor elf. Tatsächlich bin ich schon eingeschlafen und meine Motivation, rauszugehen hält sich in Grenzen. Ich schaue liegend aus dem Zelt und sehe einige Wolken. Zwischen den Wolken sehe ich tatsächlich etwas von dem, was ich vor drei Tagen in Nábár gesehen habe, sogar etwas eindeutiger. Aber ich habe keine Lust, raus in die Kälte zu gehen und bleibe müde im Bett liegen. Eine halbe Stunde später muss ich pinkeln. Zum Glück. Denn als ich raus gehe, sehe ich schon deutlich mehr. Ein ganzer Streifen ist am Himmel und heute leuchtet es auch mehr als beim letzten Mal. Ich hole mein Handy mit dem kleinen Stativ und lasse zum fotografieren meine Stirnlampe im Zelt an. Auf den langzeitbelichteten Fotos sieht es teilweise wieder deutlich krasser aus als in Wirklichkeit. Zwischendurch erkenne ich sogar zum ersten Mal Bewegung in den Lichtern und zeitweise werden sie deutlich heller. Dann, für ungefähr zehn Sekunden, werden einige Lichter richtig hell und bunt und es ist richtig Bewegung drin. Mir steht das Wasser in den Augen. War ich von dem Phänomen bislang nicht so beeindruckt, gehört das hier zu den schönsten und beeindruckendsten Dingen, die ich je gesehen habe. Nach einigen Sekunden ist dieses intensive Lichtschauspiel wieder vorbei und es bleibt bei den gemäßigten Nordlichtern. Am liebsten würde ich noch die ganze Nacht auf wieder so ein spektakuläres Licht wie vorhin lauern. Aber es ist kalt. Zum Glück geht kaum Wind. Aber mit meiner langen Unterhose und meiner Daunenjacke wird es bald zu kalt und ich gehe zurück ins Zelt. Laut Wetterbericht dürfte es hier gerade um die zwei Grad haben. Im Zelt mache ich mir noch einen heißen Kakao. Dabei schaue ich immer wieder mal raus. Ich bin sicher, dass ich in der Nacht noch einiges verpasst habe. Aber ich will mich auch nicht erkälten und ein paar Nächte habe ich ja noch. Ich bin zufrieden. Heute habe ich zum ersten Mal ein richtig intensives, schönes Nordlicht gesehen. Nur wenige Sekunden. Aber das ändert nichts!
    Read more