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  • Day 112

    Olderfjord - Bealjáidjávri

    September 19, 2023 in Norway ⋅ 🌬 5 °C

    Um kurz nach vier werde ich wach. Mir gelingt es nicht wieder einzuschlafen. Ich drehe mich noch eine Weile hin und her und gebe dann auf. Ich bin total müde, versuche aber, positiv zu denken. Ich nutze die Zeit, um meinen Footprint von gestern zu Ende zu schreiben. Am Abend war ich einfach zu müde. Dann fange ich an, meinen Rucksack zu packen. Das Paket mit Trekkingnahrung, das ich mir von Alta geschickt hatte, öffne ich erst jetzt. Obwohl ich es nach so vielen Tagen eigentlich besser wissen müsste, habe ich in Alta wie eine besorgte Mutter noch zwei zusätzliche Trekkinggerichte eingepackt, Suppen, um genau zu sein. Ich will aber keine Suppen. Ich möchte jeden Tag ein Gericht, mehr nicht. Aber weil ich zu geizig bin, die Sachen einfach weg zu schmeißen, packe ich sie ein. Vermutlich werden sie ihren Weg zurück nach Deutschland finden. Suppen ey! Watt hasse dir dabei gedacht?

    Dann nehme ich noch eine heiße Dusche. Die Tür zum Bad bleibt heute geschlossen. Ich möchte nicht um 6:30 Uhr den Feueralarm auslösen. Dann lege ich mich noch etwas aufs Bett. Auschecken kann ich erst ab acht. Daniel ist meistens extrem früh wach. Bevor ich mich auf den Weg mache, möchte ich mich bei ihm noch verabschieden. Ich klopfe an der Tür, höre aber nichts. Ich rufe noch einmal „Daniel“, höre aber wieder nichts. Ich gehe zur Rezeption und checke aus. Dann verabschiede ich mich wenigstens per Sprachnachricht. Als ich 2 km gegangen bin, antwortet mir Daniel. Er sitzt beim Frühstück im Gemeinschaftsraum. Schon seit 7:30 Uhr. Dann bin ich heute direkt an ihm vorbeigegangen. Verdammt.

    Die Birkenwälder leuchten und der Fjord glitzert im Sonnenschein. Auf der Straße ist noch nicht viel los. Die Luft ist kalt, zum Glück ist es windstill. Für morgen ist richtig viel Wind vorhergesagt. Aber morgen ist eben morgen und wie oft hat sich die Vorhersage noch geändert. Ich bin total müde. Ich merke, dass ich seit 4:00 Uhr wach bin und mir Schlaf fehlt. Gleichzeitig bin ich motiviert. Jetzt sind es nur noch vier Tage. Vier anstrengende Tage, denn mein Kilometerpensum habe ich für diese vier Tage etwas erhöht. Im Schnitt 27,5 km. Ich möchte aber versuchen, wenigstens an den ersten beiden Tagen 30 km zu machen. Die größte Problematik dabei ist aktuell, dass ich nicht wirklich mal eine längere Pause machen kann, weil es einfach zu kalt ist. Ich hatte noch kurz überlegt, ob ich mein Hotel in Alta noch einmal umbuche und einen Tag mehr für die kommende letzte Etappe plane. Aber das würde auch bedeuten, dass ich eine Nacht mehr draußen verbringen muss. Und dafür lauf ich lieber ein paar Kilometer mehr.

    Ich folge der Straße bis kurz vor Smørfjord. Hier biege ich links ab in eine andere Straße. Nach weiteren vier Kilometern geht endlich der Wanderweg rechts von der Straße ab. Es wird zunehmend windiger. Oben im Fjell habe ich wieder wunderbare Weitsicht. Der Weg ist auch hier ein ATV-Trail, was das Vorankommen einfach macht. Ich bin froh, nach mehr als zehn Kilometern immer noch trockene Füße zu haben. Eigentlich wollte ich bei zehn Kilometern eine Pause machen, aber der Wind ist einfach zu kalt. Nach 11,5 Kilometern komme ich in einer Senke an einen kleinen Bach. Hier ist es minimal besser und ich setze mich auf meine Isomatte an den Wegrand. Richtig Durst habe ich nicht, aber trinken schadet sicher nicht. Nach zehn Minuten schiebt sich eine Wolke vor die Sonne und jetzt wird es richtig kalt. Ich gehe weiter. Der Weg führt aufwärts und der Wind nimmt nun deutlich zu. In der Ferne sehe ich eine breite Regenwand auf mich zu kommen. Ich halte an und ziehe mir die Regenhose an. Beim Auspacken muss ich aufpassen, dass mir nichts wegfliegt. Noch bevor ich fertig bin, ist die Regenwand da. Allerdings ist es kein Regen, der da runterkommt. Es sind kleine Eiskristalle, die mit dem starken Wind richtig unangenehm auf der Haut sind. Auch ohne Regen ist es mit der Regenhose jetzt deutlich angenehmer. Der Weg führt immer weiter nach oben. Eine große Gruppe Rentiere flüchtet vor mir. Es sind sicher 60 Tiere. Kurz kommt die Sonne raus und dann wird es einige Minuten später wieder dunkel. Jetzt fallen erste Schneeflocken. Weiter oben bin ich dem Wind dann komplett ausgesetzt und es schneit seitwärts. Ich ziehe das Tempo an, damit mir nicht kalt wird. Der Schnee schmilzt auf meinen Handschuhen, welche die Nässe dann aufsaugen. Nicht so optimal.

    In der Ferne entdecke ich eine Hütte und mir fällt ein, dass diese Hütte auf der Wanderkarte des DNT vermerkt ist. Es ist keine Hütte des DNT, aber sie ist öffentlich zugängig und darf von jedem frei genutzt werden. Immer wieder waren auf dem Weg hierher kleine Sumpfgebiete zu queren, wo ich aber nie tief eingesunken bin. Trotzdem sind meine Socken mittlerweile nass. Die Hütte kommt für eine Pause wie gerufen. 20 Kilometer habe ich bis hier geschafft und es ist erst 12.30 Uhr. Die Hütte ist einfach eingerichtet aber es ist alles da, was man braucht. Da ich nicht in Eile bin, mache ich den kleinen Ofen an. Dann setze ich mich an den Tisch und mache mir Wasser heiß, das ich am Fluss 200 Meter vor der Hütte noch mitgenommen habe. Draußen fliegen die Schneeflocken waagerecht. Dann hagelt es richtig. Aus dem Fenster sehe ich einige Rentiere. Während das Feuer im kleinen Ofen knistert, pfeift der Wind um die Hütte. Weil ich keine Lust habe, den Kaffee aus den Tiefen des Rucksacks zu kramen, trinke ich einfach nur heißes Wasser. Aber auch das tut richtig gut!

    Ich bin unentschlossen, was ich tun soll. Eigentlich wäre es vernünftig, hier zu bleiben. Draußen stürmt es. Es sind immer wieder nur Schauer, dann kommt die Sonne zwischendurch wieder raus. Aber die Bedingungen sind weder zum Wandern, noch zum Zelten richtig gut. Ab morgen in der Früh ist noch mehr Wind vorhergesagt mit Spitzen bis 70 km/h. Eigentlich spricht alles dafür, hier zu bleiben. Aber ich spüre, dass ich das nicht will. Ich habe ein klein wenig Empfang und google, welche Windgeschwindigkeiten ein Zelt aushält. Tatsächlich finde ich sogar einen Test zu meinem Zelt, das eher für den Sommer und wärmere Regionen konzipiert ist. Im Test schneidet es gut ab. Das freut mich. Ich bin aber immer noch unsicher. Meine Route wird immer weiter bergauf führen. Da oben wird der Wind noch einmal kräftiger sein und kälter. Diese Entscheidung heute hat nicht nur mit Motivation zu tun. Zum ersten Mal habe ich auch Bedenken bezüglich meiner Sicherheit. Temperaturen um die Null Grad, Sturm und Schnee oder Hagel. Viel Niederschlag ist aber nicht vorhersagt, ich befürchte also nicht, später noch durch tiefen Schnee stapfen zu müssen. Eigentlich geht es heute nur noch um weitere 10 Kilometer. Der Blick nach draußen lässt nur eine Antwort zu. Hier bleiben. Aber der Blick in mich hinein sagt was anderes. Ich gehe weiter!

    Mit dieser Entscheidung bin ich jetzt richtig entschlossen. Ich weiß, dass das heute kein Spaziergang wird. Im Gegenteil. Es wird definitiv unangenehm. Aber diese Entschlossenheit fühlt sich gut an. Obwohl ich schon 20 Kilometer auf der Uhr habe, fühle ich mich noch fit. Ich fühle mich sogar richtig stark. Denn jetzt nehme ich die ekligen Bedingungen nicht nur in Kauf. Ich habe mich für sie entschieden. Eigentlich fehlt jetzt nur noch die Rockymusik und dass ich luftboxend durchs Fjell laufe. Stattdessen bremst mich 200 Meter nach der Hütte der erste Sumpf aus. Diese Scheiße hatte ich bei all meiner Entschlossenheit nicht auf dem Schirm. Aber was soll es, die Socken sind eh nass. Also zügig durch. Ich will nicht zögern und von Grasbüschel zu Grasbüschel hüpfen. Ich will hier jetzt einfach durchpflügen. Und so pflüge ich bis ich 200 Meter später an einem breiten Fluss stehe. Hallo? Geht’s noch? Ich hab mich hier auf Sturm, Kälte und Schnee vorbereitet. Und das Fjell schmeißt mir im ersten halben Kilometer nach der Hütte alles in den Weg, was es zu bieten hat. Ich schaue zurück zur Hütte, die allerdings schon hinter dem Hügel verschwunden ist. Der Fluss ist breit und an einigen Stellen nicht all zu tief. Scheiß drauf! Die Füße sind eh nass. Ich gehe auf Zehenspitzen und schaffe es so gerade eben, dass kein Wasser von oben in die Schuhe läuft. Das wäre jetzt etwas viel. Auf der anderen Seite angekommen gehe ich entschlossen weiter.

    Vor mir erstreckt sich ein endlos langer Felsgrat. Laut Karte geht es an diesem entlang immer Richtung Norden. Die Landschaft ist richtig schön. Immerhin hat der Schnee aufgehört und es lockert immer weiter auf je weiter ich mich Richtung Norden bewege. Da ich im Lee östlich der Felsridge laufe, ist der Wind hier etwas schwächer. Die Sonne lässt sich immer häufiger blicken und die Landschaft leuchtet. Der Weg ist fest und die meiste Zeit gut zu finden. Angetrieben durch den kalten Wind gehe ich zügig voran, entlang der Ridge, vorbei an unzähligen schönen Seen. Nach 29 Tageskilometern steht eine erneute Entscheidung an. Ab hier geht der Weg hinauf auf den Grat und dort oben immer am Grat entlang. Es ist kurz vor 16.00 Uhr. Eigentlich eine gute Zeit und Distanz, das Zelt aufzustellen. Aber ich habe noch Energie. Gleichzeitig weiß ich, dass ich, wenn ich hochgehe, noch so viel Energie haben sollte, auch wieder bis in tiefere Regionen laufen zu können. Denn oben ist es zum Zelten eventuell nicht wirklich geeignet. Keine Ahnung, was mich heute antreibt und wieso ich mich so fit fühle. Ich gehe weiter.

    Heute bin ich nicht getrieben, wie auf meiner letzten Tagesetappe nach Alta, wo ich auch noch schnell sein wollte. Heute passe ich mein Tempo den äußeren Bedingungen an. Schritt für Schritt gehe ich den steilen Weg auf den Bergrücken. Oben angekommen, bin ich dem Westwind zu 100% ausgesetzt. Ich muss mich gegen den Wind lehnen und jetzt wird es richtig kalt. Hier oben ist der Schnee teilweise liegen geblieben. Ich folge dem Grat Kilometer für Kilometer. Noch ein paar mal geht es bergauf und obwohl ich mich anstrenge, fröstel ich. Ich halte an und hole meine Daunenjacke aus dem Rucksack. Wieder muss ich aufpassen, dass mir nichts wegfliegt. Ein paar Minuten später geht es mit allen Jacken, die ich habe, weiter. Es wird sofort deutlich angenehmer. Inzwischen hat sich die Sonne wieder dauerhaft hinter den Wolken versteckt und wird immer tiefer. Der Weg führt nun tendenziell bergab. Ich gehe noch soweit, bis mein Weg direkt an einem See entlang geht. Hier finde ich einen Platz für mein Zelt. Es ist immer noch sehr windig. Aber nicht mehr so extrem wie oben auf dem Grat. In der Abenddämmerung baue ich mein Zelt auf. Erst das Außenzelt, alles weitere erledige ich von innen. Beim Abspannen bin ich heute besonders vorsichtig, weil um vier Uhr am nächsten Morgen sehr starker Wind vorhergesagt ist. Als ich im Zelt liege, fängt es kräftig an zu regnen. Wieder einmal ideales Timing. 40 Kilometer bin ich heute gewandert und ich fühle mich richtig gut und weniger platt als nach den meisten anderen Etappen.
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